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Der Kampf um Stahlpreise und Jobs

Marion Hütter
3. Mai 2017

Thyssenkrupp will seine Stahlsparte umstrukturieren. Arbeiter gingen deshalb in Duisburg gegen mögliche Stellenstreichungen auf die Straße. Die Kürzungspläne sind nur ein Puzzleteil der weltweiten Krise der Branche.

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Deutschland ThyssenKrupp Stahlproduktion
Bild: DW/M. Hütter

Rund 7500 Stahlkocher waren nach Angaben der IG Metall zu der Kundgebung vor dem Werk in Duisburg Hüttenheim gekommen. Auf Plakaten waren Sprüche wie "Kampf um jeden Arbeitsplatz", "Stahl ist Zukunft" und "Ist der Stahl erst kalt, wächst hier bald wieder Wald" zu lesen. Schon vor den Demonstrationen hatte der Betriebsrat seinen Sorgen über die möglichen Sparpläne von Thyssenkrupp zum Ausdruck gebracht.

Laut Betriebsrat Mehmet Göktas könnte das Duisburger Groblechwerk schon bald geschlossen werden. Er fürchtet, dass es vom bisherigen Eigentümer Thyssenkrupp verkauft wird - noch dazu an die Konkurrenz: den indischen Stahlriesen Tata Steel. Sollte es kommen wie befürchtet, sei das ganze Werk in Gefahr, sagt der Betriebsrat. Denn Tata Steel sei mit einem modernen Grobblechwerk in den Niederlanden, noch dazu direkt am Meer gelegen, besser aufgestellt. "Wir haben technische Probleme", sagt der Betriebsrat. In der Vergangenheit sei nicht genug investiert worden.

Die Großdemonstration in Duisburg soll im Wahlkampfjahr ein Signal sein: Die deutsche Stahlbranche fordert politische Unterstützung - nicht nur aus Berlin, sondern vor allen Dingen aus Brüssel. Man sieht sich im Schraubstock zwischen chinesischen und US-Interessen.

Zuviel Stahl auf dem Weltmarkt

Die größten Überkapazitäten sehen Branchenbeobachter in China. Dort wurde in Zeiten des rasanten Wirtschaftswachstums und Baubooms eine gigantische Stahlindustrie aufgebaut. Viele Millionen Chinesen verdienen sich in der Branche ihren Lebensunterhalt. Und das, obwohl die Wirtschaft längst langsamer wächst und der Bauboom vorbei ist  - also viel weniger Stahl gebraucht wird.

Elektroofen im Edelstahlwerk Shanghai im Baosteel
Stahlproduktion in China. Das Land ist für einen Großteil der Überproduktion verantwortlich.Bild: SMS Group

Doch viele chinesische Provinzen leben von ihren Stahlwerken. Den vielen Arbeitern dort die Jobs zu streichen, könnte für sozialen Sprengstoff sorgen. So produziert China mehr Stahl, als es verbraucht - und verkauft ihn auf dem Weltmarkt. Die überaus preiswerte Konkurrenz hat diversen europäischen Stahlherstellern die Bilanz verhagelt. Hans Jürgen Kerkhoff, der als Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl für die Industrie spricht, schätzt die chinesischen Überkapazitäten auf mehr als 360 Millionen Tonnen. "Es kann nicht sein, dass China seine Strukturprobleme auf unsere Kosten löst", schimpft er.

Zwar hat die Welthandelsorganisation bestätigt, es handele sich bei den chinesischen Exporten um Dumping und erlaubt den Europäern nun Strafzölle zu erheben, zufrieden ist Kerkhoff damit aber noch lange nicht. "Die europäischen Handelsinstrumente müssen dringend modernisiert werden", fordert er. Eine entsprechende Einigung in Brüssel lasse zu lange auf sich warten.

Trump und die US-Stahlbranche

Die US-Amerikaner hätten bessere Handelsinstrumente, beklagt Kerkhoff. Die Verfahren gingen schneller, die Strafzölle seien höher. Allerdings bekommen das nicht nur die chinesischen Stahlexporteure zu spüren, sondern auch die europäischen. Denn auch ihnen wirft US-Präsident Trump Dumping vor. Seit Ende März haben seine Behörden Grobbleche der deutschen Hersteller Dillinger und Salzgitter mit hohen Strafzöllen belegt. Zu Unrecht, urteilt die Wirtschaftsvereinigung Stahl hier: Die US-Behörden hätten sich nicht an die Berechnungsmethoden der WTO gehalten. Stattdessen sehe man "protektionistische Tendenzen". Und bei Salzgitter heißt es hinter vorgehaltener Hand: Um auf den vorläufig festgelegten Strafzoll von 22,9 Prozent zu kommen, sei wohl ein "vergoldetes Blech" als Berechnungsgrundlage verwendet worden, so etwas gebe es nicht.

Deutschland ThyssenKrupp Stahlproduktion
Viele Stahlarbeiter sorgen sich vor einer Werksschließung. Hier ein Grobblechwerk von Salzgitter. Bild: DW/M. Hütter

Doch diese vorläufigen Strafzölle müssen in voller Höhe hinterlegt werden und bringen den Handel mit US-Export der genannten Sorten de facto zum Erliegen. Am 15. Mai wollen die US-Behörden ihren endgültigen Prüfbericht vorlegen. Bleiben die US-Behörden bei ihrer jetzigen Bewertung, ist es an der EU zu entscheiden, ob sie gegen die umstrittenen Berechnungsmethoden vor der WTO klagen wird.

Wo wird geschlossen?

Wie auch immer es im konkreten Konflikt um Dumpingzölle weitergeht - um das zugrunde liegende Problem der Überkapazitäten zu lösen, müssen langfristig Stahlwerke geschlossen werden. Nur wo? In den USA, China, Europa? In den USA ist das nicht zu erwarten: Die Branche steht unter dem besonderen Schutz des neuen US-Präsidenten Trump. Die chinesische Regierung kündigt zwar die Stilllegung von Stahlwerken an. Doch glaubt man einer Studie von Greenpeace, unternimmt sie das Gegenteil: Statt die Produktionsmenge wie im letzten Jahr um bis zu 150 Millionen Tonnen zu senken, soll sie erhöht worden sein, ganz besonders in Regionen um Peking, wo der Smog bereits gesundheitsschädliche Ausmaße angenommen hat.

Deutschland ThyssenKrupp Stahlproduktion
Ismael Sahin arbeitet seit seinem 17. Lebensjahr bei ThyssenKrupp Bild: DW/M. Hütter

Und in Europa? Dort demonstrieren die Stahlarbeiter: Anfang des Jahres in Brüssel, für Erleichterungen beim Handel mit Emissionszertifkaten und nun in Duisburg für den Erhalt ihrer Jobs. Man habe doch schon reduziert, sagt Stahlarbeiter Ismael Sahin. Seit zwei Jahren arbeitet er nur noch 31 Stunden in der Woche und erhält nun 140 Euro weniger im Monat. Die Miete steige dennoch, sagt er.  An seinem Einkommen vom Duisburger Grobblechwerk hängt die ganze Familie, vier Töchter, die Zukunft. Wenn Thyssenkrupp das Werk schließen sollte - woher, fragt er sich, soll er dann mit seinen 53 Jahren einen neuen Job bekommen?