Unternehmer und Privatleute in Existenznot
12. Juni 2013Es ist eine gespenstische Ruhe in den Dörfern und Ortsteilen Sachsens, die noch immer - zumindest teilweise - unter Wasser stehen. Fremde lassen Polizei und Katastrophenschutz nicht hierhin, manchmal auch die Bewohner nicht - wenn Lebensgefahr besteht, weil weitere Wassereinbrüche möglich sind, weil durchgeweichte Deiche dem Druck des angestauten Wassers nachgeben könnten.
In solch einem "Geister-Dorf" in Sachsen, dem Strehlaer Ortsteil Lößnig treffen wir Thomas Hase. Der Fliesenleger ist vor kurzem Vater geworden, hat für seine Frau und den fünf Monate alten Sohn ein Haus gekauft - idyllisch gelegen, mit großem Garten. Direkt dahinter beginnen die Felder.
Totalschaden im Neubau
Im Untergeschoss hat er vor drei Wochen eine Einliegerwohnung fertig renoviert. Anfang Juli sollten hier Mieter einziehen. Die Mieteinnahmen sollten einen Teil der Kreditrate für das Haus decken und die neue Erdwärmeheizung mit finanzieren. 30.000 Euro, seine Ersparnisse, hat Hase dafür ausgegeben.
Doch jetzt steht er vor den Trümmern seines Plans, der kräftige Mann kann die Tränen kaum zurückhalten. Der große Garten ist ein See geworden, seit das Wasser über die Felder kam. Das Haus steht bis zur ersten Etage unter Wasser. Einliegerwohnung, Heizung, Elektroanlage: Totalschaden. Eine Versicherung gegen Hochwasser gibt es nicht in dieser Gegend. Und falls sich doch eine Gesellschaft findet, die hier einen Elementarschadenschutz verkauft, dann sind die Prämien extrem hoch - zu teuer für Menschen wie Thomas Hase. Der hat Frau und Kind bei Bekannten im Nachbarort Großenhain unterbringen können, eigentlich nur eine halbe Autostunde entfernt. Wegen der gesperrten Elbbrücken sind es derzeit über zwei Stunden. Sehen kann er Frau und Kind deshalb kaum, ein Telefonat, mehr ist nicht drin. Wie es weitergeht für ihn und seine Familie, das weiß Thomas Hase nicht.
Verzweifelter Kampf gegen die Fluten
Ähnlich geht es Holger Reichl im sächsischen Lunzenau, einer Kleinstadt zwischen Chemnitz und Leipzig. Hier hat der Unternehmer vor einigen Jahren die "Lunzenauer Papier- und Pappenfabrik" gekauft, sein gesamtes Geld in den kleinen Betrieb gesteckt. 32 Mitarbeiter stellen Verpackungsmaterial her. Normalerweise. Viele der Maschinen hat Reichl selbst konstruiert und die Ideen mit seinen Angestellten in die Tat umgesetzt. Er hat den Betrieb durch die Krise gebracht, sich dafür verschuldet. Und war gerade über den Berg, jeden Tag verließen mehrere Lastwagen mit mannshohen Papierrollen die Firma. Die Kunden waren zufrieden.
Was er über den Abend der Flut erzählt, lässt einen erschauern. Als die Warnung kam, der Katastrophenalarm, eilte Holger Reichl in die Fima. Abends halb acht. Viele seiner Mitarbeiter waren schon da. Sie schraubten Motoren ab von den Maschinen. Versuchten, die tonnenschweren, teuren Spezialantriebe auf Paletten möglichst hoch zu lagern, vor dem Wasser zu schützen. Einige hängen noch immer an Seilen von der Decke, hochgezogen, so weit es ging. Auch einen provisorischen Flutschutz haben Reichl und seine Leute in aller Eile gebaut, Türen und Tore der Werkshallen mit Brettern, Bauschaum und Sandsäcken abgedichtet. Etwas höher, als die große Flut 2002 stand. Damals, vor elf Jahren, sprachen alle von einer "Jahrhundertflut".
Dann kam das Wasser. Um halb zehn stand es einen Meter hoch vor den Toren der Fabrik. Drinnen blieb alles trocken, der selbst gebaute Schutz hielt. Die Männer bauten weiter Motoren ab, sicherten Maschinen. Kurz nach zehn Uhr drückt das Wasser eine Tür auf. Mit elektrischen Pumpen kämpfen Reichl und seine Leute verbissen gegen die Flut. Sie pumpen mehr Wasser ab, als nachströmt. Und haben Hoffnung.
Ungewisse Zukunft
Doch dann, gegen elf, ist es plötzlich dunkel. Die Zwickauer Mulde, die direkt neben der Fabrik zum reißenden Strom geworden ist, hat eine Brücke weggerissen. Über die verlief das Stromkabel für den Betrieb. Jetzt ist nicht nur das Licht aus, auch die Pumpen stehen. Und das Wasser steigt, höher und höher. Am Ende sind es 20 Zentimeter Wasser zu viel: Es strömt über die Abdichtungen der Tore, die Fabrik ist verloren.
Holger Reichl hat keine Ahnung, wie es weitergehen soll mit dem Betrieb. Was er den 32 Mitarbeitern sagen soll - und ihren Familien. Als das Wasser zurückging, haben alle mit angepackt, tagelang. Riesige Mengen Schlamm und Treibgut aus den Hallen geschafft. Aber ob die Maschinen jemals wieder laufen - der Chef weiß es nicht. Er hat sogar eine Versicherung, auch gegen Hochwasser. Aber wie viel die bezahlt und wann, das ist völlig offen. Einen Teil des Schadens muss Reichl aus eigener Tasche zahlen, als Selbstbehalt. Anders hätte er für die Fabrik gar keine Versicherung bekommen. Solange die Maschinen stehen, verdient der Unternehmer keinen Cent. Das wird eher noch Monate so bleiben, als Wochen.