Europäische Firmen in China "tappen im Dunkeln"
10. Juni 2020Europäische Firmen in China, so beschreibt es Charlotte Roule in Peking, "tappen im Dunkeln". Zwar habe sich der Betrieb nach der Corona-Krise inzwischen weitgehend wieder normalisiert, so die Diagnose durch die Vizepräsidentin der EU-Handelskammer im DW-Gespräch. Die Ungewissheit aber sei so groß "wie seit Generationen nicht mehr gesehen", so Roule. "Lieferketten sind unterbrochen, die Nachfrage bricht ein, und die Aussichten sind düster."
Die EU-Handelskammer stellte am Mittwoch in Peking das Ergebnis einer Umfrage unter europäischen Unternehmen in China vor, den sogenannten Business Confidence Survey 2020 (BCS). Fast die Hälfte der Firmen, die antworteten, sehen sich Marktbarrieren gegenüber, ob in direkter oder, meistens, indirekter Form. 49 Prozent der Unternehmen geben an, in den letzten zwei Jahren sei das Geschäft für sie schwieriger geworden – das waren immerhin vier Prozent weniger als in der Umfrage davor.
Zwar wurde die Umfrage weitgehend vor der Corona-Krise erstellt, aber in der Folge noch ergänzt. Aber außer Problemen wie der Unterbrechung von Lieferketten wegen Corona oder der Schwierigkeit, noch eigenes Fachpersonal ins Land holen zu können, hat die Krise auch bereits bestehende "beunruhigende Trends" verschärft, so die Handelskammer: Auf der einen Seite gebe es ein offeneres, gerechteres und gut reguliertes System - auf der anderen Seite aber Bereiche, in denen Staatsbetriebe mit "alarmierender Geschwindigkeit" Anteile übernähmen. Die chinesische Regierung stütze sich in der Krise stärker auf die Staatsunternehmen.
"Eine Wirtschaft, zwei Systeme"
Charlotte Roule von der Handelskammer spricht denn auch davon, Chinas Wirtschaft bewege sich zunehmen in Richtung eines Modells "eine Wirtschaft, zwei Systeme".
Dabei ist die Problemliste der befragten Unternehmen ohnehin schon lang: Am meisten Sorgen machen inzwischen der wirtschaftliche Abschwung in China, das im ersten Quartal einen Wachstumseinbruch von 6,8 Prozent verzeichnete. Auf Platz zwei steht der seit zwei Jahren andauernde Handelskrieg der USA mit China. Kopfschmerzen bereiten ihnen ferner der Rückgang der globalen Konjunktur, steigende Lohnkosten und zweideutige Vorschriften in China.
Bereits seit 2013 laufen zwischen China und der Europäischen Union Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen zwischen beiden Seiten. Am Dienstag hatte sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrel in Brüssel enttäuscht über den bisherigen Verlauf dieser Gespräche geäußert. Er warf China mangelnden Einigungswillen und einen Verstoß gegen Absprachen vor - insbesondere in den Bereichen Marktzugang, Reziprozität Reziprozität und einheitliche Rahmenbedingungen.
Besser kein Abkommen als ein schwaches
"Wir wünschen uns sehr ein bedeutsames Investitionsabkommen", sagte nun auch Handelskammer-Vizepräsidentin Roule in Peking. Wenn das aber nicht gelinge, wäre es besser, keins zu haben. Anfang des Monats hatten die EU und China ihr für September geplantes Gipfeltreffen in Leipzig abgesagt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping und EU-Ratspräsident Charles Michel seien sich einig, dass das Treffen "angesichts der pandemischen Gesamtlage" im Zusammenhang mit dem Coronavirus nicht stattfinden könne, teilte die Bundesregierung mit. Es solle aber nachgeholt werden.
Deutschland ist mit Abstand Chinas größter europäischer Handelspartner. Umgekehrt war China 2018 zum dritten Mal in Folge Deutschlands größter Handelspartner. Für jedes zehnte in China tätige deutsche Unternehmen ist die Volksrepublik der größte Markt für die eigenen Produkte.
ar/hb (dpa, afp – ARD/BCS)