EU: Waffen sollen im Libanon schweigen
1. Oktober 2024Nach Beginn der israelischen Operationen mit Landstreitkräften im Süden des Libanon und des iranischen Raketenangriffs auf Israel hat die Europäische Union ihre Position zum bewaffneten Konflikt zwischen der als Terrororganisation eingestuften Hisbollah-Miliz und Israel bekräftigt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte die Angriffe des Iran auf Israel "auf das Schärfste" und beschrieb die Eskalation als "ernsthafte Bedrohung für die regionale Sicherheit". Die aufeinanderfolgenden Wellen von Angriffen und Vergeltungsmaßnahmen hätten eine unkontrollierbare Konfliktspirale in Gang gesetzt.
Vor Beginn der gegenseitigen Offensiven hatten die EU-Außenministerinnen und Außenminister in einer virtuellen Sondersitzung von den Konfliktparteien einen sofortigen Waffenstillstand gefordert. "Israel und die Hisbollah müssen sich in vollem Umfang an die Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen halten", mahnte Borrell als Vorsitzender der Ministerrunde. "Dabei bleibt es auch", bekräftigte sein Sprecher Peter Stano in Brüssel noch einmal, nachdem die israelische Armee "begrenzte Bodenoperationen" im Südlibanon gestartet hatte. Auch die radikal-islamische Hisbollah-Miliz feuerte weiter Raketen in den Norden Israels.
Der UN-Beschluss 1701, auf den sich die Europäische Union beruft, stammt aus dem Jahr 2006. Er sieht einen Waffenstillstand und die Einrichtung einer Pufferzone im Norden des Libanon vor. Die Hisbollah hatte sich in den vergangenen 18 Jahren nicht hinter die vereinbarten Linien zurückgezogen und die libanesische Armee hat die Hisbollah nicht wie vorgesehen entwaffnet.
"Libanesen zahlen die Zeche"
Seit dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres greift die Hisbollah Israel immer wieder vom Libanon aus an. Tausende Israelis mussten ihre Häusern im Norden des Landes verlassen. Wegen der Angriffe der israelischen Armee auf Stellungen und Führungspersonal der Hisbollah sind nun auch im Libanon viele Menschen auf der Flucht. Nach Angaben der libanesischen Regierung bis zu eine Million.
"Wir sind fast in einem vollständigen Krieg gelandet. Wir sehen mehr Militärschläge, mehr Zerstörung, mehr Kollateralschäden, mehr Opfer. Die Zivilisten im Libanon zahlen einen Preis, der nicht zu akzeptieren ist", beklagte der EU-Außenbeauftragte Borrell schon vor einigen Tagen.
Die EU-Außenminister bekannten sich in ihrer Sondersitzung dazu, dass dem Libanon geholfen werden müsse. "Der Staat muss vor dem Kollaps bewahrt werden", heißt es in einer Erklärung der EU. Die EU-Kommission hatte bereits im Frühjahr eine Milliarde Euro an Finanzhilfen für das von einer schweren Wirtschaftskrise gebeutelte Land zur Verfügung gestellt. Am Montag wurden noch einmal zehn Millionen Euro an kurzfristiger humanitärer Hilfe mobilisiert.
Aus Sicht der Europäischen Union ist es geboten, die libanesische Armee zu stärken: Sie soll die Hisbollah in Schach halten und die im Libanon seit Jahrzehnten bestehende UN-Blauhelmmission unterstützen. Aus ihrer sogenannten "Friedensfazilität", einem Hilfsfonds, will die EU in diesem Jahr 50 Millionen Euro für die Ausrüstung und Ausbildung der libanesischen Armee bereitstellen.
Europa hat wenig Einfluss
Der französische Außenminister Jean-Noel Barrot war am Montag in Beirut und kritisierte, dass der Libanon in einen Krieg verwickelt werde, den er nicht gewollt habe. Frankreich, ehemals Kolonialmacht im Libanon, habe noch einen gewissen Einfluss und Kommunikationskanäle in Richtung der Terrororganisation Hisbollah, meint Karim Bitar vom Institut für Internationale und Strategische Studien in Paris. "Mehr aber auch nicht; Europa ist in der Tat nur noch ein wichtiger Zuschauer", so Bitar, der auch an der Saint Joseph Universität in Beirut lehrt. "Viele Menschen im Nahen Osten würden sich eine aktivere Rolle Europas wünschen. Sie erkennen aber, dass die EU nicht einig ist und die meisten Staaten einfach den USA folgen."
US-Präsident Joe Biden fordert zwar auch einen Waffenstillstand, unterstützt dennoch die israelische Regierung und ermahnt den Iran, nicht in den Konflikt einzugreifen. Der Iran wiederum ist der entscheidende Sponsor der Hisbollah-Milizen. Frankreich bereitet die Evakuierung von Franzosen und weiteren Europäern aus dem Libanon vor. Der Hubschrauber-Träger Dixmude wird zu diesem Zweck nach Zypern verlegt.
Beide Seiten sollen das Recht achten
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatte am Wochenende vor einer Destabilisierung des gesamten Libanons durch das israelische Vorgehen gewarnt. Sie kritisierte die Tötung des Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallah durch Israel, während US-Präsident Joe Biden diesen Schritt begrüßte. Die EU schloss sich der Haltung Baerbocks nicht an. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mahnte jedoch nicht nur die Hisbollah, ihre Kämpfe einzustellen, sondern auch Israel. "Die Hisbollah hat mit den Attacken angefangen. Israel hat das Recht sich zu verteidigen, aber es muss das internationale humanitäre Völkerrecht beachten", so Borrell am Montagabend.
Die USA bezeichneten den Raketenangriff des Iran, der Schutzmacht der Hisbollah, zwar als "vereitelt und unwirksam", kündigten aber auch gravierende Folgen für den Iran an. Daran arbeite man nun mit Israel, sagte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan in Washington. Kriegsschiffe des US-Militärs hätten dabei geholfen, den Raketenangriff abzuwehren.
Wenn sich die USA gezwungen sehen, selbst in den Konflikt einzugreifen, um Israel zu schützen, dann wäre das der "Flächenbrand" in der Region, vor dem die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Wochenende gewarnt hatte.
Dieser Artikel vom Nachmittag des 1. Oktober wurde nach dem iranischen Raketenangriff auf Israel um die Stellungnahmen aus Brüssel und Washington aktualisiert.