Europäer ziemlich einig im Angesicht der Krise
7. Oktober 2022Das große Familientreffen der paneuropäischen Freunde und Nachbarn auf der Prager Burg war eine Kopfgeburt des französischen Präsidenten. Und Emmanuel Macron war am Ende zufrieden mit dem Gründungstreffen der European Political Community (EPC): Man habe eine Botschaft der Einigkeit an die Ukraine gesandt, einige der Regierungschefs hätten sich nach Jahren zum ersten Mal getroffen, und man habe versucht, festgefahrene regionale Konflikte in bilateralen Treffen zu behandeln. "Bürgerkriege sind die Kinderkrankheit Europas, und indem wir diese Europäische Politische Gemeinschaft schaffen, versuchen wir sie zu überwinden."
Gemeinsam gegen Russland
Das Treffen der ECP war auch ein Triumph der diplomatischen Kunst und der cleveren Strategie der Veranstalter. Endlose Monologe, offene Ausbrüche von Feindseligkeit und eine Dominanz der großen EU-Länder konnten sie verhindern. Einmal mehr nahm auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit einer Videobotschaft teil. "Russland hat nur eine Politik: Krieg gegen die Ukraine, gegen Europa, gegen die Welt", erklärte er aus Kiew und bat die versammelten Regierungschefs, alles für ein Ende des Kriegs zu tun.
Selenskyj forderte mehr Sanktionen - wobei die EU gerade erst das achte Sanktionspaket beschlossen hat - mehr Militärhilfe und Sicherheitsgarantien, bis sein Land NATO-Mitglied werden könne. "Der Tag wird kommen, wenn das russische Böse verliert", beschwor er und wurde mit Applaus bestätigt.
Dann kam der Auftritt von Edi Rama. Der albanische Premier trug zur Ehre des Tages einen außergewöhnlich bunten Schlips und legte als Eröffnungsredner den europäischen Kolleginnen und Kollegen seine Sicht auf Russland und die Energiekrise dar. Rama hatte seine Gedanken zuvor gemeinsam mit dem Niederländer Mark Rutte auf der Internetplattform "Politico" veröffentlicht. "Es ist eine Tatsache, dass Russlands unprovozierte Aggression uns dazu zwingt, die Grundlagen unseres Kontinents zu überdenken, und wie wir unsere Demokratie und gemeinsamen Werte schützen". Dafür brauche es eine starke, nachhaltige und einige Antwort der Europäer.
Auch Albanien sitzt schon jahrelang im Wartesaal der EU und begrüßt daher das neue Format der Europäischen Politischen Gemeinschaft. "Das ist ein Ort, wo alle demokratischen Staaten ihre Sorgen und Herausforderungen diskutieren und Antworten suchen können." Das Ganze solle dabei den strukturierten Beitrittsprozess für EU-Kandidatenländer aber nicht tangieren, so Rama.
Liz Truss auf Partnersuche
Trotz ihrer Probleme zu Hause schien die britische Premierministerin Liz Truss vor Selbstbewusstsein zu strotzen, als sie in Prag zum ersten Mal seit dem Brexit wieder an einem europäischen Treffen teilnahm. Sie betonte den Beitrag ihres Landes zur Verteidigung der Ukraine und forderte die Europäer zu mehr militärischer Unterstützung auf. Vor allem aber ging es ihr darum, Energielieferungen an Großbritannien für den kommenden Winter sicherzustellen. Sie appellierte an Norwegen aber auch die Nachbarn in Frankreich, die britische Insel weiter zu versorgen, wenn Gas und Elektrizität dort knapp würden.
Überhaupt wirkte ihr Auftritt wie eine Kehrtwende im Verhältnis zu Europa. In einer Stellungnahme der Downing Street war plötzlich wieder von den "europäischen Freunden" die Rede und ein Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz wurde als sehr freundlich beschrieben. Auch bei ihm bemühte sich die Britin um Zusammenarbeit bei Energieprojekten.
