EU will keine Wagenburg werden
22. Juni 2002In der Europäischen Union haben jetzt die Konservativen das Sagen. Bundeskanzler Schröder stritt in Sevilla zwar ab, dass er sich bald "wie der letzte Mohikaner fühle" - aber die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Rat, dem höchsten Entscheidungsgremium der Union weisen in eine andere Richtung. Und mit dem politischen Richtungswechsel ändern sich auch die thematischen Schwerpunkte bei den Gipfeltreffen der Europäischen Union. Waren es früher Sozial- und Arbeitsmarktfragen, so standen in Sevilla jetzt Migration und illegale Einwanderung im Mittelpunkt der Beratungen.
Die EU erlebt einen politischen Klimawechsel. Und der Zulauf der Rechtspopulisten setzt die Regierungen zusätzlich unter Druck, beim hoch emotionalen Thema Einwanderung nicht den Anhängern von Jörg Haider oder dem ermordeten Pim Fortuyn das Feld zu überlassen. Und dabei stellen die EU-Regierungen fest, dass sie auf dieselben Probleme dieselben Antworten haben.
Zum einen: Europa ist keine Wagenburg. Die EU ist offen für Flüchtlinge und Asylsuchende, ob aus den Folterkellern von Saddam Hussein und Syriens Potentat Bachar el Assad oder aus den zahlreichen Elendsvierteln dieser Welt. Europa will nicht zur Festung Europa werden. Das machten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen in Sevilla deutlich. Genauso klar aber ging ihre Botschaft an die Schlepper- und Schleuserbanden, die neuen Menschenhändler, die Milliarden mit dem Elend anderer machen. Diesen soll das kriminelle Handwerk gelegt werden.
Nicht weit vom Tagungsort hätten die Staats- und Regierungschefs sogar direkten Anschauungsunterricht nehmen können. In der Straße von Gibraltar, zwischen Marokko und Spanien versuchen fast jede Nacht Menschen auf Schlauchbooten und klapprigen Kähnen den alten Kontinent zu erreichen, der ihnen ein besseres, oder überhaupt ein Leben verspricht. Nicht selten endet dieses Unternehmen tödlich, weil die Boote von den Schleusern um des Profits willen völlig überladen werden, oder schlichtweg menschlicher Ballast abgeworfen wird, wenn die Schiffe der Guardia Civil sich nähern.
Dagegen will die EU jetzt gemeinsam vorgehen, etwa durch polizeiliche Kooperation, durch Unterstützung der Länder, die Außengrenzen an der Küste haben, wie Italien, Spanien und Griechenland. Am Ende soll dann irgendwann sogar eine gemeinsame EU-Grenzpolizei stehen. Aber die EU-Politiker haben auch erkannt, dass es fast schon zu spät zum Handeln ist, wenn die Schlepperboote erst einmal auf dem Meer sind. Deshalb hatte die spanische Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, Sanktionen gegen Herkunfts- und Transitländer zu verhängen, wenn sie nicht mit der EU kooperieren und zum Beispiel Schleuserschiffe aus dem Hafen auslaufen lassen. Soweit wollten aber nur einige in der Europäischen Union gehen. Die Sanktionsfrage rührte an die Grundsätze der nationalen Außenpolitiken, an Frankreichs traditionelle Beziehungen zu den arabischen Staaten oder an die moralische Außenpolitik der Schweden. Und da zeigte sich dann doch, dass Europa trotz des politischen Klimawechsels hin zu den Konservativen so einheitlich nicht ist.