"Euro in systemischer Krise"
6. Juli 2012Es sei eine Situation entstanden, "die den Fortbestand der gemeinsamen Währung und die ökonomische Stabilität Deutschlands gleichermaßen gefährdet", schreiben die Wirtschaftsweisen in einem am Freitag veröffentlichten Sondergutachten.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wie das Gremium offiziell heißt, berät die Bundesregierung in ökonomischen Fragen. Die fünf Ökonomen glauben nicht, dass die Beschlüsse des Euro-Gipfels der vergangenen Woche die Schuldenkrise langfristig lösen können. Die Entscheidungen der Staats- und Regierungsschefs könnten die Lage im Euro-Raum zwar kurzfristig stabilisieren, heißt es im Gutachten, doch die Krise bleibe ungelöst. Es drohen sogar neue Zuspitzungen, wenn der Teufelskreis aus Bankenkrise, Staatsschuldenkrise und makroökonomischer Krise nicht durchbrochen werde.
"Keine übereilte Bankenunion"
Die Wissenschaftler schlagen deshalb einen zeitlich befristeten Pakt zur Schuldentilgung vor. Außerdem fordern sie, nur dann Hilfen an notleidende spanische Banken auszuzahlen, wenn "klare Kriterien zur Rekapitalisierung und Restrukturierung befolgt würden.
Diese Voraussetzung für Finanzhilfen sei aber "auf absehbare Zeit nicht erfüllt", kritisieren die Sachverständigen. Deshalb müsse die Bankenaufsicht dringend reformiert werden, um Institute auch schließen zu können. Die Wirtschaftsweisen warnten zudem, die Lösung der Krise dürfe "nicht zu einer übereilten Einführung einer Bankenunion führen".
Am Vortag hatten sich bereits 160 Wirtschaftsprofessoren rund um den Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, öffentlich gegen die bei dem jüngsten EU-Gipfel beschlossene Bankenunion ausgesprochen, weil sie dadurch Haftungsrisiken für die deutschen Steuerzahler sehen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Kritik zurückgewiesen und gesagt, es gehe nur um "eine bessere Bankenaufsicht" und "überhaupt nicht um eine zusätzliche Haftung". Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte den Professoren vorgeworfen, sie würden die Öffentlichkeit mit falschen Begriffen verwirren. "Ich finde das empörend. Ich finde das der Verantwortung eines Wissenschaftlers nicht entsprechend", so der CDU-Politiker.
Weil auch einige Wirtschaftswissenschaftler die Einschätzung der Regierung teilen, ist in deutschen Medien bereits von einem Ökonomen-Streit die Rede. Die fünf Wirtschaftsweisen beziehen in ihrem Gutachten vom Freitag offiziell keine Stellung in diesem Streit.
bea/ml (rtr, dapd, dpa)