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Visa-Roadmap

11. November 2010

Das Kosovo ist das einzige Land des Balkans, dessen Einwohner sich im Schengenraum nicht frei bewegen dürfen. Das sei nicht fair, sagt ein Berliner Think Tank. Ein konkreter Fahrplan sei für den Kosovo von Vorteil.

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Teilabbildung eines Visums (Foto: DW)
Visa-Freiheit für Kosovo ist in weiter FerneBild: DW

"Das Kosovo wird derzeit zu Unrecht benachteiligt", sagt Gerald Knaus, Gründer der European Stability Initiative (ESI) und Balkan-Experte. "Während alle Bürger des Balkans sich in den meisten EU-Ländern ohne Visum aufhalten dürfen, müssen Kosovaren immer noch vor den Botschaften in Prishtina Schlange stehen. Mit ihrem Pass können sie nur in einige Balkan-Länder und nach Haiti problemlos einreisen." Der Berliner Think Tank ESI will Brüssel dazu bewegen, so bald wie möglich eine so genannte Roadmap für die Abschaffung des Visa-Regimes für das Kosovo zu erstellen.

Vage Versprechungen

Die Benachteiligung beginnt schon mit der Begrifflichkeit: Für die übrigen Balkanländer hatte die EU-Kommission eine Roadmap erstellt. Dabei war genau vorgesehen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um die Visafreiheit zu erreichen. "Das ist objektiv vergleichbar und ein Ansporn für Reformen", erklärt Knaus. Im Falle des Kosovo gibt es dagegen keine Roadmap, sondern es wird eine Strategie in Aussicht gestellt.

Das sorgt für Verwirrung - sowohl bei den Kosovaren als auch bei der EU. "Die Diskussion wird EU-intern geführt: Nach außen wird den Kosovaren immer gesagt, es macht gar keinen Unterschied, wie wir das nennen", sagt Knaus. Doch es sei schon jetzt zu erkennen, dass die Versprechen durchaus mit Absicht so vage gehalten seien. "Denn es gibt immer noch eine ganze Reihe von Mitgliedsstaaten, denen es am liebsten wäre, man würde über Kosovo überhaupt nicht reden", so der Balkan-Experte.

Das Problem der Asylsuchenden

Neben einem Schild "Asyl-Verteilung" warten afrikanische Asylbewerber in der Ausländerbehörde (Foto: dpa)
Furcht vor AsylbewerberflutBild: picture-alliance/dpa

Zu diesen Ländern gehören nicht nur Spanien, Rumänien, Zypern, Griechenland und die Slowakei, die das Kosovo noch nicht anerkannt haben, sondern auch viele, die Angst vor einer Flut von Asylbewerbern haben. Alleine im Jahr 2009 stellten 14.200 Kosovaren einen Asylantrag in den EU-Staaten. In Deutschland waren es rund 2000, in Frankreich 2500. Somit stammten fünf Prozent der Asylsuchenden in Europa aus dem Kosovo. Für ein kleines Land mit knapp zwei Millionen Einwohnern ist diese Zahl übermäßig hoch. Und die Anerkennungsquote von neun Prozent lässt viele immer noch hoffen.

Darum hat die EU-Komission die Bedingungen für den Beginn des Visa-Dialogs mit dem Kosovo verändert: Im Mai 2010 schickten EU-Innenkomssarin Cecilia Malmström und EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle einen Brief nach Prishtina, in dem sie die Reintegration der Rückkehrer als zusätzliche Bedingung ansprachen. So etwas habe es für die anderen Balkan-Länder nicht gegeben, sagt ESI-Analystin Besa Shahini.

Für die ESI-Experten ist aber gerade das Problem der Asylbewerber ein Grund dafür, den Dialog über eine Visa-Liberalisierung möglichst schnell zu beginnen: "Es ist im Interesse der EU, die Bedingungen im Kosovo zu verbessern. Das muss partnerschaftlich passieren. Und der beste Anreiz, das Ganze seriös zu gestalten, ist der Visa-Liberalisierungsprozess", argumentiert Gerald Knaus. Das habe auch bei anderen Ländern funktioniert.

Kein Anreiz für Dialog mit Serbien

Fehle dem Kosovo ein genauer Fahrplan, sieht Knaus ein erfolgreiches Fortschreiten der politischen Gespräche mit Serbien eher skeptisch. "Vielen in der EU ist bewusst, dass es schwierig wird, die Kosovaren auf Dauer dazu zu bringen, konstruktiv mitzuarbeiten, wenn man ihnen nicht irgendetwas als Gegenleistung anbietet." Während Serbien in der letzten Zeit mit Anreizen einer EU-Annäherung wichtige Konzessionen gemacht hatte, habe die EU dem Kosovo wenig anzubieten. "Kosovo hat keine europäische Perspektive, denn es kann kein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen abschließen. Wenn sich jetzt auch der Prozess der Visa-Roadmap verzögert, leidet die gesamte Glaubwürdigkeit der Europäischen Union darunter", meint Knaus.

EU-Flagge auf Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien Montenegro, Mazedonien, Kosovo (Grafik: DW)
Kosovo will auch die ReisefreiheitBild: DW

Die EU hat aber im Kosovo nicht nur Ansehen zu verlieren. Es besteht auch das Risiko, dass ihre größte rechtsstaatliche Mission (EULEX) scheitert. Rund 1700 Experten arbeiten derzeit mit der kosovarischen Regierung gemeinsam am Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, um organisiertes Verbrechen und Korruption zu bekämpfen. "Viele dieser Aufgaben decken sich mit den Anforderungen einer Visa-Roadmap", sagt Shahini. "Deshalb wäre ein konkreter Fahrplan eine sehr gute Möglichkeit, sie besser zu koordinieren und effektiver zu arbeiten."

Enttäuschung in Prishtina?

Bajram Rexhepi im Interview mit der Deutschen Welle (Foto: DW)
Bajram Rexhepi will sich nicht entmutigen lassenBild: DW/Anila Shuka

Dass die EU schon jetzt an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, merkt man beim Gespräch mit dem kosovarischen Innenminister Bajram Rexhepi. "Ich bin enttäuscht", sagt der Politiker der Demokratischen Partei Kosovos. "Es wurde uns versprochen, dass wir schon im September mit dem so genannten Visa-Dialog beginnen würden - jetzt heißt es weiterhin warten." Der 56-Jährige beklagt sich, dass, sobald die Regierung die Bedingungen für den Beginn des Dialogs erfüllt habe, neue hinzukommen würden. "Das ist aber unfair", sagt er mit Blick auf die Reintegration der Rückkehrer. "Eine erfolgreiche Integration kann Jahre dauern und bringt eine Menge Probleme mit sich, die selbst entwickelte europäische Länder nicht bewältigen können."

Der ehemalige Premierminister der ersten demokratisch gewählten Regierung nach dem Krieg lässt sich jedoch nicht entmutigen: "Wir haben unsere eigene Roadmap, die Bedingungen kennen wir ja schon, also versuchen wir diese jetzt zu erfüllen und hoffen, dass die EU-Komission ihre Meinung diesbezüglich ändern wird." Ob Rexhepi diesen Kurs auch tatsächlich halten wird, ist ungewiss.

Am 12. Dezember wird im Kosovo das Parlament neu gewählt. Es wird damit gerechnet, dass im Parlament einige neue Parteien hinzukommen, die die junge Generation ansprechen. Deren Wähler sind meist ohne Arbeit und kennen nur ein Europa, das für sie stets die Türen verschlossen hält.

Autorin: Anila Shuka

Redaktion: Mirjana Dikic / Julia Kuckelkorn