Neuer Streit über das Kopftuch
15. März 2016Seit Dienstag verhandelt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erneut über das Tragen religiöser Symbole am Arbeitsplatz. Im ersten Fall geht es um eine französische Softwaredesignerin, die entlassen wurde, nachdem ein Kunde sich darüber beschwert hatte, dass sie beim Gespräch verschleiert war.
Im zweiten Fall verklagte eine Rezeptionistin aus Belgien, die ein Kopftuch trägt, ihren Arbeitgeber, weil dieser seinen Mitarbeitern verbietet, am Arbeitsplatz Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen zu tragen.
In beiden Fällen haben die zuständigen Richter in Belgien und Frankreich den EuGH um Hilfe bei der Auslegung von EU-Recht gebeten. Mit einem endgültigen Urteil ist erst in einigen Monaten zu rechnen.
Eine Regel, viele Auslegungen
Grundsätzlich schafft in der EU eine Richtlinie Regeln gegen die "Diskriminierung am Arbeitsplatz aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung". Danach ist das Tragen eines Kopftuches am Arbeitsplatz für Frauen erlaubt.
Doch der Arbeitgeber kann dieses Recht einschränken. "Voraussetzung müssen sachliche Gründe sein, etwa die Sicherheit am Arbeitsplatz, ein äußerlich einheitliches Auftreten der Mitarbeiter oder eine drohende Geschäftsschädigung durch nachweisbare Beschwerden von Kunden", erklärt Christian Pestalozza, Professor der Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin.
"Das Verbot des belgischen Arbeitgebers ist nach Artikel 4 der EU-Richtlinie gerechtfertigt, wenn es die Art der Tätigkeit fordert. Der Umstand, dass ich alle gleich behandle, indem ich jedem Mitarbeiter Profilierung verbiete, reicht nicht, wenn es dazu keinen sachlichen Anlass gibt", meint Pestalozza. Demnach würden alle Angestellten diskriminiert.
Das Tragen eines Kopftuches am Arbeitsplatz sorgt in einigen europäischen Ländern immer wieder für Diskussionen. Obwohl bisher gefällte Urteile sich zum großen Teil nur auf den Öffentlichen Dienst beziehen, wirken sich die gesetzlichen Verbote und öffentlichen Debatten auch auf die Privatwirtschaft aus.
Frankreich
In Frankreich ist die Kopftuchfrage seit mehr als einem Jahrhundert entschieden: In der laizistischen Republik untersagt das Gesetz von 1905 zur Trennung von Staat und Kirche allen Beschäftigten im öffentlichen Dienst, Zeichen ihrer religiösen Zugehörigkeit zu tragen, während sie ihre Funktion ausüben. Aus diesem Grund gibt es zum Beispiel keine muslimischen Lehrerinnen mit "foulard" (Kopftuch).
Großbritannien
Die Briten geben sich gegenüber Religion tolerant. Kopftuchtragende Muslima sind allgegenwärtig - ob im Supermarkt, Verkaufsabteilungen renommierter Handelshäuser oder im Restaurant. Auch Angestellte im öffentlichen Dienst, wie Polizistinnen oder Lehrerinnen, dürfen religiöse Symbole während der Arbeit tragen. Im Vereinigten Königreich fallen diese Kleidungsfragen unter das Recht auf Religionsfreiheit.
Dänemark
In Dänemark mussten ein Supermarkt und ein Kaufhaus Geldstrafen und Entschädigungen zahlen, weil sie Frauen kündigten, die Kopftücher trugen. Die Strafzahlungen trugen dazu bei, dass die Unternehmen ihre Politik änderten: Viele ließen danach Kopftücher für ihre muslimischen Angestellten zu.
Schweden
In dem skandinavischen Land gab es lange Zeit eine Debatte über Frauen mit Kopftuch im Fernsehen. Der öffentliche Sender SVT musste herbe Kritik einstecken, weil er einer Muslimin mit Schleier die Moderation einer Sendung für Einwanderer verbieten wollte. Der Sender begründete seine Entscheidung mit einer Vorschrift, wonach Moderatoren keine Kleidung tragen dürfen, die vom Sendungsinhalt ablenken könnte.
SVT lenkte ein: Frauen dürfen Kopftücher tragen - mit Ausnahme von Nachrichten-Moderatorinnen. Diese müssen weiterhin "neutral" gekleidet sein. Auch die Bekleidungsvorschrift im öffentlichen Dienst wird in dem skandinavischen Land sehr liberal ausgelegt. Schwedischen Polizistinnen und Polizisten ist erlaubt, religiös begründete Kopfbedeckungen wie Turban, Kopftuch oder jüdische Kippa zu tragen. Mit zwei Auflagen: Sie müssen farblich an die blauen Uniformen angepasst und von den Trägern selbst finanziert werden.