Ähnliche Herausforderungen
1. November 2012Was haben Präsident Obama und die Europäische Union gemeinsam? Beide haben den Friedensnobelpreis gewonnen.
Trotz der momentanen Krise bekam die EU den Preis als Anerkennung für 60 Jahre Sicherung von Frieden und Wohlstand. Obama bekam den Friedensnobelpreis im ersten Jahr seiner Präsidentschaft als Ermutigung für die Zukunft und trotz seiner bis dato nicht existenten Erfahrung in der Außenpolitik. Aus heutiger Sicht ist es schwer zu sagen, ob Obama mit Blick auf die vergangenen drei Jahre den Preis tatsächlich verdient hat - und es ist genau so schwer zu sagen, ob sich die EU in den nächsten Jahren als würdiger Preisträger erweisen wird.
Preise symbolisieren große Hoffnungen in USA und EU
Dennoch symbolisieren diese zwei Friedensnobelpreise die Hoffnungen, die die internationale Gemeinschaft sowohl in die Vereinigten Staaten und ihren Präsidenten als auch in die EU und ihre Mitglieder gesetzt hat.
Aber sind diese Hoffnungen auch gerechtfertigt? Die USA und die EU stehen in den kommenden Jahren ähnlichen Herausforderungen gegenüber - wer die amerikanische Präsidentschaftswahl gewinnt, spielt dabei keine Rolle. Diese Herausforderungen haben eins gemeinsam: Sie betreffen den Abgleich der drei wichtigsten Komponenten in der Einflussnahme auf internationale Angelegenheiten in einer globalisierten Welt, nämlich Macht, ein Ziel und seine Umsetzung in die Praxis.
Außer Kontrolle geratene Haushaltsdefizite
Die erste Herausforderung bezieht sich auf die eigentliche Grundlage dafür, überhaupt als ernstzunehmender Faktor in der Weltpolitik anerkannt zu sein - Macht. Es geht um Innenpolitik: Wie erhält man Wirtschaftswachstum und Wohlstand, während man gleichzeitig außer Kontrolle geratene Haushaltsdefizite und Staatsschulden in Schach hält? Für die EU geht es um das Überleben der Union, da das gesamte Projekt der europäischen Integration auf dem Spiel steht. Das bedeutet allerdings auch, dass die Chancen ziemlich gut stehen, dass die EU dieser Herausforderung gerecht wird. Wenn die Finanzmärkte gegen die Eignung der EU, die momentane Krise zu überwinden, wetten, dann werden sie viel Geld verlieren.
Was die USA angeht - hier sind Chancen nicht so eindeutig und unabhängig davon, wer die Präsidentschaftswahl gewinnt. Um die US-Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen, bedarf es einer Überparteilichkeit im Kongress. Das Schicksal des Bowles-Simpson Plans zur Verbesserung der finanziellen Lage aus dem Jahr 2010 lässt allerdings nichts Gutes ahnen, was die Fähigkeit der Amerikaner angeht, mit dieser Herausforderung fertig zu werden - der Plan fiel parteipolitischem Gezänk in Washington zum Opfer.
Wie sollte die Welt sein?
In der zweiten Herausforderung geht es um die Fähigkeit der USA und der EU, ihre jeweilige Macht für ein Ziel und seine Umsetzung einzusetzen. Wenn es den USA und der EU gelingt, mit der ersten Herausforderung fertig zu werden und ihre gegenwärtigen innerstaatlichen Probleme zu überwinden, (und das ist noch fraglich), werden sie ausreichend Einsatzmöglichkeiten - harte und weiche - für ihre Macht beibehalten, um eine bedeutende Rolle in einer globalisierten Welt zu spielen. Aber sie müssen Macht in Ziele übersetzen - soll heißen, in strategische Visionen, wie die Welt sein sollte und wo man selbst in Zukunft stehen will.
