Fakten, Fakten, Fakten
29. September 2015Welche Nachrichtensendungen sehen sich junge Russen an, die in Deutschland leben? Eine russische Studentin stellte diese Frage kürzlich einem Landsmann, der seit längerer Zeit in Berlin lebt und bekam als Antwort, deutsche Nachrichtensendungen seien viel zu langweilig. Er bevorzuge russische Medien, weil Informationen dort richtig unterhaltsam präsentiert würden. "Wie gehen Sie damit um", fragte die Studentin DW-Intendant Peter Limbourg bei einer Diskussionsrunde in der Hertie School of Governance in Berlin.
"Wahrheitsfindung im Informationsdickicht: Was können westliche Demokratien Propagandaschlachten entgegensetzen?", war die Gesprächsrunde überschrieben, an der auch der langjährige Diplomat und Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, teilnahm. Welche Rolle kann die Deutsche Welle im Informationskrieg spielen? "Es ist nicht unsere Aufgabe, Propaganda entgegen zu wirken" antwortet Limbourg. "Wir stehen für ernsthaften Journalismus, der manchmal vielleicht etwas langweilig zu sein scheint, der aber dabei hilft, die Menschen aufzuklären, sie zu überzeugen und mit ihnen in einen Dialog zu kommen."
Der Erfolg der Russen
Fernsehsender wie der Auslandssender "Russia Today", der seit November 2014 auch ein deutsches Programm anbietet, verfolgen ein anderes Ziel. RT sei technisch gut gemacht, urteilt Peter Limbourg, der das Programm durchaus unterhaltsam findet. Ständig explodiere etwas, alles komme groß und gewaltig daher. "Ja, es ist ein nettes Programm", sagt er, "solange sie nicht alles glauben, was die dort sagen." Doch genau das ist das Problem. Wie erfolgreich die russische Propaganda selbst in Deutschland ist, zeigt eine Forsa-Umfrage für die Zeitschrift "Internationale Politik" aus diesem Jahr.
Danach fühlt sich eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger nicht gut über die Ukraine-Krise informiert. 58 Prozent der Befragten äußerten den Eindruck, es werde in den deutschen Medien nicht ausgewogen über die Lage im Krisengebiet und die Hintergründe berichtet. Nur 33 Prozent waren gegenteiliger Meinung. "Wenn unsere Bürger denken, dass die Medien ihre Arbeit nicht richtig machen, dann ist das ein enormer Sieg für die Russen" urteilt Wolfgang Ischinger.
Mit Fakten gegen Propaganda
Russische Propaganda ist gegen die westliche Denkart, gegen westliche Werte gerichtet. "Die Themen im russischen Fernsehen sind die Ukraine, und noch einmal die Ukraine, dann der Sieg im Zweiten Weltkrieg, wie blöd die Amerikaner sind und wie schwach der Westen", so Peter Limbourg. Worüber nicht berichtet werde, sei über den Alltag in Russland, weder über die sozialen Probleme, noch über die Umwelt, den Zustand der russischen Wirtschaft und die Frage, ob es gut sei, Junior-Partner von China zu sein. Darüber zu berichten, sei wichtig. "Es ist nicht unsere Aufgabe, Propaganda zu kontern, aber es könnte unsere Aufgabe sein, solche Themen aufzugreifen und sie nach Russland zu transportieren."
Wichtig sei aber, so der DW-Intendant, die Menschen mit Respekt zu behandeln und ihnen nichts diktieren zu wollen. "Wir müssen zeigen, warum unsere Werte und unser Modell funktionieren", sagt Limbourg. Dieser Meinung ist auch Wolfgang Ischinger. Anspielend auf den früheren Werbeslogan eines deutschen Nachrichtenmagazins empfiehlt er "Fakten, Fakten, Fakten" und wertebasierte Informationen. Das sei der einzige Weg. Ob er effektiv sei, müsse sich zeigen. "Das ist kein einfacher Job." Propaganda sei aber ja nichts Neues, sagt Ischinger. Seit Jahrhunderten werde damit Politik gemacht, vor allem in kriegerischen Zeiten. "Was neu ist, sind die modernen Technologien und die Rolle, die sie spielen."
Wer informiert die Flüchtlinge?
Das zeigt sich nicht nur am Propaganda-Feldzug der Terrororganisation "Islamischer Staat", sondern auch in der Flüchtlingskrise. Wer unterwegs nach Europa ist, liest keine langen Zeitungsartikel und schaut kein Fernsehen. Informationen laufen über die sozialen Medien und über Freunde, die schon vor Ort sind. Viele hätten das zu lange nicht verstanden, sagt Wolfgang Ischinger und meint damit auch die Bundesregierung. Gegen die Macht der Bilder, die in Windeseile über das Internet verbreitet werden, kommt niemand an. "Das Bild von tausenden Flüchtlingen, die hier mit offenen Armen empfangen werden, ist ein Blankoscheck", so Ischinger, der von einer "steilen Lernkurve für Regierungen und Medien" spricht.
Der frühere Diplomat sieht die Botschaften in den Transitländern in der Pflicht. Dort müssten Mitarbeiter sitzen, "die Tag und Nacht über Twitter und Facebook" die Fakten verbreiten. Es müsse bei den Flüchtlingen ankommen, dass es in Deutschland nicht nur Menschen mit offenen Armen gebe, sondern auch überfüllte Flüchtlingsheime und Nazis, die Steine werfen. DW-Intendant Limbourg stimmt dem zu. "Es ist nicht alles so golden." Am besten berichte man immer über beide Seiten einer Medaille.