Rüstungsgeschäfte mit Türkei werden überprüft
21. Juli 2017Seit Freitag ist klar: Die deutschen Rüstungsexporte sind der nächste Baustein in der Neuausrichtung der deutschen Türkeipolitik. Wie das Bundeswirtschaftsministerium mitteilte, sollen Anträge für Rüstungsexporte in die Türkei "auf den Prüfstand". Die "Bild"-Zeitung hatte zuvor über einen Stopp von geplanten und bereits genehmigten Rüstungsprojekten mit der Türkei berichtet. Das Ministerium ging jedoch nicht so weit, wohl auch, weil im Falle eines einseitigen Lieferstopps Entschädigungsforderungen der betroffenen Unternehmen drohen könnten. Das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) wird aller Voraussicht nach keine neuen Ausfuhrgenehmigungen mehr erteilen. Bereits entschiedene Anträge dürften jedoch kaum betroffen sein.
Tags zuvor hatte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) eine umfassende Änderung der Beziehungen zu Türkei angekündigt. Verschärfte Reisehinweise, eine Überprüfung deutscher Investitionsbürgschaften für Türkei-Geschäfte und ein möglicher Wegfall finanzieller Vorbeitrittshilfen aus EU-Töpfen gehören dazu. Ausgelöst wurde die scharfe Reaktion aus Berlin durch die vom Außenminister als "willkürlich" bezeichnete Verhaftung des Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner in der Türkei. Eine lange Reihe von Streitigkeiten war vorausgegangen, darunter Besuchsverbote für Parlamentarier, Nazi-Beschimpfungen und Verhaftungen deutscher Journalisten. Im Wirtschaftsministerium hieß am Freitag, dass jetzt alle Bereiche der deutschen Türkei-Politik neu ausgerichtet würden, "also auch die Rüstungsexportpolitik". Bis dato galt die Lieferung deutscher Rüstungsgüter ins NATO-Partnerland Türkei, zumindest auf dem Papier, als unproblematisch.
"Bundesregierung vollzieht, was ohnehin alle gefordert hätten"
Für Professor Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München kommt der Schritt der Bundesregierung wenig überraschend. Die Gleichung, Rüstungsexporte gegen politischen Einfluss im Partnerland, diese Gleichung funktioniere in der Türkei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bereits seit geraumer Zeit nicht mehr, sagt der Verteidigungsexperte im DW-Interview. "Politisch ist Rüstungskooperation der Versuch, einen Einfluss auf die Streitkräfte und damit auf die Politik des Partnerlandes zu gewinnen". In der Türkei zeichne sich seit vielen Monaten ab, dass man sich dagegen verwahrt. "Es zeigt sich, dass man keinen Einfluss mehr auf die Türkei ausüben kann. Von daher ist es die logische Konsequenz", so Masala.
Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, begrüßte den Schritt der Bundesregierung ausdrücklich. Im DW-Interview sagte er: "Ich halte eine weitere Einschränkung der Rüstungsexporte für durchaus richtig". Für Christian Mölling, Verteidigungsexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), war der Handlungsspielraum der Bundesregierung allerdings begrenzt. "Sie hat vollzogen, was ohnehin alle von ihr gefordert hätten", sagte Mölling der DW.
Ein Ministeriumssprecher verwies darauf, dass die jetzige Entscheidung sich bereits angebahnt habe. Seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 habe die Bundesregierung Exportgenehmigungen für die Türkei "erst nach sehr differenzierter und sorgfältiger Einzelfallprüfung" erteilt. Elf türkische Anträge seien seit Januar 2016 sogar abgelehnt worden. Medien hatten berichtet, dass es sich dabei um Geschäfte mit Kleinwaffen und Munition gehandelt hätte. Dennoch: 2016 wurde der Export von Rüstungsgütern im Wert von 83,9 Millionen Euro in die Türkei genehmigt. 2017 waren es bislang Geschäfte im Wert von 22 Millionen Euro.
Ersatzteile - die Achillesferse der türkischen Armee
DGAP-Experte Christian Mölling ist überzeugt, dass insbesondere ein Stopp von deutschen Ersatzteillieferungen verheerende Konsequenzen für die türkische Armee hätte. Die setzt seit Jahren gerne und in großen Stückzahlen auf deutsche Kampfpanzer der Typen Leopard I und Leopard II. "Wenn die Bundesregierung jetzt die Lieferung von Ersatzteilen für diese Geräte stoppt, dann sind die binnen kürzester Zeit unbrauchbar", sagt Mölling voraus. Auch deshalb habe die türkische Regierung begonnen, den Aufbau eigenständiger, türkischer Rüstungsunternehmen zu forcieren. Ein Joint Venture der deutschen Rüstungsschmiede Rheinmetall mit dem türkischen Hersteller BMC sollte eigentlich gemeinsam Panzerfahrzeuge produzieren. Ziel der türkischen Regierung sei es, technisches Know-how ins Land zu holen. Was daraus wird, lässt sich derzeit schwer abschätzen. Erst im Mai wurde bekannt, dass der Rheinmetall-Konzern türkische Leopard-II-Panzer modernisieren soll.
Wenn zwei sich streiten, freut sich - Russland?
Fällt Deutschland als Rüstungslieferant aus, werde die Türkei andere Wege gehen, schätzt Professor Masala. "Natürlich wird irgendjemand dieses Vakuum füllen, und die Russen stehen da sicherlich an erster Stelle". Das freue nicht nur die russische Industrie, sondern auch die russische Politik, weil dadurch die Türkei geopolitisch an Russland heranrücke. "Das ist für Russland sehr wichtig, weil die Türkei nun mal NATO-Mitglied ist, und man damit einen engen Partner hat, der gleichzeitig Mitglied der Allianz ist, mit der die Russen ohnehin große Probleme haben", sagt Masala.
DGAP-Experte Christian Mölling ist skeptischer, ob die russische Rüstungsindustrie vom deutsch-türkischen Streit profitieren kann. "Die Russen sind nicht der richtige Partner für die Türkei, weil auch dort vielfach händeringend nach westlichem Know-how Ausschau gehalten wird", glaubt Mölling. Für die NATO zeichnen sich aber in jedem Falle Probleme ab, sollte das türkische Militär künftig weder auf amerikanische noch auf europäische Ausrüster setzen, sagt Professor Masala. "Das gefährdet die Interoperabilität von Streitkräften, also das reibungslose Zusammenwirken von Streitkräften, wenn sie im Einsatz sind."
Der Verteidigungsexperte glaubt, dass die Bundesregierung mit der Überprüfung der Rüstungsexporte in die Türkei auf eine klare, außenpolitische Linie zurückfindet. Spätestens seit dem Wiederaufflammen des innertürkischen Kurdenkonflikts seien derlei Verkäufe "hochproblematisch" gewesen, weil sie gegen den deutschen Grundsatz verstoßen, dass solche Rüstungsgüter nicht für innenpolitische Konflikte benutzt werden dürfen. Und man könne davon ausgehen, so Masala, "dass die Türkei keine Sekunde zögern würde, deutsche Rüstungsgüter für ihre nationalen Ziele einzusetzen."