Politikverdrossenheit in Griechenland
19. März 2014Bereits die doppelten Parlamentswahlen 2012 haben ein politisches Erdbeben in der griechischen Parteienlandschaft ausgelöst: Die einst allmächtige konservative Volkspartei Nea Demokratia (Neue Demokratie) errang damals nur einen knappen Sieg gegen die Linkspartei Syriza und konnte nur noch mit Unterstützung der ebenfalls schwächelnden sozialistischen Pasok eine stabile Regierungsmehrheit im Parlament bilden.
Die Sozialisten werden von den Wählern noch härter bestraft: Knapp drei Jahre nach ihrem Erdrutschsieg mit 43 Prozent der Stimmen im Oktober 2009 erreichten sie im Juni 2012 nur noch 13 Prozent, momentan müssen sie sich sogar mit einstelligen Umfragewerten zufriedengeben. Laut Wahlforschern ist es durchaus möglich, dass die Pasok-Partei bei der Europawahl keinen einzigen Sitz im EU-Parlament bekommt.
Nach Ansicht des Politikberaters Levteris Kousoulis ist die Athener Parteienlandschaft in einem noch nie dagewesenen Umbruch. Die Verdrossenheit gegenüber altgedienten Politikern bedeute jedoch nicht, dass sich die Griechen von der Politik insgesamt abwendeten - im Gegenteil: "Die Menschen sind auf der stürmischen Suche nach Neuem; nach etwas, das über die simple Trotz- und Wuthaltung hinausgeht", sagt Kousoulis im Gespräch mit der Deutschen Welle.
In dieser Übergangszeit sei das Parteiensystem stark zersplittert, weil die Karten neu gemischt würden, doch ausgerechnet diese Zersplitterung führe langfristig auch zur Neugestaltung der Parteienlandschaft. Zeichen des Umbruchs würden schon bei der Europawahl sichtbar, glaubt der Politikwissenschaftler.
Umwälzungen im Mitte-Links-Lager
Die Fragmentierung der Wählerstimmen hat allerdings auch zur Folge, dass neue Parteien durch andere rivalisierende Gruppierungen verdrängt werden. So haben etwa bei den Parlamentswahlen 2012 drei liberale Splitterparteien um die Gunst der Wähler gekämpft. Zu einer Zusammenarbeit waren sie nicht bereit - mit der Folge, dass sie alle ein Achtungsergebnis erreichten, aber keine von ihnen die Drei-Prozent-Wahlhürde überspringen und den Einzug ins Parlament schaffen konnte.
Ein ähnliches Wahldesaster droht den sozialdemokratisch ausgerichteten Kräften bei der Europawahl. Während die sozialistische Pasok des Vizeregierungschefs Evangelos Venizelos und die einst mitregierende "Demokratische Linke" die Verdrossenheit der Wähler deutlich spüren, tummeln sich immer mehr Konkurrenten im Mitte-Links-Lager.
Für Schlagzeilen sorgt vor allem die neue Partei "To Potami" (der Fluss) des Fernsehjournalisten Stavros Theodorakis: Keine drei Wochen nach ihrer Gründung liegt sie in Umfragen auf Platz drei und überholt damit aus dem Stand die rechtsradikale Partei "Goldene Morgenröte", die derzeit in diverse Strafverfahren verwickelt ist. Theodorakis gilt als gemäßigt links, er will politikverdrossene und junge Wähler ansprechen. Das könnte ihm - zumindest vorübergehend - auch gelingen, glaubt Levteris Kousoulis.
"Es ist nur natürlich, dass man über 'To Potami' spricht. Die Partei wird angeführt von einer TV-Persönlichkeit, die in der Bevölkerung hohe Sympathiewerte genießt und viele Menschen vermuten, dass Theodorakis neuen Wind in die Politik bringt" sagt der Politikberater. Natürlich würden konkrete Aussagen vermisst, das Parteiprogramm müsse erst noch mit Inhalt gefüllt werden. Aber die Wähler wüssten auch, dass die Programmatik nicht über Nacht zustande kommt. Er glaube jedenfalls, dass diese Partei bei der Europawahl einen Achtungserfolg schaffe, so Kousoulis.
Mit allen Tricks gegen Politikverdrossenheit
Derzeit lassen sich der konservative Regierungschef Antonis Samaras und der mitregierende Sozialistenchef Evangelos Venizelos einiges einfallen, um Wechsel- oder Nichtwähler im Zaum zu halten. In den nächsten Wochen wollen die beiden über einen Neuzuschnitt der Wahlkreise beraten. Zudem wurde das Wahlrecht überraschend geändert: Erstmals bei einer Europawahl sollen Griechenlands Volksvertreter nicht nach Landeslisten, sondern nach dem Persönlichkeitswahlrecht gewählt werden. Einen Sitz im EU-Parlament bekommen Kandidaten, die die größte Anzahl von Vorzugsstimmen erhalten.
Damit erhält jeder Wähler die Chance, durch seine Stimme Einzelpersonen zu unterstützen oder abzustrafen. Marietta Giannakou, Europaabgeordnete der "Nea Dimokratia", ist da eher skeptisch. "Die Theorie, dass alle (Politiker) verschwinden und durch neue ersetzt werden sollen, liefert keine Antwort auf die Probleme", mahnt die konservative Politikerin im Gespräch mit der DW. Und sie fügt hinzu: "60 Prozent der Abgeordneten im griechischen Parlament sind neu gewählt und trotzdem wird allerorts behauptet, dass die Parlamentsarbeit an Qualität verloren hat." Erforderlich sei eben eine gute Mischung aus erfahrenen Politikern und Neuzugängen, sagt die ehemalige Bildungs- und Gesundheitsministerin.
In Anbetracht der Umbruchstimmung wittern zahlreiche Splitterparteien und Einzelgänger eine Chance bei der Europawahl. Allein in den vergangenen zwölf Monaten haben sich in Griechenland 15 neue Parteien gegründet: Von der rechtspopulistischen "Vereinigung für die Heimat und das Volk" über den "Pakt für ein neues Griechenland" des ehemaligen sozialistischen Ministers Andreas Loverdos bis hin zur Partei "Griechische Europäische Bürger", angeführt vom Noch-FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis.
Giannakou zeigt sich besorgt über die Zersplitterung der Parteienlandschaft. Zudem hätte die Einführung des Persönlichkeitswahlrechts negative Folgen für die künftige Arbeit der griechischen EU-Volksvertreter in Brüssel und Straßburg, befürchtet sie. "Es käme zu einer Klientelbeziehung zwischen Politikern und Bürgern mit der Folge, dass die Politiker nicht mehr ständig anwesend wären im EU-Parlament; schließlich müssten sie sich verstärkt um ihre Wähler kümmern", mahnt Giannakou. Ähnlich erginge es heute den belgischen und italienischen EU-Abgeordneten, sie hätten die geringste Anwesenheitsquote im EU-Parlament, moniert die konservative Politikerin.
Was sich Politiker auch immer einfallen lassen: In allen Umfragen behaupten circa 20 Prozent der Befragten, sie seien unentschlossen oder würden den Wahlurnen lieber fern bleiben.