EZB: Gekommen um zu bleiben
8. Dezember 2016Schon lange betreibt die Europäische Zentralbank (EZB) eine extrem lockere Geldpolitik. Der Leitzins liegt seit März dieses Jahres bei null Prozent, zusätzlich spülte sie Monat für Monat 80 Milliarden Euro in den Markt, indem sie öffentliche und private Schuldpapiere ankauft.
Das Anleihekaufprogramm sollte ursprünglich nur bis März 2017 laufen. EZB-Chef Mario Draghi sagte nun, dass es, etwas verkleinert, um mindestens neun Monate verlängert wird. "Von April 2017 werden unsere Ankäufe weitergehen, und zwar in Höhe von monatlich 60 Milliarden Euro, bis Ende Dezember 2017 oder, falls nötig, auch länger."
Insgesamt bedeutet das eine zusätzliche Geldspritze in Höhe von 540 Milliarden Euro. Das gesamte Programm schwillt damit auf geplante 2,28 Billionen Euro an.
Es war zwar erwartet worden, dass die EZB mit dieser Verlängerung auf die unsichere Lage in Italien reagiert. Nach dem Nein zum Verfassungsreferendum hat der italienischen Premierminister Matteo Renzi seinen Rücktritt erklärt, und es ist unklar, was diese Phase der Unsicherheit für die italienischen Banken bedeutet, die unter einem Berg fauler Kredite leiden.
Kein Ende in Sicht...
Doch der Rat der EZB beließ es nicht bei einer reinen Verlängerung des Kaufprogramms. Zugleich senkte sie die Standards für die Papiere, die sie im Rahmen des Programms ankaufen darf. Ab jetzt kann sie auch Anleihen mit weniger als zwei Jahren Laufzeit kaufen und selbst solche, die noch weniger Rendite bringen als der sogenannte Einlagesatz der EZB: Der liegt mit -0,4 Prozent schon im negativen Bereich.
Die US-Notenbank Federal Reserve hat ihr großangelegtes Anleihe-Kaufprogramm inzwischen auslaufen lassen und überlegt derzeit, die Leitzinsen erneut zu erhöhen. Im Fachjargon wird dieser Abschied von der lockeren Geldpolitik "tapering" genannt. Es gilt als Zeichen für eine anziehende Konjunktur.
In Europe dagegen wird über ein Ende der lockeren Geldpolitik nicht einmal gesprochen. "Tapering kommt gar nicht infrage", sagte Draghi in Frankfurt. "Darüber wurde heute nicht gesprochen, das Thema lag nicht mal auf dem Tisch." Stattdessen kündigte Draghi an, Umfang und Dauer des Kaufprogramms notfalls zu vergrößern, sollte sich die Lage verschlechtern.
Was aber passiert, sollte sich die Lage verbessern? Schließlich könnte es ja sein, dass die Inflation wieder anzieht und sich dem von der EZB angepeilten Wert von zwei Prozent annähert. Draghi machte deutlich, was er von derlei optimistischen Spekulationen hält: "Von solchen Luxus-Problemen sind wir heute weit entfernt. Wir haben im Rat darüber nicht einmal gesprochen."
... dafür Probleme überall
Wohin der EZB-Chef auch blickt, er sieht überall Zeichen von Unsicherheit. "Schauen sie doch nur mal auf den Wahl-Kalender im nächsten Jahr. Das allein ist schon eine Quelle von Unsicherheit."
Im März 2017 wählen die Niederländer ein neues Parlament, die Franzosen ab April einen neuen Präsidenten, und im September folgen in Deutschland die Bundestagswahlen. Parteien und Kandidaten, die gegen den Euro und die Europäische Union sind, können in allen drei Ländern auf Stimmenzuwächse hoffen.
Hinzu komme die schwierige Lage in vielen Schwellenländern, Probleme in Teilen des Finanzmarkts und große Themen wie der Brexit, also der Ausstieg der Briten aus der EU. Zudem sei noch nicht absehbar, ob und wie sich die Politik der USA unter dem künftigen Präsidenten Trump ändert.
Ob Zentralbanken angesichts dieser meist politischen Unsicherheiten überhaupt etwas tun können, sei eine offene Frage. "Zentralbanken können aber zumindest eine ruhige Hand bewahren, also weitermachen mit einer Geldpolitik, die nötig ist, um ihre Ziele zu erreichen."
Geldpolitik bleibt lange locker
Die einzige erlaubte Rechtfertigung für die lockere Geldpolitik der EZB ist die Stabilität des Euro. Dazu gehörte das selbst definierte Ziel von einer Inflation knapp unter zwei Prozent. Davon ist sie seit 2013 aber weit entfernt, zuletzt lag die Teuerungsrate bei 0,6 Prozent.
Deutsche Ökonomen wie Clemens Fuest vom Münchner ifo-Institut hoffen dennoch, dass der EZB bald die Argumente ausgehen. Nach ifo-Prognosen könnte die Inflation in der Eurozone bis Ende 2017 auf 1,6 Prozent steigen. "Das ist nahe dran an den knapp unter zwei Prozent, die die EZB anstrebt", so Fuest. "Das Argument für die Anleihekäufe trägt also 2017 nicht mehr."
Die Haus-Ökonomen der EZB erwarten dagegen, dass sich die Lage erst ab 2019 leicht verbessert. Dann soll die Inflation im Euroraum bei 1,7 Prozent liegen, so die Prognose. Doch selbst das scheint nicht zu reichen.
Ob 1,7 Prozent nah genug am Inflationsziel sei, um dann endlich aufzuhören mit der Politik des billigen Geldes, wurde Draghi gefragt. "Nicht wirklich", war seine trockene Antwort.
Draghi machte mehrfach deutlich, was er als seine Kernbotschaft bezeichnete: "Die EZB wird für eine lange Zeit an dem Märkten präsent sein. Das ist die Botschaft der heutigen Entscheidung." Vor allem in Deutschland wird man diese Kritik nicht gerne hören. Hier wird Draghi besonders stark kritisiert, weil die Politik der EZB die Guthaben der deutschen Sparer entwerte.
Auch der wieder steigende Ölpreis ist für Draghi kein Grund zu Entwarnung. Steigende Energiekosten führen zwar zu steigenden Preisen. Doch die EZB konzentriert sich bei ihren Entscheidungen vor allem auf die sogenannte Kern-Inflationsrate, bei der schwankende Energiepreise herausgerechnet werden.
Vertrauensfrage
Ungewöhnlich deutlich redete Draghi noch einmal allen Regierungen der Eurozone ins Gewissen, Strukturreformen anzugehen. "Länder, die Reformen benötigen, müssen die auch umsetzen - und zwar unabhängig von der allgemeinen politischen Unsicherheit", so Draghi. "Diese Unsicherheit beendet man am besten, indem man Wachstum erzeugt und Arbeitsplätze schafft."
Draghis Empfehlung also an Italien und die anderen Problemländer: Reformen umsetzen und die bestehenden Regeln einhalten - nur so könne Vertrauen entstehen. Und ohne Vertrauen zwischen den Regierungen könne die Währungsunion nicht vertieft und zukunftsfähig gemacht werden.
Übersetzt könnte das heißen: ohne Vertrauen würden die Deutschen einer vertieften Währungsunion - vielleicht einem Euro-Finanzminister, echter Bankenunion und sogar Eurobonds - nie zustimmen.