Hilfe vertagt
24. Juli 2008Ungeachtet der nach wie vor problematischen Lage im Irak hat die Bundesregierung ihre Initiative für eine verstärkte Aufnahme verfolgter Menschen überraschend auf Eis gelegt. Die EU-Innenminister kamen am Donnerstag (24.7.2008) auf Veranlassung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) überein, vorerst keine zusätzlichen Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen. "Wir nehmen auch weiterhin Flüchtlinge aus dem Irak auf", versicherte Schäuble. Jeden Monat kämen 600 bis 700 Iraker nach Deutschland.
Hauptziel sichere Rückkehr
Einen Aufruf an alle EU-Staaten, insbesondere im Rahmen ihrer Integrationsprogramme irakische Flüchtlinge aufzunehmen, strich der Ministerrat jedoch aus seinem Beschluss. Im Entwurf des Dokuments hatte es noch geheißen, auf diese Weise sollten "besonders schutzbedürftige Personen, insbesondere Angehörige aller gefährdeten Gruppen, auf freiwilliger Basis aufgenommen werden". Statt eine sichere Heimat in Europa zu finden, sollen geflüchtete Iraker in das Krisengebiet heimkehren. "Hauptziel ist sicherzustellen, dass die Flüchtlinge sicher zurückkehren können", sagte der Ratsvorsitzende Brice Hortefeux.
Schäuble hatte sich mit Blick auf irakische Christen bis vor kurzem für eine Ansiedlung gefährdeter Minderheiten aus dem Irak in Europa eingesetzt. In der Ratssitzung verlangte Schäuble dann, konkrete Schritte zu vertagen. Er begründete dies mit dem Wunsch des irakischen Premierministers Nuri al-Maliki, der die Abwanderung der Iraker in sichere Länder stoppen will.
"Lage nicht problemfrei"
Al-Maliki hatte am Dienstag bei einem Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin erklärt, er wolle sich verstärkt für christliche Flüchtlinge inner- und außerhalb des Irak einsetzen. Viele der irakischen Christen besitzen ein hohes Bildungsniveau und werden für den Wiederaufbau des Landes dringend gebraucht. Der Innenminister erinnerte daran, dass auch christliche Bischöfe aus dem Irak vor einer völligen Abwanderung der Christen aus der Region gewarnt hätten. Es gebe Hoffnung, dass die Sicherheitslage in dem Land sich langsam verbessere, sagte Schäuble. Damit sei die Flüchtlingsfrage nicht gelöst, sagte Schäuble: "Dass die Lage im Irak nicht problemfrei ist, weiß jeder."
Zunächst will die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR eine Beobachtermission in die Region entsenden, um die Lage vor Ort zu bewerten. Ein EU-Diplomat nannte den Fortgang der Debatte "offen".
Schäuble hatte den Länder-Innenministern im April zugesagt, sich für eine verstärkte Aufnahme verfolgter Christen in die EU einzusetzen. Damit folgte er einer Anregung der Kirchen. Einige EU-Partner kritisierten die Pläne aber als zu selektiv. Der Minister sprach daraufhin nur noch allgemein von der geplanten Aufnahme religiöser und ethnischer Minderheiten. Der französische Ratsvorsitz wollte zuletzt als Kompromiss nur noch einen unverbindlichen Aufruf an die Mitgliedstaaten richten.
Scharfe Kritik
FDP und Grüne kritisierten Schäuble scharf. Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Josef Winkler und Manuel Sarrazin warfen ihm einen "Zick-Zack-Kurs" vor. Noch vor wenigen Tagen habe der Minister bekräftigt, dass Deutschland mit der Aufnahme besonders schutzbedürftiger Iraker aus den Nachbarstaaten Syrien und Jordanien beginnen wolle. Nun komme "der beschämende Rückzieher". FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warf Schäuble Einknicken vor dem eigenen Lager vor. Die frühere Bundesjustizministerin verwies auf ablehnende Äußerungen der Innenminister von Niedersachsen und Bayern, Uwe Schünemann (CDU) und Joachim Herrmann (CSU). Schünemann und Herrmann hatten zuletzt die Befürchtung geäußert, die EU hole sich irakische Kriminelle und Terroristen ins Haus.
Amnesty International nannte das Einlenken der Bundesregierung gegenüber Maliki "falsch und gefährlich". Für religiöse und ethnische Minderheiten im Irak habe sich die Sicherheitslage entgegen der Darstellung des Ministerpräsidenten nicht verbessert, erklärte die Irak-Expertin Ruth Jüttner in Berlin. "Nach wie vor werden sie von bewaffneten Gruppen mit dem Tod bedroht, werden Familien aus ihren Häusern vertrieben, Menschen entführt und ermordet."
Die kriegsähnliche Lage im Irak hat nach Schätzungen rund 4,9 Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Davon sind 2,7 Millionen Vertriebene im Irak selbst und weitere 2,2 Millionen in Nachbarstaaten wie Syrien und Jordanien. Die Zahl der Christen im Irak wird auf 700.000 geschätzt. Wie viele davon Flüchtlinge sind, ist unbekannt. (stu)