Eurozone drücken die Privatschulden
12. Juli 2013Irene Gonzalez lebt in Madrid. Vor 12 Jahren kaufte sie, wie Millionen ihrer Landsleute vor und nach ihr, eine Eigentumswohnung zu einem überhöhten Preis und mit wenig Eigenkapital. Aber die Zinsen waren so günstig und der Immobilienerwerb wurde vom Staat steuerlich gefördert. Inzwischen ist der Wert der Dreizimmer-Wohnung rapide gefallen, und Irene verdient viel weniger als früher.
In dem Moment, wo die Ratenzahlungen für Kredite das Einkommen übersteigen, ist man pleite. Das ist Irene längst. Zinsen und Tilgung kann sie nicht mehr leisten. Würde sie die Wohnung verkaufen, würde sie dafür weniger bekommen als sie noch an Schulden hat. Also harrt sie der Zwangsräumung. "Mein achtjähriger Sohn macht sich Sorgen um seine Spielsachen. Er fragt: Was passiert mit meinen Spielsachen? Er hat große Angst und ist auch deswegen krank geworden", sagt Irene dem Reporter der Deutschen Welle.
Mehr Privatschulden als Staatsschulden
Das Schicksal der drohenden Zwangsräumung teilt sie mit Hunderttausenden spanischer Haushalte. Insgesamt steht das Land auf der iberischen Halbinsel mit 2,5 Billionen Euro bei seinen Gläubigern in der Kreide. Über 70 Prozent davon sind Privatschulden. Und Spanien ist kein Einzelfall. Während die Staatsschulden in der Eurozone rund 90 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung ausmachen, sind die Privatschulden mindestens dreimal so hoch wie das BIP der Euroländer.
Solche Zahlen sind aber nach Meinung von Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), mit Vorsicht zu genießen: "Man muss sehen, dass der private Sektor sich untereinander Geld schuldet. Das heißt, die Schulden des einen sind die Forderungen des anderen."
Schulden der Privathaushalte werden zu Bankschulden
Im Falle von Irene Gonzalez hat sie Geld von einer Bank geliehen. Also sind ihre Schulden die Forderungen der Bank. Da sie aber zahlungsunfähig geworden ist, bleibt die Bank auf diesen Forderungen sitzen und muss sie irgendwann abschreiben. Wenn auch viele andere ihre Kredite nicht mehr abzahlen können, dann hat die Bank ein Problem.
Der ganze Bankensektor in Spanien ächzt unter der geplatzten Immobilienblase. 40 Milliarden Euro hat Madrid letztes Jahr vom Rettungsfonds ESM bekommen, um die maroden Geldhäuser zu sanieren. Für diesen Batzen Geld hat der Staat die Haftung übernommen. Mit anderen Worten: Wenn sich die Banken als ein Fass ohne Boden erweisen, dann droht Spanien ein ähnliches Schicksal wie Irland. Der einstige keltische Tiger musste 70 Milliarden Euro für die Bankenrettung aufwenden und schlüpfte dann selber unter den Rettungsschirm.
Bankschulden werden zu Staatsschulden
Das heißt: Die Grenze zwischen Privat- und Staatsschulden ist fließend. Für beide Schulden gilt, dass sie nicht per se schlecht sind. "Ohne Verschuldung könnten die Unternehmen nicht investieren. Das heißt, Schulden und Kreditbeziehung sind eigentlich das Fundament unseres Wohlstandes", sagt Ökonom Fuest gegenüber der DW. Problematisch werde es, wenn die Schulden nicht mehr in Relation zum Einkommen und zur Leistungsfähigkeit der Menschen stünden, meint Hanno Beck, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Pforzheim. In einigen Ländern der Eurozone sei das eindeutig der Fall. Zu dieser Entwicklung habe auch der Euro beigetragen, der den Blick der Investoren auf diese Länder verändert habe, sagt Fuest: "Das Abwertungsrisiko war weg, deshalb war man eher bereit, dort zu investieren, die Zinsen sind gesunken und die Menschen haben auf die Zinssenkung reagiert, indem sie sich mehr verschuldet haben."
Dabei sind Schuldenexzesse kein speziell südeuropäisches Phänomen. In den Niederlanden sind die Privathaushalte mit 250 Prozent ihres verfügbaren Einkommens verschuldet. Auch in Deutschland bilden sich Keime für eine Immobilienblase, da viele es für attraktiver halten, Darlehen für das so genannte Betongold aufzunehmen, als das Geld zum Nulltarif zu sparen.
Umverteilung zulasten der Sparer
Die Niedrigzins-Politik werde die Europäische Zentralbank noch eine ganze Weile beibehalten, das hat gerade der EZB-Präsident Mario Draghi versichert. Sparer bekommen kaum Zinsen, weil sich die Banken fast gratis Geld bei der Zentralbank beschaffen können. Wenn die Inflation höher ist als der Sparzins, sprechen Fachleute von der finanziellen Repression. Es findet eine Umverteilung zugunsten der Schuldner statt.
Inflation wird ohnehin gerne von den Staaten als ein Mittel eingesetzt, um sich der Schulden zu entledigen. Denn mit dem sinkenden Wert des Geldes wird auch die Schuldenlast leichter. Da jedes Rettungspaket dazu führt, dass immer mehr Privatschulden zu Staatsschulden werden, werden die Staaten früher oder später zu diesem Mittel greifen. Für Hanno Beck ist die Inflation eine Art Steuer, die sehr unfair ist, denn sie treffe "vor allen Dingen die Bürger, die es sich nicht leisten können, in Sachwerten vorzusorgen - sprich Leute mit einem geringen Einkommen." Inflation sei im Grunde genommen eine Steuer auf die Haltung von Bargeld. "Ich halte sie auch für eine sehr undemokratische Steuer, weil sie lautlos ist und man nicht darüber abstimmen kann", sagt Beck im Gespräch mit der DW.
Inflation und Schuldenschnitte
Um Schulden zurückzuzahlen, sollten die Politiker seiner Meinung nach die Steuern erhöhen: "Das wäre die ehrlichste, offenste Lösung und deswegen auch genau die Lösung, die Politiker am wenigsten lieben."
Auch um Schuldenschnitte werde die Währungsunion nicht herumkommen können. "Was Griechenland angeht, wahrscheinlich auch Spanien und Portugal, da sind die Schulden nicht mehr rückzahlbar", so Beck.
Das heißt, nicht nur Irene Gonzalez muss Privatinsolvenz anmelden, auch ihr Land wird irgendwann mit seinen Gläubigern reden müssen.