Das amerikanische Internet
8. Juli 2013Man kann es fast schon als eine Art Treppenwitz der Geschichte ansehen. Ohne europäische Forschungsgelder wären die Amerikaner heute wahrscheinlich gar nicht in der Lage, Abermilliarden von Daten aus dem Internet abzugreifen. Der heute populärste Teil des Netzes ist das "World Wide Web" und seine Grundlagen wurden Ende der 1980er Jahre am europäischen Kernforschungszentrum CERN in der Schweiz entwickelt. Das CERN ist eine Forschungseinrichtung, die gemeinsam von europäischen Ländern getragen wird. Das Internet selbst gab es natürlich schon lange vor der Entwicklung des "World Wide Web", es war seinerzeit aber ein Netzwerk für Forscher und Experten - ein Netz, von dessen Existenz die breite Öffentlichkeit bis in die 1990er Jahre hinein so gut wie nichts wusste. Erst am CERN und unter der Leitung des Briten Tim Berners-Lee ändert sich das - das WWW war die Initialzündung für das Internet als modernes Medium für die Massen.
Europa - gut im Erfinden, schlecht im Vermarkten
Das Problem der Europäer: Sie haben zwar die Grundlagen der Netztechnik geschaffen, deren Weiterentwicklung und vor allem ihre kommerzielle Nutzung aber liegt fest in den Händen amerikanischer Unternehmen. Das wird überdeutlich, wenn man sich die "Big Five" der Internetunternehmen anschaut. Weltweit die beliebtesten Seiten im Netz sind Facebook, Google, YouTube, Yahoo und Amazon. Erst auf dem sechsten Platz folgt mit der chinesischen Suchmaschine "Baidu" ein Unternehmen, das seinen Stammsitz nicht in den USA hat. Hinzu kommt: Die US-Anbieter sind nicht etwa deshalb so groß, weil sie ohnehin den riesigen amerikanischen Markt beherrschen. Auch außerhalb der USA greift man gerne auf ihre Dienste zurück. Egal ob Norwegen, Kroatien oder Portugal: In diesen und vielen weiteren europäischen Ländern ist das US-Netzwerk Facebook die beliebteste Seite.
Für US-Behörden und Geheimdienste ist das eine geradezu ideale Ausgangsposition. Hinzu kommt, dass der "Patriot Act" Abhöraktionen in der Praxis wesentlich einfacher macht. Dieses Gesetz, das im Oktober 2001 als unmittelbare Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 beschlossen wurde, macht eine Sichtung von Daten möglich, ohne dass ein Richter dafür die Genehmigung erteilen muss. Zudem bezieht sich das Gesetz auch auf US-Firmen außerhalb der USA. Das heißt: Auch wenn Facebook, Google und Co. ihre Daten in Rechenzentren außerhalb der USA speichern, haben die Geheimdienste trotzdem Zugriff darauf.
Direkt mitlesen statt anzapfen
Den US-Geheimdiensten eröffnet das mehr Möglichkeiten als jedem anderen Geheimdienst auf der Welt. Und es macht die Arbeit der Sicherheitsdienste auch wesentlich leichter. Durch die Möglichkeit, einfach und schnell auf die von den US-Unternehmen gespeicherten Daten zuzugreifen, ersparen sich NSA und Co. eine Menge Arbeit. Auf den Servern der US-Unternehmen liegen die Daten bereits in geordneter Form vor. Bei Abhöraktionen, wie dem Anzapfen von Glasfaserkabeln, wie es offenbar der britische Geheimdienst praktiziert, erhält man dagegen einen Wust von Daten, die erst geordnet und möglicherweise entschlüsselt werden müssen. Die Server der erfolgreichen US-Unternehmen, auf denen Daten auf der ganzen Welt gespeichert werden, sind daher der mit Abstand interessanteste Teil des Internets.
Gibt es Hintertürchen in den Betriebssystemen?
Mit ein wenig Fantasie lässt sich dieses Szenario noch deutlich weiter denken. Denn möglicherweise hat der US-Geheimdienst NSA Zugriff auf noch viel mehr Datenquellen. Nicht nur im Internet sind amerikanische Firmen äußerst erfolgreich, sondern US-Unternehmen stecken auch hinter einem großen Teil der Infrastruktur, die den Zugriff zum Internet erst ermöglicht. Das mit Abstand am weitesten verbreitete Betriebssystem für PCs ist "Windows" des US-Softwarekonzerns Microsoft. Seit langem wird gemutmaßt, das Unternehmen könnte für die NSA eine Hintertür in seine Software eingebaut haben. Einen Beweis dafür gibt es bis heute nicht, aber eine solche "Backdoor" würde dem Geheimdienst direkten Zugriff auf Millionen Computer weltweit ermöglichen. Und auch in anderen Bereichen wie der Vermittlungstechnik für das Netz oder bei modernen Handys, den Smartphones, geben US-Unternehmen wie Apple, Google oder Cisco den Ton an.
Linux als europäische Alternative?
Es wird in ganz Europa vermutlich kein Unternehmen und keine Behörde geben, deren PCs oder internen Computer-Netzwerke komplett ohne Produkte US-amerikanischer Hersteller auskommen. Bisher war das ja auch kein Problem, denn die USA galten als Freund und verlässlicher Partner. Nach den Abhörskandalen kann man das nicht mehr ohne weiteres gelten lassen. Die Frage ist nur: Welche Alternativen haben europäische Unternehmen und Behörden überhaupt?
Im Bereich der Betriebssysteme gibt es eigentlich nur eine Alternative: Linux. Die Besonderheit dieses Betriebssystems ist, dass sein Programmcode offen liegt. Jeder kann ihn einsehen, überprüfen und verändern. Selbst wenn eine Hintertür für den Geheimdienst eingebaut sein sollte, würde diese höchstwahrscheinlich nach kurzer Zeit entdeckt. Linux ist darüber hinaus das wohl beste Beispiel, dass Europäer in Sachen Internet und Computer nach wie vor anders denken und arbeiten als US-Amerikaner: Angestoßen wurden die Entwicklung von Linux Anfang der 1990er Jahre von einem Europäer - vom Finnen Linus Torvalds.