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Politik

Von Schlachthöfen in anderen Ländern

Clara Nack
28. Juni 2020

Mangelnde Hygiene und enge Unterkünfte: Beim deutschen Fleischproduzenten Tönnies infizierten sich Arbeiter reihenweise. Es hagelt Kritik. Doch in anderen EU-Ländern ist die Situation in Schlachthöfen nicht viel besser.

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Deutschland Arbeit im Schlachthof
Corona-Ausbrüche in Schlachtbetrieben gibt es auch in anderen EU-Staaten (Archiv)Bild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

Seitdem sich eine große Zahl von Mitarbeitern des Fleischproduzenten Tönnies mit dem Coronavirus infiziert hat, steht einer der größten deutschen Schlachtbetriebe stark in der Kritik. Nicht nur die Missachtung von Abstandsregeln, sondern auch die prekären Lebensverhältnisse vieler, die als Gastarbeiter nach Deutschland kommen, sollen für die schnelle Ausbreitung des Virus gesorgt haben.

Fleischverarbeitungsbetriebe als Infektionsherde sind jedoch kein rein deutsches Problem. "Die Gründe sind in den schlechten Arbeits- und Wohnbedingungen zu suchen, von denen Tausende von Fleischarbeitern in vielen Ländern Europas betroffen sind", schreibt der Europäische Gewerkschaftsbund für Ernährung, Landwirtschaft und Tourismus (EFFAT) in einem aktuellen Bericht.

Deutschland Verl | Tönnies | Corona-Ausbruch
Versorgung für Arbeitnehmer in Quarantäne: Schlachter müssen in Verl zuhause bleibenBild: picture-alliance/dpa/D. Interlied

Infektionswellen in vielen EU-Ländern

Zahlreiche Fleischproduzenten in EU-Staaten wie Belgien, Frankreich, Irland, Spanien, Polen und den Niederlanden haben seit Anfang April 2020 Infektionswellen unter ihren Mitarbeitern verzeichnet.

Die irische Fleischindustrie war nach Deutschland in der EU am stärksten von Ansteckungen auf Schlachthöfen betroffen. In 19 Betrieben infizierten sich insgesamt 950 Arbeiter mit dem Virus, in einigen Fällen erkrankte ein Viertel der Beschäftigten. Trotzdem wurde keines der Werke in Irland geschlossen.

Als sich in auf einem niederländischen Schlachthof in Groenlo nahe der deutschen Grenze über 20 Prozent der Arbeiter infizierten, wurde das Werk des Lebensmittelproduzenten Vion Ende Mai geschlossen. Getestet wurde erst auf Druck der deutschen Behörden, da ein Großteil der Arbeiter in Deutschland lebt und über die Grenze pendelt.

In Frankreich waren Mitte Mai zwei Schlachthöfe im Westen des Landes betroffen, in denen bislang 180 Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet wurden. Nur eines der Werke in Val de Loire, in dem rund zehn Prozent der Arbeiter erkrankten, wurde von lokalen Behörden geschlossen.

Beim Hersteller Litera Meat in der spanischen Gemeinde Binéfar traten rund 200 Corona-Fälle auf.

"In Deutschland haben wir jedoch bei weitem den größten Ausbruch in einem Betrieb", sagt Kristjan Bragason, Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes EFFAT. "Wir haben in den letzten Jahren ein regelrechtes Sozialdumping erlebt." Deutschland ist der größte Fleischproduzent Europas.

Kristjan Bragason Generalsekretär EFFAT
Kristjan Bragason: Missstände in der Fleischindustrie in Europa, nicht nur in DeutschlandBild: EFFAT

Lohndumping und schlechte Wohnverhältnisse

Viele der Arbeiter kommen über Subunternehmer aus Osteuropa, Afrika und Südamerika, um für deutsche und andere europäische Fleischproduzenten zu arbeiten. Die Gewerkschaft EFFAT schätzt, dass in Deutschland rund 80 Prozent der Fleischproduktion von hauptsächlich osteuropäischen Arbeitsmigranten übernommen werden.

