Explosive Lage in Kiew
25. Januar 2014Demonstranten warfen Steine und Brandsätze auf Sicherheitskräfte, Polizisten attackierten Regierungsgegner mit Blendgranaten. Wie Fernsehbilder zeigten, zündeten Demonstranten im Stadtzentrum Barrikaden und Reifen an. Nach Regierungsangaben versuchten bewaffnete Oppositionelle das Energieministerium zu stürmen.
Weiterer Demonstrant gestorben
Die Sicherheitskräfte drohten den Regierungsgegnern mit einer Offensive, sollten sie
nicht zwei entführte Milizionäre herausgeben. Die Demonstranten wiesen die Schuld am Verschwinden der Beiden zurück. Für zusätzliche Spannungen sorgten Meldungen ein weiterer Demonstrant sei im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Damit steigt die Zahl der Todesopfer bei den jüngsten Straßenkämpfen auf mindestens vier.
Innenminister Witali Sacharschenko drohte den Demonstranten indirekt mit einer gewaltsamen Beendigung der Proteste. Die Ereignisse der vergangenen Tage hätten gezeigt, "dass unsere Versuche, den Konflikt friedlich und ohne den Einsatz von Gewalt zu lösen, zwecklos bleiben", erklärte Sacharschenko. Er warf den Regierungsgegnern vor, in ihrem Camp im Zentrum von Kiew Schusswaffen zu horten. Die proeuropäische Opposition habe radikale Demonstranten nicht mehr unter Kontrolle.
Am Freitag noch hatte Präsident Viktor Janukowitsch der proeuropäischen Opposition weitere Zugeständnisse in Aussicht gestellt. Der prorussische Staatschef kündigte für kommenden Dienstag eine Regierungsumbildung sowie eine Änderung umstrittener Gesetze an, die die Versammlungs- und Pressefreiheit einschränken. Zudem versprach Janukowitsch, diejenigen festgenommenen Demonstranten zu begnadigen, die keine schweren Straftaten begangen hätten.
Opposition beharrt auf Rücktritt
Die Oppositionsführer wiesen diese Ankündigungen als unzureichend zurück. Der ehemalige Box-Weltmeister und Chef der Oppositionspartei Udar, Vitali Klitschko, sagte der Deutschen Welle in Kiew: "Noch vor einem Monat hätte vielleicht ein Rücktritt von Innenminister Sachartschenko gereicht. Noch vor ein paar Wochen hätte ein Rücktritt der Regierung genügt. Jetzt fordern die Menschen den Rücktritt von Janukowitsch."
In der "Bild"-Zeitung zeigte sich Klitschko äußerst gesorgt über die aktuelle Lage. Er habe "Angst vor dem, was uns in den nächsten Stunden und Tagen in der Ukraine bevorsteht". Janukowitsch habe "mit seiner Hinhaltetaktik und Pseudoverhandlungen diejenigen gestärkt, die auf den Straßen mit Gewalt reagieren wollen".
Ruf nach EU-Vermittlern
Klitschko und Arseni Jazenjuk, der Fraktionschef der "Vaterlandspartei" der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, forderten internationale Vermittler zur Überwindung des Konflikts in der ehemaligen Sowjetrepublik. "Ohne Vermittlung unserer westlichen Partner wird die politische Krise nur schwer zu beenden sein", sagte Jazenjuk nach einem Treffen mit
EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle in Kiew. Füle war am Freitag auch mit Janukowitsch zusammengetroffen und will seine Gespräche in der ukrainischen Hauptstadt an diesem Samstag fortsetzen. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung will die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Donnerstag in Kiew einen neuen Vermittlungsversuch unternehmen.
Die Protestaktionen der Opposition hatten begonnen, nachdem Janukowitsch Ende November auf offensichtlichen Druck Russlands ein von der Opposition als historische Chance betrachtetes Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union auf Eis gelegt hatte.
Inzwischen griffen die Proteste von Kiew auf andere Gebiete über. Im nationalistisch geprägten Westen der Ex-Sowjetrepublik besetzten Demonstranten in Lemberg (Lwiw) und anderen Städten Regierugnsgebäude.
USA warnen vor Gewalt
Unterdessen wächst international die Besorgnis, die Lage in der Ukraine könnte blutig eskalieren. Die USA forderten Janukowitsch auf, keine Gewalt gegen Demonstranten anzuwenden. Gemeinsam mit der EU dränge man darauf, dass die ukrainische Regierung konstruktiv auf die friedlichen Proteste reagiere, erklärte US-Außenminister John Kerry beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Diplomaten der USA würden vor Ort bei Janukowitsch auf eine Beruhigung der Lage und eine Lösung auf dem Weg des Dialogs hinwirken. "Wir werden weiter auf der Seite des Volkes der Ukraine stehen", sagte Kerry.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, (SPD) drohte der Führung in Kiew mit Sanktionen. "Wer mit derart brutaler Gewalt vorgeht, verspielt den letzten Rest an Vertrauen", sagte der SPD-Politiker der "Bild"-Zeitung. Die Europäische Union müsse nun deutlich machen, dass sie Gewaltanwendung nicht akzeptiere. Sollte es keine Einigung geben, könne er "seitens der EU die Sperrung von Bankkonten und Reisebeschränkungen für die ukrainische Führung nicht ausschließen", sagte Schulz.
wl/uh (dpa, afp, rtr)