Gewagte Agrarreform
20. Mai 2008Die Europäische Kommission hat am Dienstag (20.5.2008) im EU-Parlament in Straßburg ihre umstrittenen Gesetzesvorschläge für die Reform der Agrarpolitik vorgestellt: Sie schlägt darin eine Kürzung der Subventionen für die europäischen Bauern vor. Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel will die Umschichtung der Direktbeihilfen an die Bauernhöfe in Fördertöpfe für Umweltschutz oder Beschäftigungsmaßnahmen im ländlichen Raum beschleunigen. Besonders tiefe Einschnitte plant die Kommissarin für Großbetriebe, die derzeit mehr als 100.000 Euro jährlich erhalten.
Der EU-Agrarhaushalt ist nach wie vor sehr groß: Er macht 40 Prozent des Gesamthaushalts der EU aus und liegt 2008 bei fast 45 Milliarden Euro. Bei einer auf 27 Mitgliedstaaten angewachsenen Union werden die Ausgaben auch weiter steigen, aber die Verteilung der Gelder soll nun anderen Prioritäten folgen.
Keiner wollte sich bislang die Finger verbrennen
Die vergangenen EU-Ratspräsidentschaften hatten sich das heikle Thema wie eine heiße Kartoffel gegenseitig zugeschoben. Angesichts zurückgehender Getreidevorräte und steigender Lebensmittelpreise steht aber bei der EU-Kommission fest: Es besteht dringender Handlungsbedarf.
Die EU-Agrarminister hatten sich bereits im Jahr 2003 auf eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik - kurz GAP - geeinigt. Dabei hatten sie vor allem die hohen Direktsubventionszahlungen an europäische Bauern im Visier.
Zwischenprüfungen in drei Bereichen geplant
Fischer Boel will die für 2013 geplante Reform nun einer Zwischenüberprüfung unterwerfen, die sich auf drei Bereiche erstrecken soll. Erstens: Wie kann man das System der Direktzahlungen durchsichtiger und effizienter machen? Zweitens: Wie können am sinnvollsten Mechanismen der Marktregulierung in einer globalisierten Welt mit mittlerweile 27 Mitgliedsstaaten eingesetzt werden? Und drittens: Wie kann die EU sich neuen Herausforderungen stellen, wie dem Klimawandel, der Nutzung erneuerbarer Energien und der Verknappung der Wasserressourcen?
Auch wenn es nur eine Zwischenprüfung sein soll, wird deutlich, dass es der Agrarkommissarin im Prinzip darum geht, in bestimmten Bereichen schon vor 2013 die Weichen neu zu stellen: So will die EU-Kommission schrittweise die Subventionszahlungen vor allem für landwirtschaftliche Großbetriebe kürzen. Bis zu 13 Prozent der Direktzahlungen an Landwirte, die jährlich mehr als 5000 Euro erhalten, sollen umgeschichtet werden und der Entwicklung des ländlichen Raums zugute kommen. Das bedeutet etwa für einen Großbetrieb, der bislang rund 400.000 Euro Beihilfen pro Jahr erhält, dass er mit einer progressiven Kürzung um fast 50.000 Euro bis zum Jahr 2012 rechnen muß.
Deutscher Bauernverband lehnt Kürzungen vehement ab
Das würde vor allem Betriebe in Ostdeutschland treffen. Ein unhaltbarer Vorschlag, findet Gerhard Sonnleitner, Chef des Deutschen Bauernverbands und Vize-Präsident des EU-Dachverbands COPA. Er hält dies für eine ungerechtfertigte Abstrafung der großen Mehrfamilienbetriebe. "Wenn wir in Deutschland die Ausgleichszahlungen bei diesen großen Betrieben in den fünf neuen Bundesländern auf die Familien und auf die Mitarbeiter runterbrechen, so sind die nicht höher als in Westdeutschland bei den durchschnittlichen Vollerwerbsbetrieben", sagt Sonnleitner.
Eine schrittweise Umschichtung der EU-Zahlungen weg von den Direkthilfen hin zu einer Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes hält er insgesamt für wenig sinnvoll: "Die beste Förderung für die ländlichen Räume ist die Stärkung der Wirtschaftskraft unserer Bauern."
Ende der Milchquoten geplant
Teil der Agrarreform soll auch der schrittweise Ausstieg aus dem System der Milchquoten bis April 2015 sein. Diese wurden 1984 eingeführt, um die Milchproduktion innerhalb der EU zu beschränken. Durch ein begrenztes Angebot sollte auch ein stabiler Preis für Milcherzeugnisse erhalten bleiben. Für Kommissarin Fischer Boel sind Milchquoten im Zeitalter marktorientierter Agrarbetriebe ein Anachronismus. Die Kommission will den Milchbauern aber eine "sanfte Landung" ermöglichen, wie Fischer Boel sagt, und Übergangslösungen anbieten, damit es am 1. April 2015 nicht zu einem plötzlichen Markteinbruch kommt.
Bis zum EU-Gipfel unter französischer Ratspräsidentschaft im November wollen sich die 27 Mitgliedstaaten auf einen neuen Kurs in der Agrarpolitik einigen. Doch gerade bei den Franzosen, die die Hauptnutzer der Agrarsubventionen sind, ist der Widerstand gegen jegliche Kürzungsvorschläge sehr groß.