Europa zu Besuch bei Freunden
7. Juni 2013
Das normale Leben, das ist es, sagt Yoel Razvozov, was die U21-Europameisterschaft in Israel zeigen soll. Er meint: Dass man hier auch friedlich leben kann und dass das Land wunderschön ist. Razvozov ist der erste ehemalige Profisportler in der Knesset. Der frühere Judoka, der für die neue Partei Yesh Atid in das israelische Parlament eingezogen ist, sagt bei einem Gespräch in seinem Büro in Jerusalem: "Ich bin viel gereist und habe viele Leute erlebt, die nicht viel über Israel wissen." Die nicht viel wissen oder ein schlechtes Bild von Israel haben. Eines, das nur aus Krieg und Terror besteht.
Doch da ist auch ein anderes Israel: der Strand und die Bars und Klubs von Tel Aviv beispielsweise, das fröhliche Leben. Ido Weil, Besitzer und Betreiber von TLVnights, ist einer derjenigen, die dieses Bild vermitteln. Weil zeigt Touristen auf geführten Touren das Nachtleben der Stadt am Mittelmeer. "Ich treffe die ganze Zeit Leute von überall her und sie verstehen die Art und Weise, wie wir hier leben", sagt er. "Und dass Israel ein liberaler Ort ist.”
Ein gewohntes Bild zu verändern, dafür ist ein internationales Sportereignis gut geeignet. Private Besucher und Medienvertreter aus aller Welt sind zu Gast, und sie tragen ihre Eindrücke in alle Welt hinaus. In diesem Fall ist es auch noch das größte Sportereignis, das Israel je erlebt hat, und vor allem: Es ist das erste europäische Sportereignis seiner Geschichte. "Europa kommt nach Israel", freut sich Tal Shorrer, der Sportchef eines überregionalen Radiosenders, der in Jerusalem zu Hause ist, beim Eröffnungsspiel zwischen Israel und Norwegen auf der Tribüne in Netanya.
Sportliches Asyl in Europa
Israel ist selbst ein europäisch geprägtes Land, aber eigentlich gehört es zu Asien. Auch im Sport - bis es im Jahr 1981 aus der Asian Games Federation ausgeschlossen wurde. Genauer gesagt, es wurde ein neuer Verband gegründet, in dem Israel unerwünscht war. Zu jener Zeit wurden die Israelis zum Fußballspielen in die Ozeanien-Gruppe gesteckt und traten zu Qualifikationsspielen für Weltmeisterschaften in Australien und Neuseeland an. Erst 1991 folgte die Aufnahme in den Europäischen Fußballverband (UEFA). Und dass man jetzt eine Europameisterschaft austrage, sei dementsprechend ein großer Erfolg, für den Avi Luzon vier Jahre lang gekämpft hat.
Der Präsident des Israelischen Fußballverbandes (IFA) ist ein enger Freund von Michel Platini, dem UEFA-Präsidenten. Auch mit Angela Merkel versteht er sich offensichtlich prächtig. Beim Champions-League-Finale in London war zu sehen, wie Luzon und Bundeskanzlerin Merkel miteinander sprachen, bevor Spieler und Trainer von Bayern München den Pokal überreicht bekamen. Als Luzon wieder zurück in Israel war, fragten ihn Journalisten, worüber die beiden gesprochen hätten. "Angela", sagte Luzon, als ob die Kanzlerin eine Freundin wäre, "hat mit mir über die U21-EM geredet. Und der Rest ist eine Sache zwischen mir und der Kanzlerin."
Wichtiger internationaler Beistand für Israel
Avi Luzon mag ein starker Mann in der UEFA sein - beliebt in Israel ist er nicht. "Angela hat mir gesagt…", ist hier ein Witz, "das ist eine Sache zwischen mir und der Kanzlerin" zu einem geflügelten Wort geworden. Die Botschaft kommt dennoch an. Israelis schauen den Eurovision Song Contest, die Champions League, die Europameisterschaft der A-Nationalmannschaften und andere große europäische Ereignisse im Fernsehen an. "Dass die UEFA die U21-Europameisterschaft nach Israel gibt, europäische Teilnehmerländer mitbringt und diese hier Fußball spielen, nach der schwierigen Situation Ende vergangenen Jahres", sagt Tal Shorrer, der Sportchef eines israelischen Radiosenders, "das ist sehr wichtig für die Israelis und für die israelische Politik."
