Europa soll mehr Engagement zeigen
6. Februar 2014Ob bei den Konflikten in Syrien oder in Libyen: Europas Interventionsbereitschaft war gering in den vergangenen Jahren. In der westlichen Welt schwindet der öffentliche wie der politische Rückhalt für Militäreinsätze. Vor diesem Hintergrund wirkten die Reden regelrecht kühn, die auf der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz zur Zunkunft von Auslandseinsätzen gehalten wurden.
Während der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck den Vorschlag machte, dass sich die Bundeswehr "aus Prinzip" nicht aus internationalen Konflikten heraushalten sollte, versuchte US-Außenminister John Kerry, einen neuen Geist des westlichen Bündnisses heraufzubeschwören. "Als transatlantische Gemeinschaft können wir uns nicht zurückziehen. Wir müssen mehr tun, als uns nur wieder zusammenzufinden - alle von uns", sagte er auf der Konferenz. "Was wir im Jahr 2014 brauchen, ist eine transatlantische Renaissance. Wir brauchen eine wahre Explosion von Energie, Engagement und Investitionen, um die Wurzeln unserer eigentlichen Kraft zu stärken: Unseren wirtschaftlichen Wohlstand, unsere gemeinsame Sicherheit und die gemeinsamen Werte, die uns aufrecht erhalten".
Unmissverständliche Botschaft
Wer genau sich an die Spitze dieses Engagements setzen soll, ist weniger klar. Kerrys Wortwahl schloss - zumindest oberflächlich - alle ein: "Um die Herausforderungen von heute zu meistern, ob nah oder fern, braucht Amerika ein starkes Europa, und Europa braucht ein engagiertes Amerika. Das heißt, es gibt für keinen von uns die Option, sich nach innen zu wenden. Nur wenn wir gemeinsam anführen, werden sich andere uns anschließen".
Trotz des versöhnlichen Tons sagen Experten, die Botschaft sei mehr als deutlich. Nick Witney, ehemaliger britischer Diplomat und Mitglied der Denkfabrik European Council on Foreign Relations, deutet die Rede Kerrys gegenüber der DW so: "Die 'transatlantische Renaissance' ist eine höfliche Art zu sagen: Es wird Zeit, dass ihr Europäer erwachsen werdet und euch um die Probleme in eurer eigenen Umgebung kümmert."
Verteidigungsausgaben schrumpfen
Aber welche Bedeutung haben solche Worte, wenn Europa selbst so viele wirtschaftliche Probleme hat, dass es fast unmöglich ist, sich nicht "nach innen zu wenden"? Das in Großbritannien ansässige Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) hatte in den vergangenen Tagen seine "Military Balance" veröffentlicht - die mit Spannung erwartete jährliche Bewertung der weltweiten Rüstungsaktivitäten. Schon das Vorwort fasst die schwierige Lage Europas zusammen: "Die Verteidigungsausgaben in den europäischen Ländern schrumpfen in einer Zeit, in der die Neuausrichtung der US-Verteidigungspolitik im Asien-Pazifik-Raum einen großen Teil der Last für die internationale Sicherheit auf Europa legt".
"Wie passt das alles zusammen? Gar nicht - das ist wohl das Fazit im Moment", erklärt Henrik Heidenkamp, ehemaliger Strategieberater im deutschen Verteidigungsministerium und Forschungsstipendiat am Royal United Services Institut in London, im Gespräch mit der DW. "Gaucks Rede muss als kritische Stimme betrachtet werden - eine Erinnerung daran, was die Verantwortung des Staates ist und sein sollte". Nach Heidenkamps Einschätzung gibt es nur einen Weg, Gaucks Vision zum Leben zu erwecken: "Man muss an der Kooperation unter den europäischen Nationen arbeiten". Im Augenblick aber "gibt es noch eine Menge Rangeleien um nationale Vorrechte, die es schwierig machen."
2014 - Das entscheidende Jahr
"Das bedeutet schwierige Entscheidungen", sagt Heidenkamp. "Welche Fähigkeiten sind wir bereit zu bündeln und zu teilen? Wo sind wir bereit, auf Souveränität zu verzichten und diese auf eine europäische Ebene zu übertragen? Das gilt übrigens auch für militärisch-industrielle Leistungen". Es gibt viele Anzeichen dafür, dass 2014 ein entscheidendes Jahr für die militärische Zusammenarbeit wird. Die NATO-Mission in Afghanistan läuft aus und das Treffen des Bündnisses in Großbritannien im September wird eine gute Gelegenheit sein, die Zukunft solcher Missionen zu überdenken.
Witney glaubt, dass es bei der Afghanistan-Mission mehr um Diplomatie als um die Schaffung einer Nation ging. "Das Afghanistan-Engagement war eine Fehlentscheidung aus der Sicht aller Europäer", sagt er. "Jeder von uns ging dorthin ohne den tiefen Wunsch im Herzen, etwas zum Wohle der Afghanen zu tun, und ohne den Glauben, dass dies wirklich etwas mit der europäischen Sicherheit zu tun hat. Die Öffentlichkeit war nie davon überzeugt, und das zu Recht. Die treibende Kraft für das Einschreiten in Afghanistan war die Beziehung zu Washington".
Das alles muss sich ändern, sagt Witney: "Wir sind versucht, den Kopf in den Sand zu stecken: 'Der arabische Frühling ist schief gelaufen, was können wir dagegen tun? Herzlich wenig, also lasst uns einfach fern bleiben'. Ich denke, das ist schrecklich kurzsichtig für einen Kontinent wie uns - mit starken Ansichten zu Themen wie Menschenrechten, Demokratie und Völkermord".
Die Öffentlichkeit für sich gewinnen
Auch wenn mehr aktives Engagement im Interesse aller sein sollte: Das Problem ist, die Europäer davon zu überzeugen. Denn diese sehen jede Art der Intervention im Ausland skeptisch. "Die führenden Politiker müssen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf die Tagesordnung bringen", sagt Heidenkamp. "Sie müssen diese viel mehr erklären als jemals zuvor."
Heidenkamp sagt aber auch, dass es unklug wäre, die öffentlichen Einwände nicht zu berücksichtigen: "Das militärische Instrument muss viel effizienter in einen breiteren Regierungsansatz eingebracht werden, insbesondere auf europäischer Ebene. Wenn die Öffentlichkeit versteht, dass Eingreifen in fremde Konflikte in erster Linie nicht nur eine militärische Aufgabe ist, sondern die Aufgabe der ganzen Regierung, dann werden sie die Notwendigkeit erkennen, dort einzugreifen".