EU-Westbalkan-Gipfel: Nett, aber wenig konkret
6. Mai 2020"Zagreb-Gipfel" stand fast ein wenig trotzig auf den Plakaten hinter dem kroatischen Ratspräsidenten Andrej Plenkovic, obwohl er der einzige Teilnehmer des virtuellen Treffens war, der sich wirklich in Zagreb befand. Etwas verloren saß er in der Konferenzhalle der Nationalbibliothek an einem riesigen Tisch, der für 27 Länderchefs gebaut worden war. Vor sich eine Videowand mit kleinen Bildern der Teilnehmer an ihren heimatlichen Schreibtischen. "Es ist unglücklich, dass wir uns nicht physisch treffen können", sagte Plenkovic.
Die kroatische Ratspräsidentschaft hatte sich vorgenommen, dieses Gipfeltreffen der 27 EU-Staaten mit den sechs beitrittswilligen Ländern auf dem Westbalkan zum Höhepunkt ihres halben Jahres an der Spitze der EU zu machen. Andrej Plenkovic, dessen Land das jüngste EU-Mitglied ist und 2013 beitrat, lag der Gipfel mit den Nachbarländern Kroatiens besonders am Herzen. Vor zwanzig Jahren hatte der heutige Premier als junger Diplomat am ersten Gipfeltreffen der damals 15 EU-Staaten mit den aus Jugoslawien hervorgegangenen Republiken teilgenommen.
Zeichen für den westlichen Balkan
Die Corona-Pandemie hatte die Pläne für einen glanzvollen Gipfel in Zagreb über den Haufen geworfen, doch die politische Botschaft sollte die gleiche bleiben. "Der Westbalkan ist weiter von großer Priorität für die EU", hatte EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi der DW gesagt. Dass sich die Teilnehmer überhaupt drei Stunden Zeit nahmen, um reihum ihre kurzen Reden zu halten, sei in den bewegten Corona-Zeiten an sich schon ein Erfolg, so EU-Diplomaten.
Die 27 Staats- und Regierungschefs erneuerten die Zusagen, dass alle sechs Westbalkan-Staaten (Serbien, Montenegro, Albanien, Nord-Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo) eine "europäische Perspektive" haben. Das sei, so Erweiterungskommissar Varhelyi nichts anderes als die Umschreibung einer vollen Mitgliedschaft. Wann es aber so weit sein wird, wann neue Mitgliedschaften vergeben werden sollen, darüber wurde bei diesem Gipfel gar nicht gesprochen.
Keine neuen Beschlüsse
Mit Serbien und Montenegro laufen die Verhandlungen seit sechs bzw. acht Jahren, mit Albanien und Nord-Mazedonien sollen sie bald starten, nachdem der Verhandlungsprozess auf französischen Druck hin reformiert wurde. Kosovo und Bosnien-Herzegowina sind noch weit von der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entfernt. Kosovo und Serbien müssten zunächst ihren Konflikt um den Status der einst abtrünnigen Provinz Kosovo lösen, das von Serbien und fünf EU-Staaten nicht als Staat anerkannt wird. "Ich glaube persönlich, dass Bosnien-Herzegowina jetzt verdient, als offizieller Beitrittskandidat anerkannt zu werden," machte der kroatische Ratsvorsitzende dem Nachbarstaat Hoffnung. Konkrete Zeitpläne wurden auf diesem virtuellen Gipfel nicht vorgelegt. Entscheidungen darüber sind erst im Juni oder Oktober vorgesehen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte nach dem Gipfeltreffen noch einmal klar, dass die Bewerber selbst für schnellere Verhandlungen sorgen könnten. Das sei der Anreiz der neuen reformierten Verhandlungsmethodik. "Je schneller sie zugesagte Reformen umsetzen, desto schneller können wir Verhandlungskapitel öffnen. Jetzt auch mehrere gleichzeitig, das ist neu", sagte von der Leyen. Neu ist auch, dass die Verhandlungen schneller abgebrochen werden können als bisher, wenn ein Kandidat in seinem Reformeifer nachlässt.
Corona-Hilfen für den Balkan
Die EU sagte den Westbalkan-Staaten 3,3 Milliarden Euro an Finanzhilfe zu, um die Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen. Für den Westbalkan empfinde die Union "eine besondere Verantwortung, gerade auch in Bezug auf das Coronavirus", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die sechs Staaten bekämen mehr Hilfen als jede andere Staatengruppe von der EU, so die Chefin der EU-Verwaltung. Die EU sagte außerdem in ihrer Abschlusserklärung zu, einen umfangreichen Investitionsplan für die Region aufzulegen. Der war bereits vor der Pandemie beschlossen worden.
"Eine Menge Dankbarkeit"
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic hatte zu Beginn der Corona-Krise bezweifelt, dass es eine europäische Solidarität gebe und sie als Illusion bezeichnet. Beim Eintreffen einer Hilfslieferung aus China küsste er ostentativ die chinesische Flagge. Daraufhin sollen eine Gipfelteilnehmer heute etwas mehr Dankbarkeit von den Westbalkan-Staaten für die Zuwendungen aus der EU eingefordert haben. Der Gastgeber der Konferenz, der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic, wollte das auf eine Frage der DW in der abschließenden Pressekonferenz nicht kommentieren.
"Ich kann hier nicht für andere Regierungschefs sprechen, aber es wurde ganz klar, dass alle sechs Länder die EU als Ziel haben. Das ist ihr abschließendes Ziel", sagte Plenkovic. Dabei habe dieser Gipfel geholfen. "Es gibt eine Menge Dankbarkeit in den Hauptstädten der Region für das, was die EU unternimmt. Und wenn sie sich das ansehen, sind die Länder sozusagen von der EU umgeben. Sie können ja nirgendwo anders hingehen."
In der Gipfelerklärung fordern die EU-Staaten die Westbalkan-Staaten auf, sich an die außenpolitischen Grundsätze der Union zu halten. Es geht darum, zu großen Einfluss Chinas, Russlands oder der USA auf dem Balkan abzuwehren.
Der kroatische Gastgeber empfahl, die Westbalkan-Gipfel regelmäßig alle zwei Jahre abzuhalten. Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, fand es schade, dass man nicht nach Zagreb reisen konnte, versprach Premier Plenkovic aber, dass man das physische Zusammentreffen nachholen werde. Irgendwie. Irgendwann nach Corona.