"Humanitäre Standards für Abschiebungen"
12. Februar 2017"Wir dürfen unsere rechtsstaatlichen und humanitären Standards nicht über Bord werfen. Sie setzen rigorosen Abschiebungen rechtliche und faktische Grenzen." Mit diesen Worten hat der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier (Artikelbild) davor gewarnt, bei der geplanten Verschärfung der Abschieberegelungen das Maß zu verlieren.
Es sei zwar richtig, von der Möglichkeit der Abschiebung "in rechtlich zulässiger und menschlich zumutbarer Weise stärker Gebrauch zu machen als bislang", sagte Papier den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe. "Ich warne aber davor zu glauben, dass mit einer rigorosen Abschiebung die Probleme gelöst werden können, die durch eine aus dem Ruder gelaufene Asyl- und Migrationspolitik entstehen."
Ob eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, entscheide sich danach, ob es dort sichere Regionen gebe. "Es ist nicht nötig, dass das gesamte Territorium dieses Staates sicher ist", fügte Papier hinzu.
Bund und Länder hatten am Donnerstagabend Eckpunkte für eine konsequentere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber vereinbart, die von der Initiative Pro Asyl als "Ende der Willkommenskultur" kritisiert wurden. In einem Dutzend Städte demonstrierten am Samstag Menschen gegen die Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan.
Papier warnte zudem vor einem "Überwachungsstaat" in Deutschland. "Eine totale Überwachung sorgt auch nicht für absolute Sicherheit", könne aber die Lebensführung unbescholtener Bürger beeinträchtigen, sagte Papier. Skeptisch äußerte er sich daher zu einem weiteren Ausbau der Videoüberwachung. "Wir können nicht den gesamten öffentlichen Raum als gefährlich einstufen", warnte Papier. "Bei der Videoüberwachung eines Großteils der Bevölkerung sehe ich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt." Für problematisch halte er etwa Überlegungen für eine generelle Überwachung von Weihnachtsmärkten, denn diese seien nicht gefährdeter als viele andere Orte in Deutschland, an denen Menschen zusammenkommen.
Zurückhaltend äußerte sich Papier auch zu den Plänen der Bundesregierung für elektronische Fußfesseln für islamistische Gefährder. Der Verfassungsjurist wies darauf hin, dass "Gefährder" bislang "gar kein Rechtsbegriff" sei. "Man darf nicht an irgendwelche Gesinnungen und Religiositäten anknüpfen, sondern muss sich an feststellbare Tatsachen halten." Zudem müsse auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.
Der Begriff des "Gefährders" wird bislang von der Polizei für Menschen verwendet, von denen nach ihrer Einschätzung eine Gefahr ausgeht. Eine richterliche Überprüfung dieser Einschätzung erfolgt bislang nicht, wäre aber aus Sicht von Rechtsexperten erforderlich, wenn daran Sanktionen wie Fußfesseln oder gar Abschiebungen geknüpft werden. "Das ist ein schwieriges Feld", sagte dazu Papier, denn es gehe um das Vorfeld der Planung oder Begehung einer konkreten strafbaren Handlung.
stu/fab (afp, epd, kna)