Eurobonds für China?
19. September 2012DW: Herr Sieren, bei der letzten Begegnung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao hat Wen die typisch asiatische Höflichkeit ganz abgelegt und seinen Zweifel am Euro zum Ausdruck gebracht. Sie haben Kontakte zum Notenbankkreis in China. Haben die Chinesen den Euro innerlich schon abgeschrieben?
Sieren: Das glaube ich nicht. Ich glaube, sie sind wirklich besorgt, weil der Euro für die Chinesen sehr wichtig ist. Sie wollen ein Gegengewicht zum US-Dollar haben, sie denken ja in Balancen. Und die Sorge sollte eher zum Ausdruck bringen, dass die europäischen Nationen, vor allem die führenden Nationen, keine Zeit verlieren sollten, um das Problem so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen.
Verstehen die Chinesen, warum Europa das bisher nicht geschafft hat?
Na ja, das ist natürlich selbst für Spezialisten sehr schwierig zu verstehen, weil man von außen nicht so ganz zu unrecht den Eindruck hat, dass die Europäer in einer Art und Weise handeln oder nicht handeln, dass es ihnen schadet. Normalerweise würde man sagen, in einer Krise wächst man zusammen, steht für einander ein. Aber in Europa scheint das offensichtlich noch nicht der Fall zu sein. Und das ist in China, wo die reichen Provinzen den armen selbstverständlich helfen, sehr schwer zu verstehen.
Die Chinesen sitzen in einer Zwickmühle. Sie haben einerseits ein starkes Interesse am Erhalt des Euro. Die Regierung hat auch immer wieder beteuert, den Krisenländern helfen zu wollen, und hat bereits eine Menge Staatsanleihen dieser Länder gekauft. Andererseits kann sie sich innenpolitisch eine Fehlinvestition im großen Stil nicht mehr leisten, nachdem sie mit ihren Dollar-Beständen bereits Verluste erlitten hat. Wie geht China mit dieser Situation um?
Im Zweifel sagt die chinesische Regierung natürlich, dann lassen wir es sein. Und mich wundert schon, dass die Europäer nicht in der Lage sind, den Chinesen ein attraktives Produkt anzubieten, also einen Bond, bei dem die Gewichtung zwischen Krisenländern und stabilen Ländern ausgewogen ist. Denn die Interessen Europas und die Interessen Chinas decken sich ja in diesem Bereich. Beide wollen, dass es ein starkes Europa gibt. Sie wollen es sicherlich aus unterschiedlichen Gründen - die Europäer wollen wettbewerbsfähiger sein, die Chinesen wollen gegen Amerika ausbalancieren. Aber das ist ja am Ende gar nicht so wichtig. Wichtig ist, dass es die Schnittmenge gibt. Und ich glaube, wenn es dieses Angebot gäbe, würden die Chinesen eine große Summe in Europa investieren.
Wie könnte so ein Bond Ihrer Meinung nach aussehen?
Das wäre nicht ein Bond der Italiener und Spanier, wo das ganze Risiko bei den Chinesen liegt, sondern man könnte das ein bisschen mischen. Ein bisschen spanisches Risiko, ein bisschen deutsches Vertrauen, und die Franzosen garantieren mit. Heraus kommt eine Art europäischer Staatsanleihe, die ausgewogen ist und die die Chinesen nicht dazu zwingt, einseitig auf die Krisenländer zu setzen. Das war der Vorschlag, der beim letzten Besuch von der deutschen Seite kam. Nach dem Motto: Kauft Staatsanleihen der Spanier und der Italiener. Das kann die chinesische Regierung gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung nicht verantworten, weil man ja schon in Amerika ein riskantes Spiel mit den riesigen Summen von Staatsanleihen spielt.
Aber das wären doch die bekannten Eurobonds, die es zu Lebzeiten von Frau Merkel nicht geben soll.
Ich habe die bewusst nicht Eurobonds genannt, weil dieses Wort schon so stark besetzt ist, dass dann sofort die einen "Hurra" schreien und die anderen die Messer aus der Tasche ziehen. Und es wäre ja auch ein Produkt, das man speziell für die Chinesen entwickeln würde. Insofern wäre es schon so etwas wie ein Eurobond, aber es würde speziell gewichtet werden. Meiner Ansicht nach wird uns Deutschen ohnehin nichts anderes übrig bleiben als die Zeche zu bezahlen. Wer soll es denn sonst tun? Und in solchen Krisen lautet eigentlich die Devise, je früher man bezahlt, desto besser.
Ich halte die grundsätzliche Einstellung der deutschen Politik für richtig, dass man nur bezahlen will, wenn die Empfängerländer dafür Verpflichtungen eingehen. Ich glaube nur, dass man den Zeitpunkt verpasst hat, dies effizient durchsetzen zu können. Insofern ist es eine Art Zwickmühle, in der die deutsche Regierung steckt. Und dadurch, dass die EZB sich selber entschlossen hat, zu handeln, ist ihr ja diese Verantwortung ein bisschen genommen worden. Denn wenn die EZB Staatsanleihen kauft, dann ist das im Grunde eine Art Eurobonds durch die Hintertür.
Das Interview führte Zhang Danhong.
Frank Sieren lebt seit anderthalb Jahrzehnten in China und ist einer der renommiertesten deutschen China-Experten. Er schreibt eine Kolumne für das "Handelsblatt" und Bücher über China. Sein neuestes Buch "Angst vor China" erscheint demnächst auch in chinesischer Sprache.