Evergrande: Hiobsbotschaften reißen nicht ab
26. September 2023Die Krise um Chinas strauchelnden Immobilien-Entwickler Evergrande zieht immer größere Kreise und gleicht mittlerweile einem Wirtschaftskrimi. Nach Berichten des chinesischen Wirtschaftsmagazins Caixin sollen vor kurzem der frühere Finanzchef (CFO) Pan Darong und der Ex-Konzernchef von Evergrande, Xia Haijun, von den chinesischen Behörden verhaftet worden sein. Die beiden engen Mitarbeiter des Evergrande-Gründers Hui Ka-yan waren 2022 zurückgetreten, nachdem bekannt geworden war, dass Evergrande-Tochterfirmen offenbar Milliarden-Kredite aufgenommen hatten, ohne sie in der Bilanz auszuweisen.
In der vergangenen Woche sollen außerdem in der Hightech-Metropole Shenzhen Mitarbeiter der Tochtergesellschaft Evergrande Wealth Management festgenommen worden sein.
Auslands-Gläubiger mit ihrer Geduld am Ende?
Am Dienstag berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass ausländische Evergrande-Gläubiger planen, sich einem gerichtlichen Liquidationsverfahren gegen den zahlungsunfähigen Bauträger anzuschließen, wenn Evergrande nicht einen neuen Umschuldungsplan bis zum nächsten Monat vorlegt. Reuters beruft sich dabei auf Insiderquellen. Die Meldung befeuert Spekulationen, dass Chinas Immobilien-Riese kaum noch zu retten ist und abgewickelt werden muss.
Der Plan von Evergrande zur Umstrukturierung seiner Auslandsschulden, der im März vorgestellt wurde, ist kräftig ins Wanken gekommen. Denn am Sonntag hatte das Unternehmen eingeräumt, dass es aufgrund der laufenden Untersuchungen durch Chinas Behörden gar keine neuen Schulden aufnehmen könne. Das heißt, Evergrande kann die Anleihen seiner Gläubiger gar nicht in neue Schuld-Papiere mit längeren Laufzeiten anbieten.
Chinas zentrale Wirtschaftssäule wackelt
Das ist heftiger Gegenwind für Pekings Bemühungen, die stotternde chinesische Wirtschaft zu stabilisieren und Investoren die Furcht zu nehmen, dass die Schuldenkrise im Immobiliensektor auf das chinesische Bankensystem übergreifen könnte. Eine Eskalation der Schuldenkrise hätte nicht nur Auswirkungen auf die Volksrepublik, sondern würde bei allen zentralen Wirtschaftspartnern Pekings erhebliche Schockwellen auslösen. Chinas Bausektor steht - rechnet man sämtliche Bereiche wie Immobiliendienstleistungen, Rohstoffe, Finanzierung usw. ein - für knapp ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes.
Evergrande versucht seit Monaten, seine ausländischen Gläubiger für eine Umstrukturierung seiner Auslandsschulden im Wert von 31,7 Milliarden Dollar ins Boot zu holen. Insgesamt waren die Schulden des Unternehmens 2022 auf 340 Milliarden Dollar angewachsen.
Der Plan sieht vor, dass Gläubiger von Evergrande-Auslandsanleihen einen Teil ihrer Forderungen in neue Anleihen mit Laufzeiten von zehn bis zwölf Jahren umtauschen sollen.
Auf dem falschen Fuß erwischt
Offenbar waren viele Evergrande-Anleihegläubiger von der Ankündigung des Unternehmens am Wochenende überrascht worden, dass das Unternehmen zurzeit gar nicht in der Lage ist, neue Anleihen zu emittieren. Hinter den Kulissen sollen jetzt weitere Gespräche klären, wie trotzdem eine Umschuldung oder Streckung der Schulden organisiert werden kann, erklärten Insider gegenüber Reuters .
Falls Evergrande nicht bis zum 30. Oktober einen neuen Umschuldungsplan vorlegt, werde man einen von anderen Gläubigern bereits eingereichten Liquidationsantrag gegen das Bauunternehmen unterstützen, sagten die Reuters-Quellen.