Einst hatten die USA eine liberale internationalistische Vision, aber diese Vision wird zunehmend durch wachsende isolationistische und einseitige Tendenzen im republikanischen und demokratischen Lager getrübt. Die EU hat in den vergangenen zehn Jahren eine Vision eines "effektiven Multilateralismus" oder "Multilateralismus mit (militärischen) Zähnen" entwickelt, die Frieden, Menschrechte und Demokratie propagiert. Dennoch waren weder die USA noch die EU besonders erpicht darauf oder erfolgreich darin, ihre Möglichkeiten und Ziele in den vergangenen zehn Jahren in die Tat umzusetzen.
Die USA müssen sich daran gewöhnen, dass der Aufstieg Chinas, Indiens, Brasiliens, Südafrikas und anderer Schwellenländer die Weltpolitik fundamental verändern wird und dass ihre formidable Militärmacht nicht in politische Einflussnahme übertragen werden kann ohne eine Absicht, die von der internationalen Gemeinschaft als legitim anerkannt ist.
Konfusion statt Kontinuität
Darüber hinaus dokumentiert der Präsidentschaftswahlkampf, dass in den USA Ziele und deren Umsetzung in die Praxis zunehmend in Frage gestellt werden von einseitigen Tendenzen (veranschaulicht von einigen Mitarbeitern in Mitt Romneys Außenpolitik-Team), fortgesetztem liberalem Internationalismus (die Mehrheit in Obamas Lager) und wachsendem Isolationismus bei sowohl Republikanern als auch Demokraten (mit zunehmender Unterstützung der kriegsmüden Wählerschaft). Momentan strahlt die USA eher Konfusion als Kontinuität in Bezug auf Ziele und Praxis aus.
Was die EU betrifft, so kann die Union auf eine phantastische Erfolgsgeschichte blicken: Frieden und Wohlstand in den Mitgliedsländern und Wachstum durch neue Mitglieder. Aber die EU muss lernen, dass man in einer globalisierten Welt "entweder zusammen hängt oder ganz sicherlich allein hängt" (frei nach Benjamin Franklin.) Die Außenpolitik der EU hat es noch nicht geschafft, Absichten in die Praxis umzusetzen, das heißt vor allem, in der Weltpolitik mit einer Stimme zu sprechen.
Transatlantische Bindungen prüfen
Wenn die USA und die EU die Kurve kriegen und die zweite Herausforderung bewältigen, nämlich Macht und Absichten in die Tat umzusetzen, steht ihnen noch eine dritte Herausforderung bevor: sich mit ihrer eigenen, transatlantischen Beziehung auseinanderzusetzen. Diese Beziehung hat in den vergangenen zwölf Jahren gelitten, und seit Präsident Obamas Amtsantritt hat sich leider nicht viel geändert. Die NATO, die transatlantische Sicherheitsgemeinschaft, versucht immer noch, einen Daseinssinn in einer globalisierten Welt nach dem Kalten Krieg zu finden. Die Organisation kommt nicht mit der künftigen Mission zurecht, eine globale Rolle zu übernehmen oder vornehmlich eine regionale Allianz zu bleiben.
Was Wirtschaftsthemen angeht, haben sich die USA und die EU noch nicht zusammengerauft und den Vorschlägen für eine globale wirtschaftspolitische Steuerung als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 zugestimmt. Diplomatische Bemühungen zwischen Präsident Obama und den Europäern während der Eurokrise zeigen deutliche Unterschiede in makro-ökonomischen Strategien.
Die transatlantischen Beziehungen dümpeln vor sich hin, aber ihre Ziele und Praxis sind zunehmend unscharf.
Fazit: Die USA und die EU stehen in den kommenden Jahren ähnlichen Herausforderungen gegenüber. Während sie einerseits beachtliche wirtschaftliche und militärische Machtkapazitäten haben, sind deren Ziele und Praxis momentan nicht abgestimmt. Und das, obwohl ihr zukünftiger Einfluss in einer globalisierten Welt sowohl von einer gemeinsamen Vision als auch von der Fähigkeit, diese in die Tat umzusetzen, abhängt.
Thomas Risse ist Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.