EZB will "klarer und verständlicher" werden
8. Juli 2021Es war ein jahrelang eingeübtes Ritual in der Europäischen Zentralbank (EZB): Wenn der frühere Notenbank-Chef Mario Draghi die Ratsentscheidungen über die Höhe der Zinsen oder die Art der Geldpolitik verkündete, verfiel er beim Verlesen der Eingangsworte in eine Art Singsang, der an einen alten Priester denken ließ. Es fehlten nur noch Weihrauch und Latein.
Für Uneingeweihte strotzte jeder Satz vor Jargon und Floskeln. Dazu gehört die vage Formulierung der angestrebten Inflation, die "unterhalb, aber nahe an zwei Prozent" liegen solle. Eingeweihte dagegen legten jedes Wort auf die Goldwaage, um daraus Hinweise auf die künftige Geldpolitik abzuleiten.
Klarer und verständlicher
Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde ist seit Ende 2019 im Amt und nicht nur die erste Frau, sondern auch die erste Nicht-Ökonomin in dieser Funktion. Der Jargon der Notenbanker fällt der Juristin noch immer nicht leicht, das ist ihr während Pressekonferenzen anzumerken. Nun hat Lagarde zahlreiche Änderungen bei der EZB angekündigt, und eine davon betrifft die Sprache.
Schon nach der nächsten Ratssitzung am 22. Juli werde der Unterschied hörbar sein. "Mein Eingangsstatement wird kürzer und knackiger sein, mehr auf den Punkt und mit weniger Jargon", sagte sie heute in Frankfurt. Ziel sei eine neue Form der Kommunikation, "erzählerischer" und "verständlicher."
Allerdings hatte Lagarde nicht nur sprachliche Änderungen zu verkünden, sondern eine neue Strategie der Zentralbank. Kurz nach ihrem Amtsantritt, im Januar 2020, hatte die neue Chefin eine Überarbeitung der bisherigen Strategie angeordnet, die aus dem Jahr 2003 stammte. Unter Lagarde verabschiedet sich die EZB nun von ihrem altbekannten Inflationsziel von "unterhalb, aber nahe an zwei Prozent", das ebenfalls aus der Frühzeit der EZB-Geschichte stammt.
Altes Ziel und neues Ziel
Ab jetzt heiße das Inflationsziel genau zwei Prozent, das sei "klarer" und "einfacher zu vermitteln". Zudem sei es ein "symmetrisches Inflationsziel", Abweichungen nach oben und nach unten sollen künftig gleichermaßen verhindert werden.
Die aus Sicht der EZB viel zu niedrige Inflation der vergangenen Jahre erfordere weiterhin eine "starke und anhaltende" Reaktion der Geldpolitik. Weil die EZB zudem vor allem die mittelfristige Entwicklung im Blick habe und nicht kurzfristige Schwankungen, könne es durchaus vorkommen, dass die Inflation zumindest zeitweise "moderat über dem Zielwert" liegen werden.
Wie viel Inflation über der Zwei-Prozent-Marke akzeptabel sei und wie lange, das wollte Lagarde am Mittwoch auch auf mehrfache Nachfragen nicht verraten. Stattdessen wiederholte sie immer wieder die neue Formel vom "symmetrischen Ziel" und "starken und anhaltenden" Reaktionen - bis man sich fragte, ob die neue Art der Kommunikation wirklich klarer ist als die alte.
Reaktionen der Analysten
"Letztlich war das viel Lärm um fast nichts", kommentierte Carsten Brzeski von der ING-Bank den neuen Kurs.
Christian Ossig vom Bundesverband deutscher Banken (BdB) sieht dagegen Konsequenzen für Sparer und Unternehmen. "Die Europäische Zentralbank verschafft sich mit ihrem neuen Inflationsziel von zwei Prozent mehr Freiraum, um auch bei steigenden Preisen an ihrer extrem expansiven Geldpolitik festhalten zu können", so Ossig. "Das heißt, Wirtschaft und Sparer im Euroraum werden sich auf absehbare Zeit leider auch weiterhin auf Negativzinsen einstellen müssen."
Ähnlich sieht das Friedrich Heinemann vom Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW. Weil die EZB bereit sei, für eine nicht näher definierte Übergangszeit auch höhere Inflationsraten zu akzeptieren, werde das vermeintlich klarere neue Ziel von genau zwei Prozent abgeschwächt. "Just in dem Moment, in dem einige Euro-Staaten in ihrer Finanzierung krisenbedingt vollkommen von den Anleihekäufen der EZB abhängig geworden sind, senkt der EZB-Rat seine langfristigen Ambitionen bei der Inflationsbegrenzung", kritisierte Heinemann.
Kampf gegen den Klimawandel
Ein wichtiger Aspekt der neuen EZB-Strategie, der schon vorher bekanntgeworden war, betrifft den Kampf gegen den Klimawandel. Die Zentralbank will den Klimaschutz künftig stärker berücksichtigen. Dies könne auch Auswirkungen haben auf die Frage, welche Wertpapiere sie ankauft.
Um die Aktivitäten der Zentralbank hier besser zu koordinieren, wurde vor kurzem eigens ein Kompetenzzentrum Klimawandel ins Leben gerufen.
Schließlich gebe es auch Änderungen in der Art, wie die EZB ökonomische und geldpolitische Analysen und Prognosen erstellt. Auch bei der Entwicklung der dafür notwendigen Modelle und Indikatoren sollen Klimaschutzaspekte künftig stärker berücksichtigt werden. "Der Klimaschutz spielt in unserer Strategie ein zentrale Rolle", sagte Lagarde.
Zudem kündigte sie an, nicht wieder 18 Jahre an der neuen Strategie festhalten zu wollen, dafür ändere sich die Welt einfach zu schnell. "2003, als die Strategie zuletzt überarbeitet worden war, gab es noch keine Smartphones", sagte Lagarde. Schon für 2025 wolle sie die Strategie der Zentralbank erneut überprüfen.