EU und Türkei meilenweit auseinander
25. Juli 2017Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu und der türkische Europaminister Ömer Celik sind in Brüssel zu einem sogenannten hochrangigen Dialog mit der EU angetreten. Doch der "Dialog", der auch vor den Medien fortgeführt wurde, entpuppte sich als handfester Streit.
Bei dem hochrangigen Treffen ging es nicht um Beitrittsverhandlungen mit dem Kandidatenland Türkei. Die liegen seit spätestens Ende 2016 auf Eis. Damals entschieden die EU-Mitgliedsstaaten, keine weitere Verhandlungskapitel mehr mit der Türkei zu eröffnen, solange Säuberungswellen und willkürliche Verhaftungen nach dem gescheiterten Putschversuch anhalten.
Es wurde auch nicht wie ursprünglich geplant über eine Fortsetzung und Erweiterung der Zollunion mit der Türkei verhandelt, da sich der Streit zwischen einigen Mitgliedsstaaten der EU und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogon erheblich verschärft hat. In der vergangenen Woche erst ließ Erdogan Menschenrechtsaktivisten verhaften, unter ihnen auch der Deutsche Peter Steudtner. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel kündigte daraufhin eine schärfere Gangart gegenüber der Türkei an.
Ankara drängt auf Beitritt
Verhandelt wurde also nicht an diesem Mittwoch in Brüssel. Stattdessen stellte der türkische Europaminister bei der anschließenden Pressekonferenz die Forderung auf, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Eröffnung neuer Verhandlungskapitel fortgesetzt werden müssten. Wenn die EU glaube, sie könne die Fortsetzung mit dem Verfassungsreferendum in der Türkei verknüpfen, dann liege sie falsch, so Celik. "Das kann von niemanden mehr zurückgenommen werden. Das ist jetzt abgeschlossen."
Zuvor hatte der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn die zögerliche Haltung der EU-Mitgliedsstaaten bei den Beitrittsverhandlungen mit dem Abbau des Rechtsstaates in der Türkei und den Verfassungsänderungen begründet. "Wir brauchen Fortschritte in diesen Bereichen, um wieder zu einer positiven Tagesordnung kommen zu können", hatte Hahn diplomatisch verklausuliert angemahnt.
Der türkische Außenminister Cavusoglu behauptete, in der Türkei sei alles in bester Ordnung. Kein einziges Gesetz gefährde den Rechtsstaat. Die EU lege bei der Bekämpfung von Terroristen vielmehr Doppelstandards an. Die Türkei habe das Recht, gegen Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten vorzugehen, denen Terrorismus vorgeworfen werde.
Beide Seiten, die EU und die türkische Regierung, können sie allerdings nicht darauf einigen, wer Terrorist sein könnte und wer nicht. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini lehnte es ab, alle Anhänger der Gülen-Bewegung als Terroristen anzusehen. Die Türkei hingegen macht die Gülen-Anhänger für den fehlgeschlagenen Putsch vor einem Jahr verantwortlich.
Amnesty: "Türken überschreiten rote Linie"
Es wurden Standpunkte ausgetauscht, die in vielen Bereichen, außer vielleicht bei der Energiepolitik, der Migration und der Bekämpfung islamistischen Terrors, kaum in Einklang zu bringen sind. Der für die Beitrittsverhandlungen zuständige EU-Kommissar Hahn verlangte von den Türken, Schritte auf Europa zuzumachen.
"Das Land rutscht von europäischen Werten ab", bemängelte der EU-Kommissar. Der Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation "Amnesty International", Salil Shetty, forderte im Gespräch mit der Deutschen Welle die Türkei auf, verhaftete Aktivisten, darunter den Chef von Amnesty in der Türkei, sofort freizulassen.
"Wir meinen, dass die Türkei durch die Verhaftung dieser Aktivisten die Angriffe auf Menschenrechte auf ein neues Niveau gehoben hat. Die EU muss anerkennen, dass der Angriff auf den amnesty-Vertreter ein lange geplanter Schachzug war. Hier wird eine rote Linie überschritten", sagte Shetty der DW in Brüssel.
EU mahnt Rechtstaatlichkeit an
EU-Erweiterungskommissar Hahn griff die Kritik auf und forderte von der türkischen Regierung, sich an rechtsstaatliche Grundsätze zu halten. "Für uns ist immer wieder fundamental, dass Verdächtigungen und Anklageerhebungen auf konkreten, individuellen Vorwürfen basieren. Hier haben wir den Eindruck, dass viele dieser Vorwürfe pauschal erhoben werden. Das widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien."
Der Generalsekretär von "Amnesty International" forderte in einem Gespräch mit der EU-Außenbeauftragten Mogherini die Europäer auf, entschlossener gegenüber Ankara aufzutreten. "Die EU hat viele Druckmittel, die sie nutzen kann: Zuschüsse, Verhandlungen über die Zollunion, Visa-Befreiungen. Jetzt müssen diese Druckmittel angewendet werden. Wenn die EU es jetzt nicht macht, auf welche rote Linie will sie dann noch warten?", fragte Shetty im Interview mit der DW. Der türkische Außenminister sagte, die Türkei habe "jahrelang keine Probleme mit Amnesty international gehabt." Jetzt allerdings werde der Amnesty-Funktionär in der Türkei verdächtigt, Mitglied der Gülen-Bewegung, nach türkischer Lesart also Terrorist zu sein.
Flüchtlingsdeal funktioniert
EU-Erweiterungskommissar Hahn stellte klar, das bislang von den insgesamt eingeplanten 4,2 Milliarden Euro an möglichen finanziellen Zuwendungen bis 2020 erst 190 Millionen Euro tatsächlich nach Ankara geflossen seien. Ganz einstellen kann die EU diese sogenannten Vorbeitrittshilfen erst, wenn die Beitrittsgespräche mit der Türkei formal abgebrochen werden.
Auch die Zollunion, die den Handel zwischen der EU und der Türkei wesentlich erleichtert, könne erst ausgebaut werden, wenn sich die Türkei wieder an rechtsstaatliche Normen halte, betonte Hahn. "Aus wirtschaftlicher Sicht haben wir aber ein starkes Interesse, dass ein Upgrade der Zollunion zustande kommt."
Am sogenannten Flüchtlingsdeal mit der Türkei soll nach Aussagen beider Seiten nicht gerüttelt werden. Die türkischen Gäste warfen der EU aber vor, sie erfülle ihre Pflichten aus dem Abkommen nicht ganz, während die Türkei Flüchtlinge zurücknimmt und unterbringt. Die EU bestritt den Vorwurf und wies darauf hin, dass drei Milliarden Euro an Hilfen für die Flüchtlinge wie vereinbart ausgezahlt würden.
Knatsch auf offener Bühne
EU-Außenbeauftragte Mogherini sagte nach der Pressekonferenz, bei der der Streit zwischen beiden Seiten deutlich wurde, sie sei froh, "dass der Dialog hier live vor den Medien fortgeführt wird". Sie stellte aber auch klar, dass sich die EU-Staaten untereinander solidarisch verhielten. Verbale Angriffe auf ein Mitgliedsland, wie zum Beispiel Deutschland, würden die ganze EU angehen.
Der leicht erregte türkische Außenminister konterte, er sei gegenüber Deutschland nicht feindlich eingestellt. "Es kommt immer darauf an, wie man die Sache sieht." Immerhin wurde eine Fortsetzung des Dialogs auf höchster Ebene vereinbart, das nächste Mal in Adana in der Türkei. Echte Verhandlungen sind aber auch dann nicht absehbar. Die Fronten sind verhärtet.