Europarat sieht Rechtsstaat in Polen in Gefahr
29. März 2018Kurz bevor am 2. April ein umstrittenes Gesetz zur Richterernennung in Polen in Kraft tritt, hat der Europarat einen "Eil-Bericht" veröffentlicht, in dem die polnische Justizreform erneut heftig kritisiert wird. Die "Gruppe der Staaten gegen Korruption", ein spezieller Ausschuss des Europarates in Straßburg, stellt in seinem fünfzehn Seiten langen Bericht fest, dass die Gesetze über den Nationalen Justizrat und den Obersten Gerichtshof in Polen die Normen zur Korruptionsbekämpfung "schwerwiegend verletzen". Einer Einflussnahme auf die Ernennung und Entlassung von Richtern an allen polnischen Gerichten durch die Verwaltung, durch Gesetzgeber und Politiker werde Tor und Tür geöffnet.
Der Anti-Korruptionsausschuss des Europarates fordert Polen auf, die Justizreform so zu verändern, dass mindestens die Hälfte der Richterposten nicht direkt vom Parlament vergeben wird, sondern von den Richtern selbst bestimmt werden kann. Die vorzeitige Pensionierung von Richtern am höchsten polnischen Gericht erlaube es der Politik, unbotmäßige Richter abzuberufen. Auch die Einflussnahme des Staatspräsidenten auf die Länge der Amtszeit der Richter sei zu kritisieren. Der Einfluss des Justizministers, der gleichzeitig auch oberster Staatsanwalt des Landes wird, sei zu groß, heißt es in dem Bericht des Europarates. Die Unabhängigkeit der Justiz sei insgesamt in Gefahr.
Eilverfahren kommt nicht mehr rechtzeitig
Der Europarat hat im Dezember das "Eilverfahren" gegen Polen eingeleitet, nachdem die polnische Regierung auf Anregungen und Kritik des Europarates und vieler anderer internationaler Gremien nicht eingegangen war. Es ist das erste Eilverfahren, das die Anti-Korruptionsgruppe des Europarates jemals angestrengt habe, sagte ein Sprecher des Rates in Straßburg. Der Europarat ist eine Staatengemeinschaft von 47 europäischen Staaten, die sich um die Einhaltung der Menschenrechte kümmert. Die bereits 1949 gegründete Institution mit Sitz in Straßburg ist keine Einrichtung der Europäischen Union. Polen ist Mitglied des Europarates.
Seit 2015 baut in Polen die nationalkonservative Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) den Justizapparat um. Zur Begründung hieß es von der polnischen Regierung immer wieder, die Richter seien von der bürgerlichen Vorgängerregierung benannt worden oder stammten noch aus kommunistischer Zeit. Die sogenannte Venedig-Kommission des Europarates, die sich um Verfassungsrecht kümmert, hatte die polnischen Reformen abgelehnt und als Gefahr für den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung gegeißelt. Die polnische Regierung ignorierte das Gutachten, das sie selbst bestellt hatte, jedoch. Die Europäische Union hatte Polen mehrfach zur Änderung der umstrittenen Gesetze und zu einem Dialog über die rechtsstaatlichen Frage aufgefordert.
EU muss im April handeln
Erst nachdem EU-Kommissar Frans Timmermanns im Dezember letzten Jahres ein förmliches Verfahren nach Artikel 7 des Lissabonner Grundlagen-Vertrages der EU gegen Polen eingeleitet hat, scheint es nun etwas Bewegung in Warschau zu geben. Der neue polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat nach Einleitung des Verfahrens, das ganz am Ende zur Suspendierung der Mitgliedschaft in der EU führen könnte, Brüssel zweimal besucht und mit der EU-Kommission über die Justizreform gesprochen. Nach außen hin gab er sich unnachgiebig, der polnische EU-Botschafter hatte aber angekündigt, Polen wolle "Nachbesserungen" vorschlagen. Die EU-Kommission bestätigte vergangene Woche, das ein entsprechendes Papier fristgerecht eingegangen sei. Das werde jetzt geprüft, so ein Sprecher der EU-Kommission. Bis Mitte April will die EU-Kommission mitteilen, ob die polnischen Vorschläge ausreichen, um eine "systemische Gefährdung des Rechtsstaates" abzuwenden. Dann könnte der Ministerrat, also die Vertretung der EU-Mitgliedsstaaten entscheiden, ob das komplizierte und bisher nie angewendete Artikel 7-Verfahren weiter vorangetrieben werden soll oder nicht. Dazu wäre eine vier Fünftel Mehrheit der Mitgliedstaaten im Rat notwendig.
Nicht nur der Europarat und die Europäische Union, sondern auch die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie die europäische Richtervereinigung hatten die polnischen Justizreformen kritisiert. Bislang zeigte sich die polnische Regierung offiziell unbeeindruckt. Die Europäische Kommission hatte in der Diskussion bereits deutlich gemacht, dass künftig Strukturbeihilfen für Polen und andere Staaten daran geknüpft werden könnten, ob die Empfängerstaaten alle rechtsstaatlichen Kriterien erfüllen. Diese Drohung mit dem Haushalt hat allerdings einen Haken. Polen müsste dieser Regelung im Zuge der Haushaltsverhandlungen zustimmen.