Exil-Iraner zwischen Hoffnung und Sorge
30. November 2019Mehdi Jafari Gorzini nähert sich schnellen Schrittes dem Eingang des Mainzer Hauptbahnhofs, vor dem die letzten Vorbereitungen für den Weihnachtsmarkt laufen. Wo jetzt Glühwein- und Reibekuchen-Hütten stehen, hat der gebürtige Iraner noch vor einer Woche mit rund 100 Menschen demonstriert, um die Proteste im Iran zu unterstützen. "Mit mehr Vorlaufzeit hätten wir mehr Leute mobilisieren können", sagt Gorzini, der die Kundgebung mit organisiert hatte. Dennoch sei er froh, "dass Menschen von verschiedenen Organisationen, politischen Schattierungen und Vertreter religiöser und ethnischer Minderheiten da waren."
Gorzini, schwarzgraues Haar, leuchtend rote Jacke und Sneaker, floh 1979 im Alter von 21 Jahren vor der Islamischen Revolution im Iran nach Deutschland. 1982 war er unter den Studenten, die im Studentenwohnheim Inter 1 in Mainz von bis zu 200 bewaffneten Anhängern des Revolutionsführers Khomeini zusammengeschlagen wurden.
In diesen Tagen hat der 61-Jährige besonders viel zu tun: Seit dem Ausbruch der teils gewaltsamen Proteste im Iran infolge einer überraschenden Benzinpreiserhöhung vor zwei Wochen verbringt er "jede freie Minute" damit, mit Verwandten und Freunden in seinem Heimatland zu kommunizieren, die Entwicklungen im Land zu verfolgen und auf seinem Facebook-Profil Aufrufe zur Unterstützung der Demonstrationen zu posten.
Sorge vor Repressionen
Statt dem Ohnmachtsgefühl, das ihn seit 40 Jahren begleite, verspüre er jetzt eher Freude. "Diese Bewegung ist - auch im Vergleich zu der vor zwei Jahren - eine, an der alle beteiligt sind: Intellektuelle, Frauen, Arbeiter, aber auch die Unterschicht, die Armen. Das ist sehr wichtig." Die iranische Regierung sei angreifbar geworden und langfristig nicht in der Lage, Proteste zu unterdrücken. "Das System wackelt."
Tatsächlich kämpft das Regime an mehreren Fronten: Neben der eigenen Bevölkerung lehnen sich auch Menschen im Irak und im Libanon gegen den Einfluss Teherans auf. "Und diese Bewegungen sind sehr radikal", sagt Gorzini. "Das macht uns auch hoffnungsfroh, dass wir nicht alleine sind."
Sorgen macht Gorzini die Lage in seinem Geburtsland trotzdem. Am 15. November hatte die Regierung in Teheran noch von neun Toten bei den Protesten gesprochen, darunter auch Sicherheitskräfte. Menschenrechtsorganisationen gehen inzwischen von mindestens 140 Toten und rund 7000 Festnahmen aus. In Oppositionskreisen spricht man von mehr als 350 Todesopfern.
Laut Amnesty International hätten iranische Sicherheitskräfte "exzessive Gewalt" ausgeübt, es gebe ein "Muster rechtswidriger Tötungen". Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wiederum wirft dem Iran vor, das Ausmaß der Niederschlagung der Proteste "gezielt zu verschleiern". Zwar seien seine Familienmitglieder, die im Nordiran auch an den Protesten teilgenommen und Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei beobachtet hätten, nicht von Repressionen betroffen gewesen oder verhaftet worden, sagt Gorzini. Aber er befürchtet, "dass es eine Hinrichtungswelle geben könnte, dass die Repressalien speziell gegen religiöse und ethische Minderheiten stärker werden könnten."
Der Anfang vom Ende?
Wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt warten in einem Café zwei Mitstreiter Gorzinis - Nahid Jafarpour und Behrouz Asadi. Auch sie leben seit Jahrzehnten in Deutschland im Exil, auch sie haben Familie im Iran. Und auch sie haben die Proteste in den vergangenen zwei Wochen beschäftigt, wie sie bei scharzem Tee und Milchkaffee erzählen. Zum Teil habe er nächtelang nicht geschlafen, sagt Asadi, der das Migrationsbüro der rheinland-pfälzischen Malteser leitet. Jafarpour, ehrenamtliche Deutsch-Lehrerin für Geflüchtete, sagt, ihr würden an manchen Tagen "an die 200 Videos" von den Protesten weitergeleitet.