Dabei vereinbart beispielsweise ein Schlachthof mit einem Subunternehmer sogenannte Werkverträge für das Schlachten und Zerlegen einer bestimmten Anzahl von Tieren. Wie viele Arbeiter der Subunternehmer für den Auftrag - das "Werk" - einsetzt, was er ihnen bezahlt und wie er die Arbeit organisiert, fällt offiziell nicht in die Verantwortung des Schlachthofbetreibers.

Da die Gastarbeiter nicht von den Konzernen direkt beschäftigt werden, haben sie in der EU kaum wirtschaftliche Sicherheit und nehmen lange Akkordarbeit ohne adäquate Pausenzeiten in Kauf. Sie werden in engen Sammelunterkünften untergebracht, die nicht den Hygienestandards entsprechen.

Für ein Bett in einem Zimmer mit zehn anderen, zahlen die Werk-Verträgler bis zu 200 Euro. "Alle Social-Distancing-Vorkehrungen, die am Arbeitsplatz getroffen werden, nützen den Arbeitern nichts, wenn sie sich in den Unterkünften infizieren", meint auch Gewerkschafter Bragason. Manche von ihnen kämen aus Angst vor Kündigungen sogar krank zur Arbeit.

Klimaanlagen in den Schlachthöfen erleichtern die Verbreitung des Virus in der Luft und Arbeiter werden bei den kalten Temperaturen schneller krank. So werden europäische Schlachtbetriebe zu Zentren für die Ausbreitung des Virus.

Niederlande Schlachthaus Vion wegen Coronavirus sofort geschlossen
Schlachthaus der Firma Vion in Groenlo wurde geschlossen: "Der grüne Weg" führte nicht weiterBild: picture-alliance/ANP/V. Jannink

Gesetze gegen Ausbeutung durch Subunternehmer

Eindämmen könne man die europäische Situation laut der Gewerkschaft EFFAT nur, wenn man Kontrolle über die unzumutbaren Wohnbedingungen der eingewanderten Arbeiter erlange. In Dänemark, wo bisher keine Infektionen in Schlachtbetrieben auftraten, sind nur ein Viertel der Arbeiter Migranten. Auch in Spanien hat das Phänomen in den letzten Jahren stark abgenommen.

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatte nach seiner Wahl 2017 angekündigt, die Beschäftigung über Subunternehmer einschränken zu wollen. Arbeiten, die über ein Jahr hinausgehen, sollten demnach mit festen Verträgen bei französischen Konzernen direkt geregelt werden. Bisher hat sich hier in der Gesetzgebung jedoch nichts getan.

In Deutschland möchte man bis Januar 2021 nun schnellstmöglich ein Gesetz erlassen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, Werkverträge in der deutschen Fleischbranche verbieten zu wollen.

Virenschleuder Fleischfabrik

Fleischindustrie weltweit betroffen

"Die einzige mit Deutschland vergleichbare Situation gibt es in Schlachtbetrieben außerhalb der EU", sagt EU-Gewerkschafter Bragason. "Und zwar in den USA." Hier waren die Infektionszahlen in Fleischbetrieben ähnlich gestiegen wie in Deutschland.

Mehrere Betriebe in den USA mussten die Produktion vorübergehend einstellen, nachdem insgesamt 5000 Mitarbeiter positiv getestet wurden. Viele Werke öffneten jedoch bereits im Mai wieder, als US-Präsident Donald Trump die Fleischbranche per Verordnung zum kritischen Sektor erklärte. Dadurch wollte er etwas gegen den Unmut über Fleischknappheit in den Supermärkten tun.

Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden verglich in einem Forum, in dem Verwandte von infizierten Arbeitern sich austauschen, die Bedingungen in den US-Fleischbetrieben kürzlich mit "Kriegsgebieten". Auch hier sind es häufig Gastarbeiter, vor allem aus Lateinamerika, die in schlechten Arbeitsverhältnissen für große US-Konzerne arbeiten.

Die Methoden mit denen Fleischproduzenten Lohndumping betreiben und ihre Arbeiter in unsicheren, dürftigen Verhältnissen leben lassen, um Produktionskosten und Preise niedrig zu halten, ähneln sich weltweit. Medienberichte aus Großbritannien, Kanada, Brasilien und Australien zeigen, dass sich auch hier Infektionen mit COVID-19 in der Fleischindustrie häufen.