Europas Aufholjagd in Afrika
15. September 2018Die Afrika-Politik der Europäer ist seit Jahren ein Friedhof großer Worte, guter Absichten und nicht eingelöster Versprechen. Seit der Flüchtlingskrise aber ist das Interesse an einer neuen Strategie für die Zusammenarbeit mit dem Kontinent steil gestiegen. Europäische Besucher müssen mit ansehen, dass China sich mit Milliardeninvestitionen längst in großem Stil etabliert hat. Sie fürchten, in die zweite Reihe verdrängt zu werden. In seiner Rede zur Lage der Union in dieser Woche kündigte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker deshalb einmal mehr "einen neuen Pakt mit Afrika" an.
Mehr Investitionen, mehr Arbeit, mehr Ausbildung
In der nächsten Haushaltsperiode wird das EU-Budget für Afrika auf 40 Milliarden Euro ansteigen. Und dieses Geld sollen private Investoren vervielfachen - ihnen will die EU beispielsweise mit Risikogarantien die Entscheidung für ein Engagement in afrikanischen Staaten erleichtern. Gleichzeitig sucht Brüssel verstärkt die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsbanken der Mitgliedsstaaten und der Europäischen Investitionsbank (EIB), die in die Programme eingebunden sind. Die EIB etwa stellt bis 2020 bereits sechs Milliarden Euro zur Bekämpfung von Fluchtursachen bereit, die insgesamt Investitionen von rund 35 Milliarden Euro auslösen sollen.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf Ausbildung und Arbeitsplätzen. In den nächsten fünf Jahren will die sogenannte Allianz für Afrika zehn Millionen Jobs schaffen, 750.000 Menschen sollen eine Berufsausbildung erhalten, über 100.000 Studenten vom Austauschprogramm Erasmus profitieren. Zum Zahlenfeuerwerk der EU-Kommission gehören auch große Investitionen für die Transport- und Straßeninfrastruktur sowie die Energieversorgung.
Nach der endlosen Wiederholung guter Vorsätze gefragt, erklärt EU-Entwicklungskommissar Neven Mimica, dass die nun vorgelegten Pläne einen neuen Ansatz darstellten: "Bisher fehlte es an einer zusammenhängenden ökonomischen Strategie." Jetzt wolle man in partnerschaftlicher Kooperation mit afrikanischen Ländern definieren, wo die besten Entwicklungschancen in jedem Land lägen und wie man die private Wirtschaft bei entsprechenden Projekten einbinden könne.
Die EU-Kommission gibt ein Beispiel für solch maßgeschneiderte Unterstützung: Gemeinsam mit der niederländischen Entwicklungsbank FMO werden in Ländern der Subsahara Mikrokredite an Binnenflüchtlinge, Rückkehrer und Kleinunternehmen vergeben. Mit einem Startkapital von 75 Millionen sollen dabei mehrere hunderttausend Jobs generiert werden.
"Wir sind bereits starke politische Partner. Der nächste Schritt führt zu einer echten ökonomischen Partnerschaft und dazu, unsere Investitions- und Handelsbeziehungen zu vertiefen", erklärt EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini bei der Vorstellung der EU-Afrika-Allianz in Brüssel.
Freihandelsabkommen EU-Afrika
Die EU ist nach wie vor mit 36 Prozent aller Exporte der größte Handelspartner Afrikas und liegt vor China und den USA. Ziel der Europäischen Kommission ist es, die Zusammenarbeit zu intensivieren und auf eine neue vertragliche Basis zu stellen. Mit 52 afrikanischen Ländern gibt es bereits Partnerschaftsverträge, die für viele Waren - "alles außer Waffen" - weitgehende Zollfreiheit gewähren.
Als nächsten Schritt streben die Europäer ein umfassendes Freihandelsabkommen der EU mit Afrika an. Damit müssten dann allerdings auch die afrikanischen Partner ihre Zollschranken größtenteils abbauen. Denn die einseitige Vorleistung der Europäer verstößt im Prinzip gegen die Regeln der Welthandelsorganisation. Allerdings sollen afrikanische Länder einen Teil ihrer Importzölle beibehalten dürfen, um ihre heimische Landwirtschaft zu schützen.
Kritiker bemängeln, dass ein fairer Austausch schon jetzt nicht funktioniere, weil zu preiswerte europäische Produkte auf afrikanische Märkte drängten. Und wo Niedrigpreise Bauern in Europa schädigten, bekämen diese wenigstens Ausgleich über die EU-Direktzahlungen. Afrikanische Kleinbauern dagegen würden in der Existenz gefährdet.
NGOs mahnen daher, dass für den Handel zwischen armen und reichen Ländern nicht die gleichen Regeln gelten könnten. Nigeria als eines der wichtigsten Länder in Westafrika weigert sich zum Beispiel bislang, ein entsprechendes ökonomisches Partnerschaftsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Der Ausgleich der Interessen auf diesem Feld ist im Einzelfall komplizierter, als es die großen Ankündigungen der EU vermuten lassen.
Herausforderung Demographie
Nachdem Demographen errechnet hatten, dass die Bevölkerung in Afrika bis 2050 auf zwei Milliarden Menschen anwachsen wird, reagierten europäische Politiker alarmiert. Seitdem besuchen Regierungschefs wie Emmanuel Macron und Angela Merkel unermüdlich afrikanische Länder, um dort für wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung zu werben. Die Vorstellung von zunehmend mehr Migranten aus Afrika, die in Europa eine bessere Zukunft suchen könnten, setzt sich in hektische politische Aktivität um.
Auch die EU-Außenbeauftragte Mogherini leugnet nicht, dass die Bevölkerungsentwicklung eine Herausforderung ist, die man bewältigen müsse. Sie kann wegen kultureller und politischer Empfindlichkeiten allerdings nicht zu deutlich formulieren, dass eine Verdoppelung der Einwohner Afrikas innerhalb weniger Jahrzehnte die Entwicklungsfortschritte schneller aufsaugt, als sie noch mit den gewaltigsten internationalen Investitionen erzielt werden könnten. "Die jungen Menschen in Afrika sind keine Last, sie sind eine Chance" für den Kontinent, erklärt EU-Chefdiplomatin Mogherini daher vorsichtig.
Äußerungen wie die von Tansanias Präsident John Magufuli, der vor kurzem die Frauen des Landes aufforderte, die Verhütung wegzulassen und mehr Babies zu produzieren, dürften Entsetzen bei europäischen Politikern und neue Zweifel an der Verantwortlichkeit einiger afrikanischer Machthaber ausgelöst haben.
Auch die Rücknahmeabkommen für Migranten aus Afrika, die bei allen Verhandlungen der EU eine Rolle spielen, kommen teils langsam voran oder werden schleppend umgesetzt. Das Geld, das die Migranten an ihre Familien zu Hause schicken, ist derzeit noch wichtiger als Investitionszusagen der Europäer, die sich erst später auszahlen.
Ebenso werden Themen wie mangelnde Sicherheit und Korruption in den offiziellen Stellungnahmen vorsichtig umschifft, um nicht politische Widerstände zu erzeugen. Die Hoffnung ist, dass sich private Investoren trotzdem nicht abschrecken lassen, die wirtschaftlichen Möglichkeiten Afrikas nutzen und ihre Nerven durch Garantien der EU und der Entwicklungsbanken beruhigen lassen.