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EuroPride - ein Toleranztest für Lettland

Aleksandra Jolkina / Markian Ostaptschuk20. Juni 2015

Als erstes Land der Ex-Sowjetunion richtet Lettland die "EuroPride" aus. Höhepunkt des größten LGBT-Events in Europa ist eine Parade in Riga an diesem Samstag. Doch nur wenige Bewohner der Stadt begrüßen sie.

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Baltic Gay Pride in Riga Lettland (Foto: REUTERS/Ints Kalnins)
Bild: Reuters

Drei Viertel der Einwohner von Riga lehnen die "EuroPride" ab, nur drei Prozent sind dafür: Das zeigt eine Umfrage des lettischen Zentrums für soziologische Forschung SKDS. Auch lokale Schwulen-Paraden, die in Lettland regelmäßig stattfinden, sorgen immer wieder für Spannungen.

Zum Programm der diesjährigen "EuroPride" in Riga gehören mehr als 50 Veranstaltungen, darunter ein Filmfestival und eine Ausstellung über die Geschichte der LGBT-Community. LGBT- die Abkürzung steht für die jeweilige sexuelle Orientierung der Gruppen, der sich Menschen zugehörig fühlen, also: Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Für sie soll mit der Veranstaltung ein Zeichen gesetzt werden. Bei der Parade am Samstag im Zentrum von Riga werden rund 2000 Teilnehmer erwartet.

"Ich bin müde von diesem Kampf"

Eine der Hauptforderungen der "EuroPride" in Riga ist das Recht auf eine eingetragene Lebenspartnerschaft. "Ich habe eine sehr gute und liebevolle Familie, aber wir sind ein gleichgeschlechtliches Paar", schreibt die Psychologin Jolanta Cihanoviča auf Facebook. Ihre Partnerin stamme aus einem Nicht-EU-Land. Sie wolle mit ihr zusammenleben, doch in Lettland sei es unmöglich, mit dieser Begründung eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.

Jahrelang halfen sich die Frauen mit einem Studentenvisum. Sie hatten gehofft, nach fünf Jahren die lettische Staatsbürgerschaft beantragen zu können. Doch die Behörden teilten mit, die Studentenzeit werde nur zur Hälfte angerechnet. "Sollen wir fünf weitere Jahre für ein unnötiges Studium zahlen, keine Möglichkeit haben, einer normalen Beschäftigung nachzugehen oder als Freiberufler zu arbeiten? Wenn Lettland uns nicht braucht, brauchen wir es auch nicht. Ich bin müde von diesem Kampf", sagt Cihanoviča. Nun will sie mit ihrer Partnerin nach Großbritannien ziehen.

Zivile Lebenspartnerschaft gefordert

Lettland, LGBT- Aktivistinnen Liga Klavina und Evita Gosa (Foto: Evita Gosa)
Aktivistinnen des LGBT-Verbandes "Mozaika": Evita Goša (r.) mit ihrer Partnerin Līga KļaviņaBild: Evita Gosa

Der Hauptorganisator der "EuroPride" in Riga, der lettische LGBT-Verband "Mozaika", kritisiert, dass es in Lettland keine Möglichkeit gibt, eine Lebenspartnerschaft eintragen zu lassen. Vorstandsmitglied Evita Goša zufolge sind gleichgeschlechtliche Paare deswegen bei der Einwanderung benachteiligt, aber auch im Erbfall bei der Aufteilung des gemeinsam erworbenen Eigentums.

Ferner, so Goša, würden immer mehr lesbische Paare mit Hilfe künstlicher Befruchtung Eltern werden. Ein Recht auf das Kind habe aber nur die leibliche Mutter. "Was ist, wenn eine Mutter plötzlich stirbt?" betont die Aktivistin. Ihre Lebenspartnerin hat vor einigen Jahren ein Kind zur Welt gebracht, das beide Frauen gemeinsam großziehen.

Die Gesellschaft ist toleranter geworden

Das Großereignis in Riga sei eine gute Gelegenheit, um die Öffentlichkeit des Landes auf die Probleme der sexuellen Minderheiten aufmerksam zu machen und Toleranz zu fördern, meint Goša. Mögliche Übergriffe von Gegnern der "EuroPride" fürchtet sie nicht. Seit der ersten LGBT-Parade in Riga im Jahr 2005 habe sich einiges getan. Die ersten Aktionen hätten noch hinter einem Zaun stattgefunden, die Teilnehmer seien beschimpft und mit Eiern beworfen worden. "Heute gehört sich das einfach nicht mehr", sagt Goša.

Trotzdem lehnen einige Politiker und gesellschaftliche Organisationen nach wie vor solche Veranstaltungen in Riga ab. So bezeichnete der stellvertretende Bürgermeister von Riga, Andris Ameriks, das Event als "protzige Demonstration, die gegenseitigem Verständnis in der Gesellschaft nicht förderlich ist". Auch der ehemalige lettische Präsident Andris Bērziņš erklärte, "man darf Homosexualität nicht aufdrängen und nicht dafür werben". Das sei ein "Weg ins Nirgendwo".

Proteste gegen den BalticPride in Riga im Jahr 2009 (Foto: EPA/NORA KREVNEVA, dpa)
Im Jahr 2009 gab es noch Proteste gegen die Parade BalticPride in RigaBild: dpa

Gesetz vorerst nicht zu erwarten

Die lettischen Politiker beeilen sich nicht, ein Gesetz über die zivile Lebenspartnerschaft zu verabschieden. Als dies im benachbarten Estland im Jahr 2014 geschah, sagte der lettische Justizminister Dzintars Rasnačs, solche Gesetze würden Lettlands Werte bedrohen. Er fügte hinzu, Menschen, die zusammen lebten, könnten ihre Eigentumsverhältnisse bei einem Notar regeln. Die Diskussion heizte der lettische Außenminister Edgars Rinkēvičs an, als er in sozialen Netzwerken öffentlich machte, homosexuell zu sein. Gleichzeitig forderte er ein Gesetz, das in Lettland auch gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften rechtlich anerkennen würde.

Der lettische Politikwissenschaftler Ivars Ījabs rechnet allerdings nicht damit, dass ein solches Gesetz vom Parlament in den kommenden Jahren angenommen wird. In der lettischen Gesellschaft sitze das Misstrauen gegenüber Politikern tief. Der kleinste Schritt, der nicht den Ansichten der Mehrheit entspreche, könne sie ihre politische Karriere kosten, so der Experte.