Europäische Ehrung für den Papst
24. März 2004In der Begründung zur Preisvergabe an den Papst am 24. März 2004 wird auch seine Rolle beim Fall des Eisernen Vorhangs gewürdigt. Als der charismatische Kardinal von Krakau, Karol Woytila, im Konklave 1978 zum Papst gewählt wurde, saß nicht nur zum ersten Mal seit 455 Jahren ein Nichtitaliener auf dem Stuhl Petri, sondern zum ersten Mal auch ein Slawe aus einem kommunistischen Land. Kommunismus und Kapitalismus hießen zu jener Zeit die großen Gegenspieler des Katholizismus.
Antikommunist
Der Antikommunist Karol Woytila kannte den östlichen Feind aus eigener Anschauung. Mit großem Gespür nutzte er seine Einflussmöglichkeiten auf das immer noch tief katholische Polen. Was in der Folge den gesamten Ostblock zwar nicht erschütterte, aber doch sehr irritierte. Vor allem in der frühen Phase seines Pontifikats, von 1978 bis Mitte der 80er Jahre, ist sein Anteil am späteren Sturz der kommunistischen Systeme in Osteuropa unbestritten. "Die Rolle von Karol Woytila ist nach 1978 vor allem in Polen bei der Gründung von Solidarnosc und dann auch bei dem Aufbau einer eigenen katholischen Arbeiterbewegung im Widerstand kaum zu überschätzen", sagt Siegfried Weichlein, Historiker an der Berliner Humboldt Universität.
Bei seinem ersten Polen-Besuch 1979 appellierte der Papst an Millionen begeisterte Landsleute: "Wehret euch gegen alles, was gegen die Würde des Menschen verstößt". Das kam einer Einmischung in innere Angelegenheiten sehr nah. Ein Jahr später begannen Arbeiter an der Lenin-Werft einen Streik. Er führte zur Gründung der ersten freien Gewerkschaft im Ostblock. In der Aufbruchstimmung um die polnische Gewerkschaft Solidarnosc propagierte Johannes Paul II. die katholische Soziallehre als Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus. "Die Kirche bildete in Polen mit päpstlicher Unterstützung ein Netzwerk für die antikommunistische Arbeiterbewegung", erklärt Weichlein. Der polnische Katholizismus habe mit dem Papst aus den eigenen Reihen außerdem sehr an Selbstbewusstsein gewonnen.
Verdienst für Europa
In vatikanischer Lesart wird Johannes Paul II. gerne als Hauptinitiator für den Zusammenbruch des Kommunismus gedeutet. Er selbst hat seine Rolle aber nie glorifiziert. Historisch korrekt muss von einem wegweisenden Beitrag zur Überwindung des Kommunismus und damit auch zu einer friedlichen Wiedervereinigung Europas gesprochen werden.
Johannes Paul II. war ein Vordenker der Europäischen Osterweiterung. Als erster Slawe auf dem Stuhl Petri verkörpert er nach eigenem Selbstverständnis die geistliche Einheit des christlichen Europa, das geprägt ist durch zwei große Traditionen: die des Westens und die des Ostens. Europa, ein von Karol Woytila immer wieder bemühtes Bild, habe "zwei Lungenflügel" und atme mit beiden. Die eigentliche Zielvision des Papstes für Europa blieb aber unerreicht: die Überwindung der Spaltung zwischen Westkirche und Ostkirche; zwischen Rom und den orthodoxen Kirchen. Auch das Zusammenwachsen Europas hat sich Johannes Paul II. anders vorgestellt. Unermüdlich forderte er nach der Wende, die Länder Osteuropas sollten sich auf ihre christlichen Wurzeln besinnen. Diese Rückbesinnung blieb bis heute aus. Auch sein immer wieder angemahnter Gottesbezug in einer Europäischen Verfassung erweist sich nicht als mehrheitsfähig. Europa hat das postsäkulare Stadium längst erreicht.