Euro-Klage
5. September 2011Unter großem Druck wurden sie durchgewunken - die Gesetze zum Euro-Rettungsschirm und zur Griechenland-Hilfe. So schnell, dass die Abgeordneten nicht wirklich frei darüber entscheiden konnten, behaupten die Beschwerdeführer in Karlsruhe.
Wirtschaftsprofessor Joachim Starbatty gehört zu dieser Gruppe von Euro-Skeptikern. Er ist der Ansicht, dass die Entscheidungen gegen das hoheitliche Budgetrecht des Parlaments verstoßen. "Es kann nicht im Sinne der europäischen Entwicklung sein, dass im Zuge der Euro-Zone und der Gefährdung des Euros dem Parlament das zentrale Recht der Budgethoheit genommen wird", so Starbatty zu DW-WORLD.DE.
Den Bundestag nicht gut behandelt
Nach Ansicht des Grünen-Abgeordneten Manuel Sarrazin geht es den Beschwerdeführern eigentlich darum, den Euro zu kippen, wie sie es in einer früheren Verfassungsbeschwerde schon einmal erfolglos - versucht haben. Sarrazin hat als Mitglied im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union die mündliche Verhandlung Anfang Juli in Karlsruhe verfolgt. Er räumt ein, dass die Bundesregierung den Bundestag in dieser Frage nicht ausreichend gut behandelt hat. Doch er argumentiert: "Die Kläger wenden sich nicht gegen die Behandlung des Bundestages, sondern gegen die beschlossenen Maßnahmen." Die Bundesregierung habe zwar damals ein schnelleres Verfahren gewählt, was aus seiner Sicht nicht unbedingt notwendig gewesen sei. Trotzdem hätte sich der Bundestag ausführlich mit den Fragen beschäftigt und konnte so zu einer Entscheidung kommen, meint Sarrazin.
Er glaubt nicht, dass das Bundesverfassungsgericht die Euro-Hilfsmaßnahmen antasten wird, denn damals habe es eine politische Mehrheit dafür gegeben, zu agieren, um schwerwiegende Folgen zu verhindern. Diese politische Entscheidung werde das Gericht nicht anzweifeln, glaubt Manuel Sarrazin. Der Schwerpunkt der Entscheidung, so der Grünen-Politiker, werde wohl in der Frage liegen, ob die Rechte des Bundestags gewahrt waren oder nicht.
"Der Rettungsschirm wird nicht gekippt"
Der Europarechtler Ingolf Pernice begleitete die Vertreter der Europäischen Zentralbank bei der mündlichen Verhandlung. Er geht davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht sowohl die Griechenland-Hilfe als auch den Euro-Rettungsschirm für verfassungsgemäß erklären wird. "Aber mit einem ganz großen Aber. Und vermutlich werden hinter diesem Aber eine ganze Menge Kautelen stehen" - Auflagen, die sicherstellen sollen, dass die Bundesregierung künftig solche Entscheidungen nicht ohne eine vorherige Entscheidung oder Ermächtigung des Bundestages fällen kann.
Ähnlich sieht das auch sein Kollege von der Freien Universität Berlin, Christian Calliess: Vor allem für den permanenten Rettungsschirm EFSF, der künftig weitreichendere Hilfsleistungen vorsieht und dem die nationalen Parlamente noch zustimmen müssen, könnte Karlsruhe auf die unabdingbare Mitwirkung des Bundestages pochen, glaubt Calliess.
Doch auch gegen EU-Verträge ist verstoßen worden – vor allem gegen die No-Bail-Out-Klausel, das Verbot, andere Staaten finanziell zu unterstützen. Christian Calliess glaubt aber nicht, dass man darüber die Euro-Hilfsmaßnahmen kippen könnte - selbst der Europäische Gerichtshof in Luxemburg nicht. "Denn man muss sich die Frage stellen, ob eine Norm dazu führen darf, dass praktisch der Euro und damit vielleicht auch die Europäische Union insgesamt scheitern", erklärt Calliess.
Kanzlerin Angela Merkel habe zu Recht im Bundestag argumentiert, dass es um eine Ultima-Ratio-Entscheidung zur Rettung des Euro und der EU ging, so Calliess weiter. Ob die Situation tatsächlich so war, obliege der Einschätzung der politischen Akteure, betont der Europarechtler. Aber das Argument sei richtig, dass die No-Bail-Out-Klausel nicht gegen den Euro und die Europäische Union gekehrt werden könne. "Man kann eine Norm nicht so auslegen, dass sie das ganze System zerstört", stellt Christian Calliess klar.
Verträge gelten trotz Verfassungswidrigkeit
Gesetzt den Fall, das Bundesverfassungsgericht erklärt die bisherigen Rettungsmaßnahmen doch für verfassungswidrig? Nach Ansicht des Europa-Politikers der Grünen, Manuel Sarrazin, würde dies faktisch das Ende des Euro-Rettungsschirms bedeuten - mit sehr weitreichenden Folgen.
Der Europarechtler Ingolf Pernice hingegen wiegelt ab: In der Praxis würde auch eine solche Entscheidung nicht viel ändern, glaubt er, weil die internationalen Verpflichtungen Bestand hätten. Falls Karlsruhe die Verfassungswidrigkeit der Griechenland-Hilfe und des Euro-Rettungsschirms feststellt, sei das ganz furchtbar für die Finanzmärkte und die Zukunft des Euro, aber nur in der politischen Wirkung und nicht in der rechtlichen Wirkung, so Ingolf Pernice: "Denn völkerrechtliche Verträge müssen eingehalten werden – so oder so."
Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Rolf Wenkel