Wie viele Gläubiger einen solchen Schritt in Erwägung ziehen und welchen Umfang ihre Investments in Evergrande-Anleihen haben, ist bislang nicht bekannt.
Top Shine Global, das in Evergrandes Online-Immobilien- und Automobil-Plattform Fangchebao investiert ist, hatte im Juni 2022 in Hongkong einen Antrag auf Liquidation eingereicht, weil das Bauunternehmen eine Vereinbarung über den Rückkauf von Fangchebao-Aktien nicht eingehalten hatte. Im Juli wurde die Anhörung zu diesem Antrag auf Liquidation gegen Evergrande auf den 30. Oktober vertagt, um das Ergebnis eines Treffens von Evergrande mit seinen Gläubigern über eine Umschuldung abzuwarten.
Um grünes Licht für eine Umschuldung zu bekommen, ist Evergrande auf die Zustimmung von mehr als 75 Prozent der Gläubiger aller Anleihen-Klassen angewiesen.
Das Treffen ist für Mitte Oktober geplant. Allerdings kommen nach dem Eingeständnis von Evergrande, zurzeit keine Anleihen emittieren zu können, erhebliche Zweifel auf, dass die bisher geplante Umschuldung überhaupt funktionieren kann.
Zentrale Rolle der Auslands-Gläubiger
Der Liquidationsantrag gegen Evergrande ist eines der vielen Verfahren, die gegen chinesische Bauunternehmen eingeleitet wurden, nachdem eine ganze Reihe von Unternehmen ihren Zahlungsverpflichtungen 2021 nicht nachgekommen waren. Damals war die Nachfrage nach Immobilien während der Corona-Pandemie eingebrochen und hatte eine beispiellose Liquiditätskrise in Chinas Immobilienbranche ausgelöst.
Auslöser dafür waren unter anderem die Bemühungen der Staats- und Parteiführung in Peking, die hohe Verschuldung im Immobiliensektor einzudämmen und die sich anbahnende Immobilienblase in den Griff zu bekommen.
Viele der in Zahlungsverzug geratenen Bauträger bemühen sich um die Zustimmung ihrer ausländischen Gläubiger zu Umschuldungsplänen, um einen Zusammenbruch oder ein Liquidationsverfahren zu vermeiden.
Die Aktien von Evergrande waren am Dienstag um 8,1 Prozent auf den niedrigsten Stand seit dem 6. September gefallen und weiteten ihre Verluste den zweiten Tag in Folge aus, nachdem der wichtigste inländische Unternehmensteil Hengda Real Estate Group eingeräumt hatte, die Rückzahlung einer inländischen Anleihe verpasst zu haben. Es geht dabei um Zahlungen für eine Anleihe im Umfang von vier Milliarden Yuan (547 Millionen Dollar), die am 25. September fällig waren.
Die Tochter ist im Visier chinesischer Aufsichtsbehörden wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Informationspflichten. Ende Juli summierten sich die Schulden von Hengda auf rund 38 Milliarden Dollar. Mehr als 1900 Rechtsstreitigkeiten sind vor Gerichten anhängig. Wertpapierbesitzer und potenzielle Investoren sollten vorsichtig sein, teilte die Evergrande-Gruppe in einer Mitteilung an die Börse in Hongkong mit.
Die neue Verschärfung der Krise um Evergrande und andere Immobilienentwickler ist ein Rückschlag für die Bemühungen der chinesischen Regierung, die Krise im Immobiliensektor zu entschärfen. Vor wenigen Wochen hatten die Entscheider in Peking versucht, mit einer Reihe von Maßnahmen, wie einer Senkung der Hypothekenzinsen, der angeschlagenen Schlüsselbranche unter die Arme zu greifen.
Doch die Negativ-Meldungen reißen nicht ab: Jetzt wurde bekannt, dass der Immobilienentwickler China Oceanwide in der Steueroase Bermuda für zahlungsunfähig erklärt wurde. Chinas Immobilienbranche lässt damit die Panik an den Finanzmärkten rund um den Globus wieder aufleben.
tko/hb (rtr, afp, Bloomberg)