Fachkräfte für die Pampa?
4. Juli 2013Eigentlich hatte er sich schon an die Stagnation gewöhnt, erzählt Christoph Mücher. Daran, dass sich immer weniger Studenten in die Sprachkurse des Goethe-Instituts einschrieben, wo er seit 20 Jahren arbeitet. Teilnehmer, die den Deutschkurs als ihr Hobby betrachteten oder einfach mal Thomas Mann im Original lesen wollten, die aber oft, sobald es etwas schwieriger wurde mit der Grammatik oder den komplizierten Vokabeln, den Kurs abbrachen. Doch seit ziemlich genau zwei Jahren, sagt Mücher, der heute Pressesprecher des Instituts ist, habe sich das grundlegend geändert: Vor ein paar Tagen war Mücher in Portugal. Dort habe er Sprachschüler getroffen, die sich trotz großer Schwierigkeiten verbissen durch den Kurs kämpfen. Die Abbrecherquote gehe dort gen Null: "Ich habe noch nie Lernende mit solch einer gigantischen Motivation gesehen."
Das wundert ihn nicht: Schließlich gehe es den Kursteilnehmern um die eigene Zukunft. Seit zwei Jahren fegt die Wirtschaftskrise über Südeuropa hinweg und reißt vor allem die Arbeitsplätze junger Menschen mit sich. Seither schreiben sich immer mehr Spanier, Portugiesen, Griechen aber auch Italiener in die Sprachkurse des Goethe-Instituts ein. Nach Angaben von Mücher liegt der Anstieg in Spanien bei über sechzig Prozent, in Portugal nur knapp darunter. Der Grund: Die jungen Menschen hoffen auf einen Arbeitsplatz in Deutschland. Müchers Kollegen haben deshalb ein komplett neues Kurrikulum entwickelt, um Ingenieuren, Ärzten und Krankenpflegern Deutsch beizubringen. In Griechenland gibt es spezielle Rabatte für arbeitslose junge Menschen, die tagsüber lernen. Also dann, wenn andere bei der Arbeit sind.
Viele positive Einzelmaßnahmen
Oft, sagt Mücher, würden deutsche Firmen, die nach Fachkräften suchen, auf das Goethe-Institut zugehen. Diese, sagt er, würde er dann an die deutschen Handelskammern oder an die Bundesagentur für Arbeit vermitteln. Denn in Deutschland mangelt es an Fachkräften: Bis 2030 rechnet Christina Ramb von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände mit einer Lücke von vier Millionen Arbeitnehmern. Schon heute mangelt es in Deutschland an Altenpflegern und Ärzten, aber auch Ingenieuren und IT-Spezialisten. Um den Bedarf zu decken, sagt Ramb, bedarf es einer Misch-Strategie: So müssten mehr Frauen und ältere Arbeitnehmer in den Beruf integriert werden - aber auch Fachkräfte im Ausland angeworben werden.
Sie glaubt, dass die Bundesregierung auf dem "richtigen Weg sei". So habe vor allem die Lockerung des Zuwanderungsgesetzes in den vergangenen Jahren qualifizierten Einwanderern die Einreise erleichtert. Hinzu käme eine ganze Reihe von Einzelmaßnahmen: So hat die Regierung in den vergangenen Monaten Webseiten gelauncht, auf denen Fachkräfte aus aller Welt Deutschland und seine Fußballvereine loben und Tipps zum Erlangen eines Visums gegeben werden. Außerdem gibt es Programme, die jungen Menschen eine Ausbildungsstätte in Deutschland vermitteln sollen.
Anfang des Jahres hat die Arbeitsagentur Abkommen mit Bosnien-Herzegowina und den Philippinen abgeschlossen, um Pflegekräfte zu vermitteln. Hinzu kommt ein "gigantisches Projekt in Indien", sagt Mücher: So hat die deutsche Regierung im März ein Abkommen mit der indischen Regierung unterzeichnet, wonach Deutsch als Fremdsprache in den staatlichen Schulen in Indien unterrichtet werden soll. Das Goethe-Institut ist nun damit beauftragt, Lehrkräfte an den etwa 1000 Schulen fortzubilden. Fast eine Million Schüler würde so mittelfristig mit Deutschland in Kontakt kommen, glaubt Mücher. Die Hoffnung: Auswanderungsfreudige IT-Spezialisten und Ärzte aus Bangalore oder Mumbai könnten sich in Zukunft für Deutschland statt für die USA entscheiden.
