Zum Arzt hinter der Grenze
23. Juli 2009Eine Zahnarztpraxis in einem renovierten Plattenbau am Rand der Stettiner Innenstadt. Dr. Bartosz Jadczyk atmet ruhig. In seinen Brillengläsern spiegelt sich das Gebiss seiner Patientin. Konzentriert kontrolliert der 35-Jährige jeden Backenzahn mit einem kleinen runden Spiegel. Auf dem Behandlungsstuhl liegt Stefanie*. Ihren echten Namen möchte die 39-Jährige nicht nennen. Ein bisschen schämt sie sich dafür, dass sie in Polen zum Zahnarzt geht. Stefanie kommt aus dem Berliner Umland. Die Brandenburgerin braucht zwei Backenzahn-Kronen, doch heute wird sie nur untersucht. Trotzdem ist sie aufgeregt. Denn es ist ihr erster Zahnarztbesuch hinter der Grenze.
"Jetzt kommt ein bisschen Luft. Ist der Zahn empfindlich?" Dr. Jadczyk pustet Druckluft in Stefanies Mund. Seine Stimme ist ruhig, er spricht gutes Deutsch mit polnischem Akzent. Jeden Arbeitsschritt erklärt der junge Arzt im weißen Kittel genau. Neue Patienten aus dem Ausland sind anfangs immer nervös, weiß er. Für Dr. Jadczyk ist es Routine, Patienten aus Deutschland zu behandeln. Er lebt von den Dentaltouristen.
Dr. Jadczyk ist bestens auf Dentaltourismus eingestellt
Seit zehn Jahren betreibt Dr. Jadczyk seine Praxis, wenige Kilometer von der deutsch-polnischen Grenze entfernt. Vor fünf Jahren erkannte er das Potenzial des Dentaltourismus. Mittlerweile ist er bestens auf ausländische Patienten eingestellt. Sein Personal ist mehrsprachig, seine Webseite professionell und auf Polnisch, Deutsch, Dänisch und Englisch im Netz.
Auch mit den deutschen Krankenkassen kennt sich Dr. Jadczyk aus. Dass diese vor einer Behandlung eine genaue Aufstellung der geplanten Eingriffe verlangen, ist für ihn kein Problem. In den so genannten Heil- und Kostenplan hat er sich eingearbeitet. Unter den Stettiner Zahnärzten ist das ein klarer Standortvorteil, sagt er. Ungefähr die Hälfte seiner Einnahmen steuern Dentaltouristen bei, erzählt Jadczyk, als er Stefanie in das Röntgenzimmer begleitet.
Zahnbehandlungen in Polen sind bis zu 70 Prozent günstiger
Jeder EU-Bürger darf sich in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zahnärztlich behandeln lassen. Einen Teil der Kosten erstattet die Krankenkasse zu den üblichen Sätzen einer Behandlung im Heimatland. Für Deutsche ist dadurch die Ersparnis groß: Preisgünstiges Material, niedrige Laborkosten und Zahnarzthonorare machen die Behandlung in Polen bis zu 70 Prozent billiger. Zwei Dentaltouristen kommen pro Woche in Dr. Jadczyks Praxis, aus Deutschland oder Dänemark und meist für mehrtägige Behandlungen. Manche nehmen sich dafür ein Hotel und verbinden ihren Urlaub mit dem Zahnarztbesuch.
Im Flur der Praxis hat Stefanies Freund Thomas* die Beine übereinander geschlagen und blättert in einer deutschsprachigen Autozeitschrift. Der 48-Jährige in Jeans und T-Shirt kennt die Zahnarzt-Räume gut. "Die Praxen in Deutschland sind größer, aber die Geräte und Sauberkeit, das ist alles okay". Sagt er. Thomas hat Dr. Jadczyk im vergangenen Jahr aufgespürt. Damals brauchte er dringend neue Implantate und Kronen, doch für eine Behandlung in Deutschland fehlte ihm das Geld. Im Internet suchte er nach einem Ausweg und fand die polnische Praxis samt Anfahrtsplan. Dann saß er einige Wochen lang sehr oft im Auto zwischen Berlin und Stettin.
Fehlendes Vertrauen in Ärzte hinter der Grenze
"Zwei, drei Mal die Woche war ich schon hier", erinnert sich Thomas. "Und jedes Mal saß ich sechs bis sieben Stunden auf dem Zahnarzt-Stuhl." Damit so viel wie möglich auf einmal gemacht wird. Die Rückfahrt sei oft eine Tortur gewesen, aber "man kann ja mal eine Pause machen." Die Entscheidung, zum Zahnarzt über die Grenze zu reisen, hat sich Thomas nicht leicht gemacht. "Es ist ja nicht gerade ein Katzensprung hierher", sagt er und blättert eine Seite weiter. "Aber es war schon eine schöne Ersparnis." 19.000 Euro hätte die Behandlung in Deutschland gekostet, erzählt Thomas. Dr. Jadczyk habe ihm 5600 Euro in Rechnung gestellt.
Thomas bereut seinen Dentaltourismus nicht eine Sekunde. Die Qualität von Dr. Jadczyks Arbeit stimme, und dem jungen Zahnarzt habe er gleich nach der ersten Sitzung vertraut. Damit ist Thomas die Ausnahme: Denn laut einer aktuellen Studie der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Bundeszahnärztekammer fehlt den meisten deutschen Patienten das Vertrauen zu Zahnärzten hinter der Grenze.
"Der ist supernett!"
Dr. Jadczyk streift seine Handschuhe ab. Die Untersuchung von Stefanie ist beendet. In gewählten Worten erklärt Dr. Jadczyk seiner Patientin nun die verschiedenen Varianten der geplanten Brücke über ihre Backenzähne. Stefanie entscheidet sich für eine hochwertige Vollkeramik-Brücke. In Deutschland, sagt sie, hätte sie sich diese nie leisten können. "Ich hab jetzt drei Wochen Urlaub, schaffen wir das in der Zeit?" Kein Problem, sagt Dr. Jadczyk. In drei Arbeitstagen sei das erledigt. Den Heil- und Kostenplan werde er per Email zuschicken. Wenn die Krankenkasse die Behandlung genehmigt habe, könne es losgehen. Noch einmal Händeschütteln und Stefanie hat ihren ersten Besuch bei dem polnischen Zahnarzt geschafft.
"Der ist supernett!", schwärmt sie im Praxisflur. Ihre Aufregung habe sie sofort vergessen, sagt sie zu Thomas. Der ist aufgestanden und blickt in Richtung Ausgang. Das Paar will noch in die Stettiner Altstadt: Bummeln, etwas essen, Kaffee trinken, als Belohnung für die morgendliche Zahnarzt-Reise. Wenn in ein paar Wochen die Brücke in ihrem Mund sitzt, dann will sich Dentaltouristin Stefanie noch ein Geschenk machen. "Für den ganzen Mut, den ich hatte, hier her zu kommen, möchte ich gerne einen kleinen Brillianten in einen Zahn gesetzt bekommen. Dann ist alles schick!" Das dürfte auch Dr. Jadczyk gefallen.
*Namen von der Redaktion geändert
Autor: Benjamin Braden
Redaktion: Dirk Eckert