EU-Parlament will Aufbau-Fonds
13. Mai 2020Das Europäische Parlament - oder besser das, was die Coronakrise von ihm übrig gelassen hat - war sich in Brüssel einig wie selten.Die rund 40 Abgeordneten, die mit Atemmaske im Plenarsaal mit seinen mehr als 700 Plätzen anwesend waren, stimmten überein, dass die EU schnellstens einen höheren gemeinsamen Haushalt und einen gigantischen Fonds für Wiederaufbau nach der Pandemie braucht. Der Rest der Parlamentarier konnte im "Homeoffice" zuhören, aber nicht reden. Während der EU-Kommission eher 1000 Milliarden Euro für diesen beispiellosen Geldtopf vorschweben, legte die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Iratxe Garcia Perez, gleich das Doppelte vor. Sie forderte 2000 Milliarden für den Wiederaufbau der von der Coronakrise gebeutelten Wirtschaft und Gesundsheitssysteme.
Der Vertreter der linken Fraktion, Martin Schirdewan, forderte Steuern für Reiche, Lohnerhöhungen für den Niedriglohnsektor und eine Ende der sparsamen Haushaltsführung in den Mitgliedsstaaten in der EU, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Redner der Liberalen und der Grünen verlangten, dass nicht einfach nur das bestehende Wirtschaftssystem wieder zum Laufen gebracht, sondern gleichzeitig grundlegend umgebaut wird: Mehr Investitionen für den Klimaschutz, nachhaltige Mobilität und digitale Techniken. "Wir müssen neue Ressourcen mobilisieren und ein ganz neues Fundament legen", meinte der liberale Fraktionschef Dacian Ciolos.
Der Chef der Christdemokraten, der größten Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber, erinnerte wie die meisten anderen Redner daran, dass die EU aus Krisen in der Vergangenheit immer gestärkt hervorgegangen sei. Im Übrigen dürfe man die Landwirtschaft und die Bauern im Aufbauprogramm nicht vergessen. "Das kann der Schuman-Moment unserer Generation werden", sagte der konservative Bayer und bezog sich auf den französischen Außenminister Robert Schuman, der vor 70 Jahre den Grundstein für die Vorläufer der heutigen EU legte.
Große Ambitionen, aber keine konkreten Zahlen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte im April von den Staats- und Regierungschefs der EU den Auftrag bekommen, einen Haushaltsentwurf für die nächsten sieben Jahre und für einen ambitionierten Wiederaufbaufonds vorzulegen. In der Debatte des Europäischen Parlaments umriss von der Leyen grob, wie dieser Wiederaufbaufonds, den sie neuerdings Instrument nennt, funktionieren soll. Die Chefin der Kommission nannte allerdings keine Zahlen zum Umfang und zur Finanzierung des Instruments. Beides ist unter den Mitgliedsstaaten heftig umstritten. Die Verhandlungen laufen.
Wann ein konkreter Plan mit harten Zahlen vorgelegt und beschlossen werden soll, ist noch unklar. Zur Vergabe der Mittel sagte sie, "das Wiederaufbauinstrument wird sich auf die größte Not und die größten Potenziale konzentrieren. Es wird auch Zuschüsse enthalten." Wie hoch der Anteil der direkten Zahlungen und wie hoch der Anteil an Krediten sein sollen, sagte sie allerdings nicht. Das interessiert jedoch vor allem die bedürftigeren Staaten, die auf Zuschüssen beharren, weil Kredite irgendwann zurückgezahlt werden müssten und die nationalen Haushalte belasten würden. Sechs Staaten, darunter Italien und Spanien, hatten von der Leyen nach Presseberichten per Brief einen entsprechenden Forderungskatalog übermittelt. Die Niederlande und andere traditionelle Geberländer bestehen allerdings auf Krediten, weil Transferzahlungen als Zuschüsse viel zu teuer wären.
EU-Kommission will Kontrolle behalten
Die Kommissionspräsidentin kündigte an, sie wolle das Wiederaufbau-Instrument dadurch finanzieren, dass die EU-Kommission auf dem Kapitalmarkt Kredite aufnimmt, die von den Mitgliedsstaaten garantiert und verbürgt werden. Der größte Teil des Geldes solle außerdem gleich am Anfang der sieben Jahre währenden Haushaltsperiode ausgeteilt werden, beginnend am besten noch in diesem Jahr. Die Auszahlung der Mittel für Investitionen in den Mitgliedsstaaten sollten den normalen Regeln der europäischen Haushaltsführung unterworfen werden. Die EU-Kommission würde also eine Kontrolle über die Verwendung der Mittel behalten und nach und nach auch die Fiskalpolitik der verschuldeten Mitgliedsstaaten zu lenken versuchen. Diese Kontrolle, auch europäisches Semester genannt, wollten Italien, Griechenland und Spanien eigentlich vermeiden. Der linke Parlamentarier Schirdewan fasste die Kritik an von der Leyens Plan in drei Fragen zusammen: "Steuern wir dann auf eine neue Finanzkrise zu? Welche Ausgaben sollen dann gekürzt werden, um Kredite zurückzuzahlen? Droht dann eine Jahrzehnte lange Austeritätspolitik?"
"Keine Schlammschlachten"
Antworten auf diese Fragen gab es in der Debatte nicht, allerdings Warnungen, dass man auch Staaten, die besser durch die Coronakrise kämen, nicht überbelasten dürfe mit Transfers an die übrigen. "Solidarität durch Taten sei gefragt", sagte der liberale Fraktionschef Ciolos, "nicht durch Worte." Er zitierte den französischen EU-Vater Robert Schuman, der diesen Satz schon vor 70 Jahren prägte. "Ursula von der Leyen hatte eine undankbare Aufgabe", räumte der linke Abgeordnete Schirdewan ein. Sie müsse die "Quadratur des Kreises" mit dem neuen Haushalt und dem Wiederaufbaufonds vorlegen. Die angesprochene Kommissionspräsidentin versuchte wie immer zuversichtlich zu klingen: "Wir werden die Schulden erhöhen müssen, die künftige Generationen abtragen müssen. Das Mindeste, was wir deshalb tun können ist, in den Bereichen investieren, die für unsere jungen Menschen in der Zukunft wichtig sind." Deshalb solle das Geld zum Beispiel in Klimaschutz fließen und nicht nur das bisher Bekannte wieder herstellen.
Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, versuchte als Vertreter der Mitgliedsstaaten Kritik der Parlamentarier an deren Zerstrittenheit mit einem Versprechen abzuwehren. "Wir werden uns jetzt nicht in Schlammschlachten verlieren, sondern die Ärmel hochkrempeln." Im Juni treffen sich die Staats- und Regierungschefs zum nächsten Gipfel.