Fehlende Daten
Doch wie viele ausländische Fachkräfte in den vergangenen Jahren tatsächlich nach Deutschland gekommen sind, ist unklar: Im Juni 2012 gab es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 2,2 Millionen ausländische Arbeitskräfte, die in Deutschland Steuern und Sozialabgaben geleistet haben, 2011 waren es noch 2,1 Millionen. Doch darunter könnten viele Pendler aus Grenzgebieten sein, warnt die Arbeitsagentur. Allein in diesem Jahr habe die Agentur fast 700 Personen - vor allem aus Südeuropa - geholfen, eine Arbeit in Deutschland zu finden, erklärt eine Sprecherin. Doch die Behörde habe kein "Vermittlungsmonopol". So gibt es neben der staatlichen Behörde auch eine Reihe von privaten Firmen, die Arbeit oder Ausbildungsverträge vermitteln - trotz der zum Teil beträchtlichen bürokratischen Hürden, die noch immer etwa bei der Anerkennung ausländischer Schul- und Uniabschlüsse bestehen.
Unklar ist auch, wie viele der angeworbenen Fachkräfte tatsächlich im Land bleiben. Eine genaue Zahl möchte Ulrike Heitzer-Priem vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung nicht nennen. Nur: Die Ausfallquote sei sicherlich ziemlich hoch: "Die Rückmeldung, die wir bekommen, ist, dass es schon viele gibt, die wieder zurückgehen." Heitzer-Priem berät vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die verzweifelt nach Fachkräften suchen. In vielen der Unternehmen werde oft nur Deutsch gesprochen, was den Anschluss für ausländische Fachkräfte mit wenig Sprachkenntnissen schwierig mache. Hinzu kommt die geografische Lage, glaubt Heitzer-Priem: Oft würden Ingenieure in Großstädten wie Barcelona oder Lissabon angeworben, um dann in entlegenen Gebieten mit wenig Freizeitangeboten in Deutschland zu landen, "in der Pampa also." Das sei einfach eine andere Lebensqualität, fügt sie diplomatisch hinzu.
Mangelnde Aufstiegschancen
Sie ist überzeugt, dass viele Unternehmer noch immer eine Art "Gastarbeitersyndrom" im Kopf hätten: "Sie müssen einfach lernen, dass es schon eine sehr hohe Bedeutung hat, diese Fachkraft zu begleiten, damit sie sich auch integrieren kann." Etwa in den Fußballverein einzuladen oder in die Behörden zu begleiten, "kleine Dinge, die es erleichtern, hier Fuß zu fassen."
Doch selbst gut integrierte Akademiker würden oft in ihre Heimatländer zurückkehren oder in ein anderes Land weiterziehen, sagt Ellen Bommersheim vom Zentrum für Existenzgründungen Kompass. Der Hauptgrund sei die "gläserne Decke", an die Menschen mit Migrationshintergrund noch immer stoßen, wenn es um Führungspositionen ginge. Vor allem in den Maghreb-Staaten und in einigen Schwellenländern seien die Chancen, ein eigenes Unternehmen zu gründen, auf Grund des anhaltenden Wirtschaftswachstums derzeit gut.
Nicht so in den europäischen Krisenländern: Bei jungen Menschen aus Spanien oder Portugal gehe der Wunsch, zurückzugehen "gen Null", hat Bommersheim beobachtet. "Wegen der Krise", fügt sie hinzu. Die Menschen also, die in Goethe-Instituten in Madrid oder Lissabon Deutsch lernen, in der Hoffnung, einen Job zu bekommen, haben wenig Chancen in ihren Heimatländern. Noch, sagt Mücher vom Goethe-Institut. Denn genauso, wie er vom plötzlichen Anstrum auf die Sprachkurse überrascht wurde, könne sich die Situation schnell wieder ändern.