Das Verhältnis zu den Palästinensern sei derzeit so entspannt wie selten zuvor, sagte ein hoher Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums in Jerusalem bei einem Hintergrundgespräch in dieser Woche. Die größte Bedrohung gehe von Syrien und Iran aus, weshalb Israel die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit gut gebrauchen könne. Aber im November waren noch Raketen der Hamas auf das Land geflogen, die israelischen Streitkräfte schlugen zurück und es stellte sich die Frage, ob Israel der geeignete Ort sei, um die U21-EM auszutragen. Die Gefühlslage war besonnen bis mulmig.
Juden und Araber spielen zusammen
Der Präsident des Palästinensischen Fußballverbandes, Dschibil Radschub, hatte schon zuvor gefordert, die U21-Europameisterschaft in ein anderes Land zu verlegen. Damit protestierte er dagegen, dass palästinensische Fußballspieler, denen Israel vorwirft, dass sie Hamas-Unterstützer sind, ohne Gerichtsbeschluss in israelischer Haft sind. Außerdem beschwerte sich Radschub über die eingeschränkte Bewegungsfreiheit palästinensischer Fußballspieler im Allgemeinen. Auch Fußballstars wie Didier Drogba, der sich inzwischen davon distanziert hat, protestierten nach Israels Militäroperation im Gazastreifen gegen das Turnier. Die UEFA gab und gibt sich gewohnt unpolitisch, lässt die Sicherheit Gastgebersache sein und predigt die bunte Sportveranstaltung. Dazu kann man stehen, wie man will.
Tatsache ist, dass im Schatten des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern leicht übersehen wird, dass sechs Spieler in der aktuellen israelischen U21-Nationalmannschaft Araber sind. Hier scheint die friedliche Koexistenz von Charakteren, Nationalitäten und Religionen zu funktionieren. "Es gibt nicht so viele Egos im Team, das ist das Wichtigste, unser Coach hat eine tolle Mannschaft zusammengestellt", sagt der israelische U21-Nationalspieler Orr Barouch, als er nach dem Eröffnungsspiel gegen Norwegen im Stadion von Netanya frisch geduscht zum Interview erscheint. "Es spielt keine Rolle, woher Du kommst, wer Du bist oder was auch immer. Wir unterstützen uns alle gut gegenseitig und darüber sind wir glücklich."
Mal wieder ein Ausgleich in der Nachspielzeit
Noch glücklicher wären die israelischen Spieler - und ihre Fans - wahrscheinlich, wenn sie auch den Sieg nach Hause bringen würden. Israels Nationalmannschaft gilt als ewiger Verlierer, vom israelischen Fußball heißt es, er hätte keine Errungenschaften, sondern es eben immer wieder nur fast geschafft. Israel hat eine lange Geschichte darin, in der letzten Minute oder in der Nachspielzeit noch den Ausgleich zu kassieren oder zu verlieren. "Wir sehen dieses Turnier als Möglichkeit, uns nach vorne zu bringen", meint der israelische Radiojournalist Tal Shorrer auf der Tribüne des neuen Stadions in Netanya. "Die Sportstätten sind erneuert worden, dieses Stadion steht erst seit einem Jahr, wir freuen uns auf das Turnier und glauben…Oh no, oh no…"
Noch während er spricht, passiert es: Tor in der 92. Minute, Norwegen gleicht zum 2:2 aus. Fast hätte Israel gewonnen. Und alle im Stadion bis auf ein paar wenige haben gewusst, dass es so kommen würde. Orr Barouch hat lange in den Vereinigten Staaten gelebt und dort eine andere, eine Siegermentalität mitbekommen. "Wir müssen positiver sein. Unsere Fans müssen positiver sein und uns mehr unterstützen", sagt er nach dem Spiel. "Ich denke, dass sie uns heute unterstützt haben. Aber einen solchen Spielverlauf hat es eben schon mehrmals gegeben. Die Fans haben einen Grund, skeptisch zu sein. Wir müssen das ändern." Es scheint, als ob diese U21-Europameisterschaft Israel nicht nur ein anderes Bild nach außen, sondern auch ein anderes Bild von sich selbst bringen soll.