1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

EU verschiebt Einigung auf Asylpolitik

5. Juni 2018

Die EU ist tief zerstritten. Italien lehnt die alten Asylregeln ab, Deutschland will daran festhalten. Die Verteilung von Flüchtlingen bleibt das Kernproblem - immer mehr Länder sind dagegen. Bernd Riegert berichtet.

https://p.dw.com/p/2yxts
Deutschland Asylantrag
Bild: picture-alliance/Frank May

Der geduldig wirkende Innenminister von Bulgarien, Valentin Radev, legte seinen 27 EU-Kolleginnen und -Kollegen beim Ministerrat in Luxemburg einen Kompromissvorschlag vor. "Wir verhandeln nun schon seit zwei Jahren. Wir haben wirklich hart gearbeitet." Radev ist zur Zeit Vorsitzender des Ministerrates, aber er weiß, dass sein Kompromisspapier wenig Chancen hatte, angenommen zu werden. "Erhebliche Defizite" sah der deutsche Vertreter, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer, bei den Vorschlägen zur Reform des europäischen Asylsystems - kurz auch Dublin-Verordnung genannt. "Nach dem jetzigen Verhandlungsstand ist das gemeinsame europäische Asylsystem für uns so nicht akzeptabel", sagte Mayer noch vor der eigentlichen Sitzung.

IItalien Pozallo Matteo Salvini
Italiens Innenminister Salvini im Flüchtlingslager Pozallo am SonntagBild: Getty Images/AFP/C. Lenzo

Der neue italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega hatte bereits am Sonntag beim Besuch eines Flüchtlingslagers auf Sizilien erklärt: "Die Dublin-Regeln lehnen wir ab." Nach diesen Regeln ist der Staat der ersten Einreise für die Aufnahme von Migranten und Asylbewerbern zuständig. Nicht erst Salvini, sondern auch schon sein sozialdemokratischer Vorgänger hatte argumentiert, dass Italien und auch Griechenland als die Frontstaaten an den beiden wichtigsten Migrationsrouten überfordert seien. Salvini benutzt allerdings drastischere Bilder als die bisherige Regierung und verspricht, sein Land werde nicht mehr "das Flüchtlingslager Europas" sein. Die illegalen Migranten sollten schon mal ihre Koffer packen, da es jetzt mehr Abschiebungen geben werde, kündigte Matteo Salvini an. Er war allerdings nicht persönlich nach Luxemburg zur Ministertagung gekommen.

Nicht nur die Populisten aus Italien blockieren

Auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer schickte seinen Staatssekretär vor, um die deutsche Position klarzumachen. Für die Bundesregierung müsse die Dublin-Regel, also die Zuständigkeit des Landes der ersten Einreise, unbedingt weiter gelten, mindestens zehn Jahre lang. Allerdings könne man unter bestimmten Bedingungen Asylbewerber aus Italien oder Griechenland nach einem Quotensystem auf die anderen EU-Staaten verteilen. Auch der neue italienische Premierminister Giuseppe Conte, der eine populistische Koalition anführt, fordert eine verpflichtende Verteilung auf andere Staaten.

Stephan Mayer
Deutscher Staatssekretär Mayer: "Erhebliche Defizite"Bild: picture-alliance/NurPhoto/A. Pohl

Diese Form der "Solidarität" lehnen die östlichen Staaten ab - vornehmlich Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien, aber inzwischen auch die nationalkonservative Regierung in Österreich. Sie setzen eher darauf, die EU-Außengrenzen weiter abzuschotten und eine Einreise von Asylbewerbern oder Migranten zu unterbinden. Der österreichische Innenminister Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ versprach eine "kopernikanische Wende", einen Paradigmenwechseln im europäischen Asylrecht, den er beim Sondergipfel der EU zur Migration im September in Salzburg verkünden wolle. Kickl freut sich auf den rechtspopulistischen Innenminister Matteo Salvini aus Rom: "Italien wird ein starker Verbündeter sein." Und das, obwohl Salvini das Gegenteil dessen fordert, was die Osteuropäer und Österreich wollen.

Österreich definiert "Solidarität" neu

Der österreichische Innenminister will dem Widerspruch mit einer neuen Definition des Begriffs "Solidarität" in der Asylpolitik begegnen. "Ich bin überzeugt, es braucht Solidarität dort, wo es um die Verhinderung von Migration geht", sagte Kickl in Luxemburg. Man sollte vor allem die Grenzen abriegeln und die Menschen in ihren Herkunftsstaaten halten.

Die bayerische Partei CSU, der auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer angehört, will - anders als die neue italienische Regierung - die geltenden Dublin-Regeln durchsetzen. Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, sagte in Berlin, er sei dafür, Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land waren, also zum Beispiel in Österreich oder Italien, an der deutschen Grenzen konsequent zurückzuweisen.

Bei der Innenministertagung in Luxemburg wurden die unterschiedlichen Interessen der EU-Staaten in der Migrationsfrage noch einmal deutlich. Der luxemburgische Migrationsminister Jean Asselborn warnte: "Wir müssen Länder auf die gleiche Linie bekommen. Wir kommen nur aus dem Loch heraus, wenn wir alle verstehen, dass wir einen Kompromiss brauchen."

Keine Einigung vor dem Gipfeltreffen

Jean Asselborn Luxemburg Außenminister
Luxemburger Asselborn: Einigung auf die lange Bank geschobenBild: picture-alliance/dpa/J. Warnand

Eine für den EU-Gipfel Ende Juni vorgesehene Einigung auf ein neues europäisches Asylrecht rückt in weite Ferne. Der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos nahm es gelassen. Man habe zwar den "Befehl" der Staats- und Regierungschefs, sich zu einigen, aber wenn es noch ein paar Monate länger dauere, sei das "nicht das Ende der Welt". Der Luxemburger Jean Asselborn ließ sich von den zähen Verhandlungen zu einem Scherz inspirieren. "Für mich ist dies die 33. Runde zur Reform von Dublin", sagte er und fügte hinzu: "Ostern haben wir einen Kompromiss. Ich weiß nur nicht, in welchem Jahr."

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich am Wochenende in einem Zeitungsinterview über die derzeitigen Schwierigkeiten bei der Suche nach einem neuen Asylverfahren hinweggesetzt und ein neues Ziel ins Auge gefasst. Als Endziel schwebt ihr eine neue europäische Asylbehörde vor, die direkt an den Außengrenzen über Asylanträge und Einreise entscheidet. Das sei für Staaten wie Deutschland, die keine EU-Außengrenze haben, ja eine elegante Lösung, meinten EU-Diplomaten in Luxemburg. Für Staaten wie Italien, Griechenland, Ungarn oder Bulgarien bedeute das mehr Arbeit und Verantwortung.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union