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Politik

"Evet" oder "Hayir": Deutschtürken stimmen ab

Sabrina Pabst Hürth
27. März 2017

Viele Deutschtürken können ab sofort über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei abstimmen. Die Community ist gespalten, die Stimmung aufgeheizt. Aus Köln berichtet Sabrina Pabst.

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Deutschland Köln türkisches Generalkonsulat Referendum (Foto: DW/S. Pabst)
Wahlbeobachter begleiten die Stimmabgabe in den 13 bundesweiten EinrichtungenBild: DW/S. Pabst

"Ich bin für die Türkei hier. Ich bin hier, ja zu sagen", sagt ein älterer Mann bereitwillig in etwas gebrochenem Deutsch. "Es war keine schwere Entscheidung. Wir wussten, dass wir ja sagen werden." Seine Ehefrau will sich nicht äußern und nickt lediglich zustimmend. Seit kurz nach acht Uhr steht das Paar vor dem Zelt auf dem Gelände des türkischen Generalkonsulat in Hürth bei Köln. Und die Schlange ist lang. In Hürth befindet sich eine von 13 Einrichtungen, in denen Deutschtürken mit türkischem Pass noch bis zum 9. April abstimmen können. 

Insgesamt drei Millionen Menschen, die aus der Türkei stammen oder türkische Wurzeln haben, leben in Deutschland. Die türkische Staatsbürgerschaft besitzen 1,5 Millionen von ihnen - 1,4 Millionen sind über 18 und somit wahlberechtigt. Das Referendum über die Verfassungsänderung ist für den 16. April geplant.

Deutschland Köln türkisches Generalkonsulat Referendum
Morgens früh ist der Andrang in Hürth großBild: DW/S. Pabst

"Deutsche Medien verdrehen Wahrheit"

Etwas abseits der Schlange steht ein Mann, der das Geschehen beobachtet. Er lebt seit 25 Jahren in Deutschland und hat, wie seine beiden Kinder, einen deutschen Pass. Aber die deutsche Staatsbürgerschaft würde ihm keine Vorteile bringen, meint er. Er und seine Familie seien Menschen zweiter Klasse. Chancengleichheit hätte er nie erfahren.

An dem Referendum darf er nicht teilnehmen - ein Umstand, über den er sichtlich erregt ist. Er bereut seine Entscheidung von damals, sagt er. Seine Entscheidung für den deutschen Pass. Er hat seine Frau zum Generalkonsulat begleitet. Sie steht mit einer Freundin in der Warteschlange, denn sie wollte die türkische Staatsbürgerschaft nie aufgeben. Die Presse schreibe eh, was sie wolle und würde alles verdrehen, sagt der 50-jährige Mann, der seinen Namen, wie so viele, nicht nennen möchte. 

"Warum interessieren sich Deutschland oder andere europäische Länder so für die Politik der Türkei?", fragt er und wettert weiter: Europa wolle die Türkei spalten und einen Bürgerkrieg anstacheln. Die Medien verbreiteten Lügen und vertuschten die Wahrheit. "Ich glaube nur das, was türkische Medien berichten, denn die wissen besser, was im Land passiert."

"Erdogan hat alles reformiert"

Auch der 32-jährige Ali fühlt sich gut informiert durch die türkischen Medien. "Das System in der Türkei läuft nicht", sagt der junge Mann aus Hürth. "Ich stimme daher für das neue System", betont er. Früher seien die Einkommen gering gewesen und es habe kein ausgebautes Gesundheitssystem gegeben. "Erdogan hat alles reformiert." 

Kommt im Referendum eine Mehrheit für die Verfassungsreform zustande, wird das parlamentarische System in der Türkei durch ein Präsidialsystem ersetzt. Erdogan würde damit deutlich gestärkt.

"Ich habe für die Demokratie gestimmt"

Deutschland Köln türkisches Generalkonsulat Referendum (Foto: DW/S. Pabst)
Levent und sein Vater Yildrai "erkennen die Türkei nicht wieder"Bild: DW/S. Pabst

Ein junger Mann, der Händchen haltend mit seiner Frau vorbei läuft, schüttelt den Kopf. Zu dem Thema gebe es nicht mehr viel zu sagen, meint er. "Ich habe die Nase voll von diesem Land und von dem was dort passiert. Deswegen bin ich nach Deutschland gekommen." Gleich nach der Stimmabgabe beantrage er einen deutschen Pass. 

