1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internet lernt vergessen

Jeanette Seiffert13. Mai 2014

Google muss unter bestimmten Umständen sensible persönliche Daten aus seinen Suchergebnissen entfernen, hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Gibt es jetzt ein generelles "Recht auf Vergessenwerden" im Netz?

https://p.dw.com/p/1Bytb
Foto: Oliver Berg/dpa.
Bild: picture-alliance/dpa

Wenn der Chef im Internet auf Fotos vom Besäufnis aus den Jugendtagen seines Angestellten stößt oder die neue Freundin auf einen Eintrag über frühere Sexabenteuer, kann das ziemlich peinlich werden. Datenschützer fordern deshalb seit Langem ein "Recht auf Vergessenwerden". Bisher war es kaum möglich, sich gegen unerwünschte Einträge im Internet zu wehren. Doch nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass der Suchmaschinenbetreiber Google dazu gezwungen werden kann, bestimmte Suchergebnisse zu löschen. Ein Grundsatzurteil, das die Rechte der Verbraucher im Internet erheblich stärkt. Geklagt hatte ein Spanier, über den bei Google bis heute Informationen über die Zwangsversteigerung seines Hauses vor 15 Jahren zu finden sind. Er sah damit seine Persönlichkeitsrechte verletzt.

Die Entscheidung des Luxemburger Gerichts kam für viele überraschend, denn der Generalanwalt des EuGH hatte in einer Stellungnahme vor einigen Monaten noch eine andere Sichtweise vertreten. Auch Google Deutschland zeigt sich verwundert über den Richterspruch: "Diese Entscheidung ist nicht nur für Suchmaschinen enttäuschend, sondern auch für alle, die Inhalte online publizieren", so ein Sprecher in einer Stellungnahme gegenüber der DW. Man benötige nun Zeit, um die Auswirkungen zu analysieren.

Technik gegen Datenschutz

Thorsten Strufe, Informatik-Professor an der Technischen Universität Dresden, hält das Urteil aus technischer Sicht für schwierig: Er zweifelt daran, dass man Suchmaschinenbetreiber wie Google für das verantwortlich machen kann, was sie in ihren Suchergebnissen anzeigen. "Wenn man sich anschaut, was Google mit der Suche tatsächlich tut, kann man sich darüber streiten, ob das tatsächlich die Verarbeitung von Informationen ist oder einfach nur die Bereitstellung von Daten."

Aus Datenschutzgründen sei es zwar nachvollziehbar, dass sich einzelne Personen gegen die Macht großer Datensammler wie Google oder Facebook wehren wollten - ein "Recht auf Vergessenwerden" könne es aber in einem freien Internet nicht geben. Der Internetexperte warnt zudem vor dem naiven Glauben, dass sich Informationen im Netz dadurch vollständig entfernen lassen, dass sie bei Google nicht mehr auftauchen. Es sei schließlich der Zweck des Internets, Daten nicht verloren gehen zu lassen: "Wenn ich jemanden suchen lasse, der sich damit auskennt, dann werde ich die Informationen trotzdem weiterhin im Netz finden."

Foto: dpa.
Google-Datenzentrum in Oklahoma: Technik gegen das VergessenBild: picture-alliance/dpa

Urteil mit Hintertürchen

Für Christian Solmecke, Fachanwalt für Datenschutz und Internetrecht, markiert das Luxemburger Urteil dagegen einen Wendepunkt beim Datenschutz in Europa: "Es sieht tatsächlich so aus, als ob sich nun jedermann gegen die großen Player aus den USA durchsetzen kann", sagte er im DW-Interview. Bisher habe er Menschen, die zu ihm in die Kanzlei kamen, die bestimmte Suchergebnisse löschen lassen wollten, meistens enttäuschen müssen.

Allerdings habe das Gericht ein Hintertürchen offen gelassen: Letztlich bleibe es weiterhin eine Abwägungsfrage, ob die unerwünschten Informationen im Einzelfall tatsächlich aus den Suchergebnissen verschwinden müssten. "Und Google prüft tatsächlich jeden einzelnen Fall. Das wissen wir aus der so genannten Autocomplete-Entscheidung, bei der der Bundesgerichtshof Google verboten hat, Wörter in der Suchtrefferliste hinzuzufügen, die persönlichkeitsverletzend sind."

Foto: Foto: Oliver Berg dpa/lnw
Datenschutz-Anwalt Solmecke: Google muss Rechtsabteilung aufstockenBild: picture-alliance/dpa

Zudem unterscheidet der EuGH in seinem aktuellen Urteil zwischen Informationen über normale Bürger und Berichten über Menschen, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Prominente haben also vermutlich auch in Zukunft kaum eine Chance, unerwünschte Suchergebnisse im Zusammenhang mit ihrer Person löschen zu lassen. Eine Klagewelle gegen Google erwartet Solmecke deshalb nicht: Die Erfahrung habe gezeigt, dass Normalbürger nur selten ihre Persönlichkeitsrechte im Internet rechtlich durchsetzten: "In Zukunft wird Google seine Rechtsabteilung aber aufstocken müssen."

Deutschland blockiert neue EU-Datenschutzregeln

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat das Urteil zum Recht auf Vergessen im Internet begrüßt. "Der EuGH hat dem Grundrecht auf Datenschutz erneut einen hohen Stellenwert eingeräumt", erklärte er in Berlin. Noch mehr dürfte sich aber die stellvertretende Vorsitzende der EU-Kommission Viviane Reding von den Luxemburger Richtern bestätigt fühlen. Sie kämpft seit langem für neue Datenschutzrichtlinien in der EU. Die derzeit gültigen stammen noch aus dem Jahr 1995 und sind entsprechend veraltet.

Der Entwurf, dem das Europaparlament bereits zugestimmt hat, sieht vor, dass sich künftig nationale Aufsichtsbehörden darum kümmern sollen, die Persönlichkeitsrechte der Bürger im Internet durchzusetzen. "Sie können dann auch sehr hohe Strafen verhängen für Unternehmen, die sich diesen Regeln nicht anpassen wollen", so Reding im Deutschlandfunk. "Das kann bis zu fünf Prozent des weltweiten Jahresumsatzes gehen." Das werde auch Internet-Giganten wie Google dazu bringen, sich den Gesetzen in der EU zu beugen.

Foto: AFP/JOHN THYS
Reding: Google wird sich EU-Gesetzen beugenBild: Getty Images/Afp/John Thys

Doch einige nationalen Regierungen zögern noch, dem Entwurf zuzustimmen - auch die Bundesregierung: "Deutschland ist das Zünglein an der Waage", sagt Reding. "Wenn Deutschland aufhört zu blockieren, dann haben wir eine neue Datenschutzverordnung." Auch wenn das "Recht auf Vergessenwerden" in dem Entwurf nicht wörtlich genannt werde, seien die Formulierungen deutlich genug, um mehr Persönlichkeitsrechte im Internet durchzusetzen. Viviane Reding lässt auch das technische Argument nicht gelten, dass das Internet gar nichts vergessen kann: "Ich sage immer: Wer speichern kann, der kann auch löschen."