Was Umfragen (nicht) aussagen
19. Mai 2014Manchmal braucht es nur einen Klick und die Welt der Europäer sieht ganz anders aus: "Kurz vor der Europawahl erreicht der EU-Frust neue Höhen", so schreibt es die deutsche Tageszeitung "Die Welt". Sie ist #link:http://www.welt.de/politik/deutschland/article127884277/Nur-jeder-dritte-Franzose-will-in-der-EU-bleiben.html:Auftraggeber einer 6-Länder-Studie des britischen Meinungsforschungsinstituts Yougov#. 67 Prozent der Franzosen seien pessimistisch gegenüber der zukünftigen Entwicklung der EU. "Bei den Briten erwarten hingegen 'nur' 52 Prozent eine düstere Zukunft", kann man dort lesen.
"Die Unterstützung für die Europäische Union könnte gerade rechtzeitig zu den Wahlen zurückkehren", schreiben dagegen #link:http://www.pewglobal.org/2014/05/12/a-fragile-rebound-for-eu-image-on-eve-of-european-parliament-elections:an anderer Stelle die Forscher vom US-amerikanischen Pew Research Center#. "Nach einem dramatischen Absturz in Folge der Eurokrise steigt die Zustimmung in Frankreich, Großbritannien und Deutschland." 54 Prozent der Franzosen und 52 Prozent der Briten hätten ein positives Bild von der Europäischen Union, mehr als noch im Jahr zuvor.
Zwei Studien, zwei Meinungen - und es gibt sogar mindestens noch eine dritte und vierte Umfrage: Die #link:http://dpaq.de/KgV1G:eine des Instituts CSA für französische Medien# besagt, dass das Vertrauen der Franzosen in Europa schon seit Jahren geschwunden sei. Die #link:http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_415_data_en.pdf:andere, das Eurobarometer der Europäischen Kommission#, spricht von Optimismus und einem positiveren Bild, das die Bürger grundsätzlich von der EU hätten.
"Zustimmung zu Europa" ist nicht "Zustimmung zur EU"
"Natürlich ist das verwirrend", sagt der Politologe Aiko Wagner vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Wie die Fragen formuliert sind und welche Antwortvorgaben die Befragten erhalten, spielt eine Rolle für das Ergebnis, ebenso wie die Zahl der Personen, die befragt wurden. Und auch die Art, wie eine Studie erhoben wird - ob persönlich, telefonisch oder online - und zu welchem Zeitpunkt, ist für das Resultat relevant.
Tatsächlich sind Umfragen etwa zur Europäischen Union so kompliziert wie die Organisation selbst: Die einen fragen zum Beispiel nach der "Zufriedenheit mit dem europäischen Projekt", andere nach dem "Vertrauen in die Europäische Union", wieder andere nach dem "Optimismus für die Zukunft der Europäischen Union" oder gar nach "Zustimmung zum Verbleib des eigenen Landes in der EU". "Im Endeffekt gibt es so viele Variablen, die dazu führen können, dass Unterschiede nichts mit der wahren Einstellung der Bevölkerung zu tun haben, dass man sehr vorsichtig sein muss mit der Interpretation", so Wagner.
Und in der kann den Studien nochmal ein gewisser Spin gegeben werden, wenn der Auftraggeber zum Beispiel ein bestimmtes Interesse verfolgt: Das ist das selbe wie bei einem zur Hälfte gefüllten Wasserglas - der Optimist nennt es halbvoll, der Pessimist halb leer. Dabei ist der Wasserstand in beiden Fällen gleich. Doch auch wenn die Daten sich leicht unterscheiden, es bei einer Frage etwa eine 55-zu-45-Prozent-Verteilung gibt: Dann lässt sich darin eine Mehrheit dafür erkennen - oder eben, dass fast die Hälfte dagegen ist.
Umfragen wirken sich aufs Wahlverhalten aus - vielleicht
Doch rational-analytisch gehen Wähler selten an Schlagzeilen in den Medien heran: "Es gibt Indizien, dass Leute Umfrageergebnisse in ihre Wahlentscheidung einbeziehen", sagt Aiko Wagner und muss selbst fast lachen. "Aber auch da widersprechen sich die Studien." Wer in seiner Meinung nicht gefestigt ist, bei dem könne es passieren, dass er die vermeintliche Mehrheitsmeinung annimmt. Oder auch nicht.
Wer sich also nach Umfragen richten will, der muss genau hinschauen: Was wurde gefragt? Wen, wann und wie? Und stimmen die Zahlen mit ihrer Beurteilung überein? Oder er muss warten: "Es gibt Versuche der Wissenschaft gemeinsam mit international arbeitenden Umfrageinstituten, Studien zu erstellen, die die Konzepte so messen, dass sie einheitlich und vergleichbar sind", sagt Wagner. "Aber die kann man dann erst fünf bis sieben Monate nach der Wahl lesen, weil die Wissenschaft so ewig lange braucht." Aber das habe ja einen guten Grund: klare Erkenntnisse ohne Widersprüche.