Hattice gehört auch zu den Referendumsgegnern. Sie ist an diesem Tag bereits eine Stufe weiter. Sie hat die Sicherheitskontrollen vor dem Gebäude und eine weitere Warteschlange hinter sich gelassen. Sie steht mit ihrem türkischen Pass in der Hand vor einem langen Tisch, hinter dem vier Wahlhelfer sitzen. Ein Umschlag mit einem Zettel, auf dem "EVET" und "HAYIR " steht, wird ihr zusammen mit einem Stempel ausgehändigt. Nachdem sie den verschlossenen Umschlag in die durchsichtige Urne geworfen hat, weicht ihre Anspannung sichtlich. Sie lebt seit 28 Jahren in der Nähe von Köln. Dass sie mit "Nein" (Hayir) gestimmt hat, traut sie sich jetzt erst zu sagen. "Ich habe für die Demokratie gestimmt. Die ist in Gefahr, da müssen wir was tun."

Die Gegner von Erdogans angestrebtem Präsidialsystem warnen vor einer Diktatur und einem Abbau der Gewaltenteilung. Das befürchten auch Levent und sein Vater. "Ich wollte das so schnell wie möglich hinter mich bringen und meine Stimme für die Demokratie abgeben", sagt er. Sein Vater Yildrai erkenne seine Heimat, die er vor mehr als 20 Jahren verlassen hat, nicht wieder. "Wir merken, dass die Atatürk-Revolution in der Türkei zu Ende geht."

Deutschland Köln türkisches Generalkonsulat Referendum (Foto: DW/S. Pabst)
Fordert den Erhalt der Demokratie: Yüksel KocBild: DW/S. Pabst

"Ich werde meine Meinung deutlich sagen"

Stimmen wie diese stimmen Yüksel Koc zuversichtlich. Der Co-Vorsitzende des Demokratischen Gesellschaftskongresses der Kurden in Europa ist überzeugt, dass die Mehrheit der Wahlberechtigten mit "Nein" stimmen wird - "für die Demokratie, für unsere Zukunft, für unsere Kinder. In der Türkei gibt es verschiedene ethnische und religiöse Gruppen. Sie alle brauchen nicht nur einen Mann, sie brauchen eine Demokratie", fordert er. Mit der Kriegs- und Hasspolitik versuchten nationale Parteien, oppositionelle Gruppen und türkische Immigranten zu spalten. "Ich habe keine Angst", sagt Koc. "Jeder demokratische Prozess hat seinen Preis. In der Türkei sind viele Bürger, Politiker und Journalisten im Gefängnis. Vielleicht nehmen sie mich auch fest, aber ich werde meine Meinung trotzdem ganz deutlich sagen."

Deutschland, türkisches Konsulat in Köln | Mustafa Yeneroglu, AKP Abgeordneter
Sieht Befürworter des Referendums benachteiligt: Mustafa Yeneroglu Bild: DW/B. Özay

Geht es nach Meinung des in Köln lebenden AKP-Abgeordneten Mustafa Yeneroglu, dann hat die Opposition in Deutschland ihre Kritik ausgiebig äußern dürfen. Gegner der Verfassungsänderung seien unterstützt worden. Befürworter hätten überall Behinderung erleben müssen. Daher beklagt er sich über einen unfairen Wahlkampf. "Während die eine Seite Behinderungen hinnehmen musste, konnte die andere Seite ungehindert jede Möglichkeit nutzen", sagt er der Deutschen Welle. Aus diesem Grund hätte die AKP über die Inhalte der angestrebten Änderungen in Deutschland nicht angemessen informieren können. Das sieht eine Gruppe älterer Frauen anders. 

Sie diskutieren laut über die Abstimmung. Erdogans aggressives Verhalten habe sie regelrecht abgeschreckt. "Wissen Sie, wir haben immer AKP gewählt. Aber nach dem Nazi-Vergleich sagen wir 'Hayir'."

In Deutschland lief die Abstimmung, wie auch in anderen europäischen Ländern, ruhig an. Nach dem Ende der Abstimmungszeit werden die Wahlurnen in die Türkei gebracht und die Stimmen dort gezählt.