Für Retouren-Retter gibt es viel zu tun
10. November 2022Vieles, was die Deutschen im Internet bestellen, wollen sie letztlich nicht behalten und bezahlen. Millionen machen von dem kostenlosen Rückgaberecht Gebrauch. Nach einer Schätzung der Forschungsgruppe Retourenmanagement der Otto-Friedrich-Universität Bamberg wurden 2020 nicht weniger als 315 Millionen Pakete zurückgeschickt. Tendenz steigend. In den meisten Fällen handelte es sich um Bekleidung.
Vieles davon landet dann bei Fashion Logistics in Ibbenbüren. In dem Familienunternehmen sind 170 Frauen und Männer mit der Aufarbeitung der Retouren beschäftigt, damit die Online-Händler die Artikel wieder verkaufen können. Woche für Woche kommen bei den Retouren-Rettern rund 40.000 Päckchen und Pakete an. "Gut 95 Prozent der Artikel", sagt Geschäftsführerin Linda Stalljohann, "können wir reparieren. Nur ein ganz geringer Teil wird wirklich vernichtet".
Schließlich interpretieren manche Online-Kunden das Rückgaberecht ausgesprochen großzügig und schicken nach intensiver Nutzung abgelaufene Schuhe, durchgeschwitzte Pullover oder zerrissene Lederjacken zurück. Fälle, in denen sich nicht mehr viel machen lässt. Linda Stalljohann kann "über so viel Unverfrorenheit manchmal nur den Kopf schütteln".
Für Dr. Henning Wilts, Experte für Warenkreisläufe beim Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie, ist es schlicht ein riesiges ökologisches Problem, dass bestellte Waren umsonst zurückgeschickt werden können. "Wir haben festgestellt, dass etwa zwischen sechs und acht Prozent der Produkte insgesamt als Retouren wieder zurückgehen. Es gibt einzelne Produktgruppen, wo das noch deutlich höher ist. Zum Beispiel bei Textilien. Da gibt es Zahlen, wonach jedes dritte bestellte Produkt wieder zurückgeschickt wird." Leider, ergänzt Henning Wilts, hätten sich Online-Kunden daran gewöhnt, "alle möglichen Dinge gleich in drei Größen, drei Farben zu bestellen."
Retouren-Schub durch Corona
Auf einer Betriebsfläche von 12.000 Quadratmetern bearbeitet Fashion Logistics in Ibbenbüren die Retouren von ein paar der größten und von vielen kleinen Online-Händlern. Von Anzügen über Blusen, Mützen und Pullovern bis zu Schuhen. Damit bei den Abertausenden von Kartons auf dem Weg durch die verschiedenen Arbeitsstationen kein Wirrwarr entsteht, bekommt jeder Karton einen Barcode verpasst, den jeder Mitarbeiter mit einem Scanner auslesen kann.
Das vor 35 Jahren gegründete Familienunternehmen, in dem Tochter Linda nun den Staffelstab von Vater Bernd übernimmt, kennt sich aus mit der Aufbereitung von Textilien. Damals gab es zwar noch keinen Online-Handel, trotzdem aber schon genügend aufzuarbeiten. Und zwar nach dem Ende vieler deutscher Textilhersteller importierte Waren aus Fernost, die den langen Transportweg in Containern nicht unbeschadet überstanden hatten.
"Entweder", so Sabine Habeck von der Geschäftsleitung, "kamen sie zerknittert an, waren falsch etikettiert oder lagen mit riechender Ware im gleichen Container". Waren, die dann in Ibbenbüren vor der Auslieferung an Boutiquen und Kaufhäuser in Deutschland verkaufsbereit bearbeitet wurden.
Durch den im Laufe der Zeit boomenden Online-Handel und auch im Zuge der Corona-Pandemie wurde das Retouren-Geschäft bei Fashion Logistics nach den Worten von Linda Stalljohann "zu einem wichtigen neuen Geschäftsfeld, das extrem gewachsen ist". Schließlich verfügte man über die Erfahrung und die Maschinen für die Aufarbeitung. Inzwischen liegt der Jahresumsatz bei rund elf Millionen Euro.
Dabei wird vieles noch von Hand erledigt. Zum Beispiel in der hauseigenen Schusterei. Hier polieren Mitarbeiter von Hand Schuhe mit der passenden Farbe wieder auf Hochglanz, wenn sie während des Transports mit Feuchtigkeit in Berührung gekommen sind. Oder Einzelpaare werden wieder in Form gebracht, die bei der Anprobe durch den Besteller Knickspuren im Oberleder aufweisen. Abgerechnet wird pro Paar. Das sei für den Online-Händler, so Sabine Habeck, "auf jeden Fall billiger, als die Schuhe zu stark reduzierten Preisen als B-Ware zu verkaufen". Am Ende sehen die Schuhe aus wie neu, werden akkurat geschnürt und wieder für den Verkauf verpackt.
95 Prozent der Ware können gerettet werden
Pullis oder Blusen, die beim Anprobieren Make-Up-Ränder aufweisen, werden mit einem Reinigungsmittel und heißer Luft behutsam gereinigt. Und knittrige Textilien verfrachtet man in den "Tunnelfinisher", also in eine Art überdimensionale Kiste, in der durch Dampf und Heißluft alle Falten verschwinden. Auch Nähmaschinen kommen zu Einsatz. So etwa bei einer großen Lieferung von Kinder-Jogginghosen aus China, deren Kordeln nach deutschen Vorgaben zu lang, also für Kinder zu gefährlich und im gelieferten Zustand somit unverkäuflich waren.
Unerwünschte Gerüche auf Jacken und Hosen nach dem Transport in einem Container bekämpfen die Aufbereiter von Fashion Logistic in einer Ozonkammer und einer geballten Ladung Sauerstoff. Steppjacken, die durch einengende Verpackungen fast platt daherkommen, haucht man auf Dampfpuppen neues Volumen ein.
Gut 95 Prozent der eingesandten Retouren-Artikel könne man nach den Worten von Linda Stalljohann reparieren. Sprich den Händlern helfen, den Wert ihrer Waren zu erhalten. Ganz viele als A-Ware, die Online-Händler wieder als neu verkaufen können. "Das meiste wird noch in Outletstores als B-Ware oder reduziert verkauft. Ansonsten wird das Material recycelt. Nur die D-Ware wird wirklich vernichtet." So schnell geben die versierten Retouren-Retter nichts verloren. Und da der Trend zum Online-Kauf anhält, haben sie weiter alle Hände voll zu tun, rollen weiter wöchentlich LKW mit über 40.000 Päckchen und Paketen in Ibbenbüren an.