"Die Teilnahme von normalen und armen Frauen an diesen Demonstrationen war wirklich etwas ganz Besonderes", sagt Jafarpour, die nach eigenen Angaben seit 40 Jahren in der Frauenbewegung aktiv ist. Auch die Parolen seien andere, hätten sich im Gegensatz zu früheren Protestbewegungen gegen die gesamte Regierung gerichtet. Zum ersten Mal sei die Bevölkerung dem Regime entschlossen entgegen getreten.
Asadi prognostiziert sogar, das "Ende der Islamischen Republik" habe begonnen: "Ich bin fest überzeugt, dass sich diese Bewegung mit ihren klaren Forderungen nicht vom System unterkriegen lassen wird." Die Aufgabe der Iraner im Ausland sei es, die Protestierenden "ohne Wenn und Aber" zu unterstützen: "bis zum bitteren Ende!"
Der 64-Jährige schaut dennoch wie Gorzini auch mit Sorge auf die Situation im Iran, berichtet etwa von Verwandten, die Angst hätten, über Messengerdienste zu kommunizieren. Als Exiliranerin fühle sie mit, wenn sie Videos von den Unruhen sehe, sagt Nahid Jafarpour, die zwischen 1978 und 1986 einige Jahre im Iran "im Untergrund" lebte. "Ich weiß, wie es ist, wenn man in so einer Situation lebt, gerade als Frau - wie es ist, wenn man nachts Angst hat, wenn man Angst hat, dass seine Kinder nicht zurückkommen, wenn sie aus dem Haus gehen. Das fühlen wir, jeder Iraner fühlt das."
"Die ganze Welt sagt nichts"
Das Auswärtige Amt in Berlin und die EU riefen die iranischen Sicherheitskräfte vergangene Woche zu größter Zurückhaltung im Umgang mit den Demonstranten auf, aus dem Weißen Haus verlautete, man unterstütze die Proteste. Trotzdem sind alle drei am Tisch enttäuscht von der Reaktion des Auslands. "Die iranische Opposition im Ausland ist mutiger geworden und man sieht dieses Mal erste Anzeichen von mehr Solidarität der Gruppierungen untereinander. Gleichzeitig fühlt sie sich alleingelassen von der Weltgemeinschaft, von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, von Europa und den westlichen Regierungen", klagt Gorzini. Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung in anderen Ländern fänden deutlich mehr Aufmerksamkeit.
"Unser Volk kämpft für sich allein. Die ganze Welt sagt nichts", empört sich auch Jafarpour. "Wir denken, dass die Regierungen sich nicht in unsere Angelegenheiten einmischen dürfen. Aber die Weltgemeinschaft darf Menschenrechtsverletzungen ächten." Zudem sollten die UN eine Menschenrechtsdelegation in den Iran schicken, um die Gefängnisse zu untersuchen, findet die 65-Jährige.
Auch Asadi ist "gegen jede Einmischung des Fremden im Iran" - sieht aber gleichzeitig besonders Deutschland und die EU in der Pflicht, "die Belange des iranischen Volkes - Freiheit, Demokratie und Menschenrechte" zu unterstützen. Als wichtiger Handelspartner des Iran könne Deutschland Druck ausüben und zum Beispiel die Freilassung politischer Gefangener fordern.
Asadi will sich mit einem offenen Brief an Bundesaußenminister Heiko Maas und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer wenden. Gorzini hofft unterdessen, dass die Opposition im Ausland - auch in Mainz - sich stärker vernetzt. Um einen echten Wandel zu erreichen, müssten sich zudem Oppositionelle im Iran und im Ausland zusammentun, sagt Jafarpour.
Im Iran waren alle drei schon lange nicht mehr - zu groß sei ihre Angst, festgenommen zu werden. Irgendwann würden sie das Land gerne wieder besuchen: - "In Würde", sagt Asadi. "Ich glaube, die Zeit wird kommen."