Im Sitzen oder im Hocken?
19. Februar 2016Mit den mehr als eine Million Flüchtlingen hat Deutschland letztes Jahr sein "Rendezvous mit der Globalisierung" erlebt, wie es der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nennt.
Es ist zweifelsohne ein Rendezvous verschiedener Kulturen. Eilig wurden Unterkünfte, Feldbetten, Kleidung, Essen, Sprachkurse und Gesundheitsversorgung für Tausende von Neuankommenden bereit gestellt. Dabei dachte aber niemand daran, zu erklären, wie Toiletten in Deutschland funktionieren.
Der Bürgermeister von Hardheim, einer kleinen Ortschaft im Südwesten von Baden-Württemberg, brachte das Thema im Oktober auf - und erntete Spott. Er dachte, es wäre notwendig, die Asylsuchenden in seiner Gemeinde mit einem Brief abzumahnen, sich doch bitte nicht einfach in Gärten, Parks oder hinter Hecken und Büschen zu erleichtern.
Hocken oder Sitzen - unterschiedliche Standards
Zu der oft angespannten Situation in den überfüllten Notunterkünften in Turnhallen und Zelten kommt hinzu: In westlichen und orientalischen Kulturen herrschen unterschiedliche Toilettenstandards. In vielen Teilen der muslimischen Welt gibt es traditionell Hocktoiletten.
Daher sind einige Flüchtlinge zunächst ratlos, wenn sie ein westliches Spülklosett sehen, auf das man sich hinsetzt und anschließend Toilettenpapier statt Wasserschlauch nutzt. Es kam wohl teils zu grotesken Szenen: Flüchtlinge sollen sich auf die Klobrillen gehockt haben oder sich auf dem Badezimmerboden und in der Dusche erleichtert haben.
Solche Vorfälle seien jedoch nicht weit verbreitet, entgegnet Manfred Nowak von der Arbeiterwohlfahrt (AWO), einem Wohlfahrtsverband in Berlin, der derzeit 4000 Flüchtlinge in sechs Erstaufnahmeunterkünften in der Hauptstadt beherbergt. Aber das Problem mit den Toiletten existiert durchaus, so Nowak im DW-Gespräch, immer abhängig davon, wo die Flüchtlinge herkommen.
Viele Migranten sind es vermutlich nicht gewohnt, Toilettenpapier zu benutzen. Und selbst wenn: Abwischen ohne Wasser wird weithin als unhygienische Art gesehen, sich sauber zu machen. Sitztoiletten mit Spülung sind daher für viele Neuankömmlinge ein Mysterium - trotz der Erklärungs-Piktogramme, die inzwischen vielerorts aufgehängt wurden.
Multikulti-Toilette als Lösung?
Abhilfe ist jedoch in Sicht: Sanitärspezialisten der Firma Global Fliegenschmidt in Coswig, einem Ort im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt, haben eine mobile "Multikulti-Toilette" entwickelt.
Das Sitz-Hock-Modell ist überraschend simpel: Es ist eine ganz normale westliche Kloschüssel, die jedoch rechts und links eine größere Fläche zum Hocken bereit hält.
Das Klo sei erst seit ein paar Tagen auf dem Markt, so Firmenchef Peter Fliegenschmidt. Sein Unternehmen verkauft seit vielen Jahren normale Plumpsklos, aber angesichts der Flüchtlingskrise in Deutschland sah er es als Herausforderung, eine kombinierte Hock-Sitz-Toilette zu entwickeln. Erste Anfragen von Organisationen, die Flüchtlingsunterkünfte beitreiben, gäbe es bereits.
Fliegenschmidts Firma hat sich eigentlich auf mobile Toiletten nach westlichem Standard spezialisiert, wie sie zur Zeit auch von Flüchtlingsnotunterkünften nachgefragt würden. "Etwa 60 Prozent unserer Toilettenhäuschen sind für Baustellen, weitere 30 Prozent werden bei Veranstaltungen wie Messen und Konzerten genutzt", so Fliegenschmidt. Flüchtlingsunterkünfte auszustatten sei eine neue, aber vermutlich nur vorübergehende Entwicklung. Einen Markt für die neu entwickelten Multifunktionsklos sähe er vor allem im Ausland und auf Baustellen, wo oft ausländische Arbeiter beschäftigt werden.
Unterschiedliche Standards für Körperhygiene
Auch die Art und Weise, wie man sein Geschäft verrichtet, unterscheidet sich je nach Kultur. In muslimischen Gesellschaften wird nach dem Toilettengang traditionell Wasser zum Säubern benutzt. Westlich geprägte Menschen hingegen wundern sich bei Reisen in muslimische Länder, wenn das Toilettenpapier gänzlich fehlt.
Die Webseite myreligionislam.com zählt 20 Regeln und Praktiken auf, die man befolgen soll "wenn der Ruf der Natur erfolgt": Eine Regel besagt, man solle die Finger benutzen, um sich zu säubern - und diese anschließend natürlich waschen. Auch den Intimbereich mit Steinen und ähnlichen Materialien zu reinigen sei ein "akzeptabler Ersatz für Wasser", heißt es auf der Seite.
Weitere Ratschläge: Besser nicht miteinander sprechen, rauchen oder Zeitung lesen während des Toilettengangs.
Man kann nur vermuten: Über letztere Tipps zur Toilettenkultur dürfte wohl auch in Deutschland Uneinigkeit herrschen - und das nicht erst seit es hier zum "Rendezvous mit der Globalisierung" kam.