Und schließlich nutzte Truss ein bilaterales Treffen mit dem französischen Präsidenten, um ein Verhältnis zu reparieren, das sie selbst zerstört hatte. Im Sommer im parteiinternen Wahlkampf hatte ihn die heutige Premierministerin noch fast zum Feind erklärt. Natürlich sei Macron ein Freund, sie habe nie etwas anderes gemeint, beeilte sie sich in Prag, ihre Verbalattacken wieder geradezurücken - schließlich gilt es für die Premierministerin auch, das Problem der Flüchtlingsboote im Ärmelkanal zu lösen.
Ganz im Geiste der wiedergefundenen Zuneigung vereinbarten Macron und Truss für das kommende Jahr sogleich einen britisch-französischen Gipfel.
Erdogan und andere Problemfälle
Der wichtigste Aspekt in Prag war wohl die Möglichkeit für manche, im kleinen Kreis mit Hilfe größerer Partner aktuelle Probleme zu besprechen. So traf sich Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Vertretern Serbiens und des Kosovos, um das beiderseitige Verhältnis zu entspannen.
Der französische Präsident Macron versuchte, zwischen Armenien und Aserbeidschan zu vermitteln, wo bei militärischen Auseinandersetzungen hunderte Menschen getötet worden waren. Und Armenien sprach beim türkischen Präsidenten Recep Erdogan vor, der eine Normalisierung und gute Nachbarschaft in der Region in Aussicht stellte.
Der Türke wiederum lobte das neue Forum und den guten Austausch. Gleichzeitig betonte er, sei die EPC kein Ersatz für die EU-Mitgliedschaft und werde das Beitrittsverfahren nicht beeinträchtigen. "Unsere Erwartung ist, die Beziehungen (zur EU) zu stärken und einen Beitrag zu unseren Beitrittsverhandlungen leisten zu können". Dabei weiß Erdogan genau, dass diese seit Jahren wegen demokratischer Mängel seiner Regierung auf Eis liegen und von Tauwetter keine Rede ist.
Die Lage wird dadurch verschärft, dass Ankara ständig seine Nachbarn in Griechenland provoziert und aggressiv bedroht. Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis soll den Saal verlassen haben, als Erdogan sich in Prag zu Wort meldete. In der anschließenden Pressekonferenz sagte der türkische Staatschef dann auf die Frage, ob er Griechenland angreifen wolle: "Wir reden nicht nur über Griechenland sondern sagen jedem Land, das uns angreifen will: Wir kommen in der Mitte der Nacht." Aggressive Töne, die so gar nicht in das harmonische Prager Familientreffen passten.
Auch beim Verhältnis zu Russlands Staatschef Wladimir Putin zieht der türkische Präsident nicht mit am Strang. Diesen Freitag will er mit dem Russen telefonieren und lobte sich selbst für seine Vermittlungsarbeit. Er habe immer betont, dass jeder Frieden darauf beruhen müsse, dass es am Ende "keinen Verlierer" geben dürfe, so Erdogan - eine Auffassung, die sieben Monate nach Kriegsbeginn kaum noch jemand teilt.
Und schließlich die Krönung der Krawalltour: Erdogan legt der NATO-Mitgliedschaft Schwedens weiter Steine in den Weg, weil angeblich weiterhin "Terroristen in Schwedens Straßen demonstrieren und im Parlament vertreten sind" - gemeint sind damit dortige Kurdenorganisationen.
Zum Ende dann versöhnliche Töne von der moldauischen Regierungschefin Maia Sandu, die in sechs Monaten das nächste Gipfeltreffen ausrichten will. "Dies ist eine gemeinsame Reise. Die Europäische Politische Gemeinschaft handelt gemeinsam, um Frieden, den Respekt für internationales Recht und die Sicherheit der Grenzen zu gewähren". Ein dringendes Anliegen für das kleine Moldau, das im Schatten Russlands und in Angst vor dem großen Nachbarn lebt.