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Beschert Corona Pharmafirmen Rekordgewinne?

14. Februar 2022

Auf der einen Seite Milliardenumsätze, auf der anderen Seite Millionen von Menschen, die keinen Zugang zu COVID-19-Impfungen haben. Stimmt es, dass die Pandemie Pharmakonzerne reich macht? Ein DW-Faktencheck.

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Corona Impfstoff Moderna Biontech Pfizer
Gute Geschäfte in der Pandemie: Pfizer, BioNTech und Moderna verbuchten 2021 ein deutliches Umsatzplus Bild: STRF/STAR MAX/IPx/picture alliance

Behauptung: Die Pharmaindustrie verzeichnet Rekordgewinne.

Unter dem Hashtag #pfizergate kursieren in den Sozialen Netzwerken unzählige Behauptungen, wonach die Corona-Pandemie für die Pharmabranche zu einer Goldgrube geworden sei. Der "Impfwahn" sei zum "Steigbügelhalter für die Pharmalobby verkommen", wettert ein User auf Twitter. Und der Chef des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, kritisiert in einem Interview mit dem SWR die "unanständigen Gewinne der Impfstoffhersteller".

DW-Faktencheck: ungenau

Richtig ist, dass die Umsätze von BioNTech und Pfizer stark gestiegen sind. Der Umsatz des Mainzer Biotechunternehmens sprang von knapp einer halben Milliarde Euro im Jahr 2020 auf mehr als 17 Milliarden Euro 2021. Der Wert der BioNTech-Aktie stieg von elf Euro im Oktober 2019 auf 153 Euro (Stand 4.2.2022, siehe Grafik).

Der US-Konzern Pfizer steigerte laut konzerneigener Bilanz seinen Umsatz 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 95 Prozent. Der Umsatz lag bei 81 Milliarden US-Dollar, davon entfallen laut Prognose allein rund 36 Milliarden US-Dollar auf den COVID-19-Impfstoff Comirnaty, den der Konzern zusammen mit BioNTech entwickelt hat.

Infografik Aktienkurs BioNTech Pfizer AstraZeneca DE
Während bei BioNTech der Aktienkurs explodierte, stieg der Wert der Pfizer-Aktie "nur" von 37 auf 46 US-Dollar. Der US-Konzern hat vor Corona den größten Gewinn mit einem Medikament gegen Arthritis gemacht.

Im Schatten von BioNTech und Pfizer hat auch der Schweizer Konzern Roche als Hersteller von PCR- und Schnelltests besonders von der Pandemie profitiert. Der Umsatz des zweitgrößten Pharmaunternehmens weltweit stieg im Jahr 2021 um neun Prozent auf rund 59 Milliarden Euro. 28 Prozent des Umsatzes entfiel auf die Sparte Diagnostika, zu der Corona-Tests gehören.

Richtig ist aber auch, dass die Pharmabranche bereits seit 20 Jahren kontinuierlich expandiert. Laut "Statista" stieg der weltweite Absatz von Medikamenten im Zeitraum von 2001 bis 2020 von 390 Milliarden US-Dollar auf 1,27 Billionen US-Dollar.  

Infografik Gute Geschäfte mit und ohne Pandemie DE
Das weltweit größte Pharmaunternehmen Johnson&Johnson hat zwar auch einen Corona-Impfstoff entwickelt, doch zu seinen Topsellern gehört ein Mittel gegen Leukämie. AbbVie gehört zu den führenden Herstellern von Krebsmedikamenten.

Das Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY) betrachtet die steigenden Umsätze einzelner Pharmaunternehmen aufgrund der Pandemie deshalb als eine vorübergehende Erscheinung. "2021 betrug der Umsatz mit den fünf wichtigsten Impfstoffen 57 Milliarden US-Dollar, die Projektion für 2026 sieht 15 Milliarden US-Dollar vor", erklärte Analyst Alexander Nuyken im DW-Gespräch.

Zum Vergleich: Mit den fünf wichtigsten Krebsmedikamenten wurde laut EY 2021 ein Umsatz von knapp 40 Milliarden US-Dollar erzielt. Für 2026 liegen die Prognosen des Beratungsunternehmens bei 68 Milliarden US-Dollar.

Behauptung: Öffentliche Beschaffung von Vakzinen beschert Impfstoffherstellern große Gewinne.

Medikamente, Impfdosen, Schnelltests - angesichts der Massenbestellungen bei Pharmafirmen werfen Kritiker den Regierungen von Industrieländern vor, der Branche mit öffentlichen Geldern zu exorbitanten Gewinnen verholfen zu haben.

Das Geschäftsmodell bezeichnet Aaron Siri von der New Yorker Anwaltskanzlei Siri & Glimstad auf Twitter als "verrückt". "Die US-Regierung gibt Pfizer und Moderna Milliarden, gewährt ihnen Immunität bei Schäden oder wenn [die Mittel] nicht wirken und preist kostenlos ihre Produkte an."

Twitter Tweet Faktencheck Pharmaindustrie Aaron Siri
Bild: Twitter/AaronSiriSG

DW-Faktencheck: Richtig

Fakt ist: Die Pandemie kostet den Steuerzahler viel Geld. Es gab und gibt weiterhin Massenbestellungen bei Pharmakonzernen, insbesondere den Herstellern von Impfstoffen. So wurden allein in Deutschland bis zum 16. Dezember 2021 insgesamt 554 Millionen Impfdosen im Wert von vier Milliarden Euro vom Bund bestellt. Für Corona-Tests wurden nach Angaben des Bundesamtes für Soziale Sicherung 7,58 Milliarden Euro ausgegeben (Stand: 17.01.2022).

Außerdem investierte Deutschland rund 1,5 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung von Corona-Impfstoffen, die hauptsächlich privaten Unternehmen zugutekamen. Dies geht aus einer Untersuchung des Zentrums für Globale Gesundheit am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung in Genf hervor.

Zum Vergleich: Den Milliarden Euro an öffentlichen Geldern für die Beschaffung von Impfstoffen, Diagnostika und Forschung stehen rund 170 Milliarden Euro an Corona-Beihilfen gegenüber. Mit dieser Summe hat die Bundesregierung laut Jahreswirtschaftsbericht 2022 Unternehmen, Selbständige und Beschäftigte seit Beginn der Corona-Pandemie unterstützt. Krankenhäuser erhielten dem Bundesamt für Soziale Sicherung zufolge unter anderem für Einnahmeausfälle und zusätzliche Intensivbetten 17 Milliarden Euro (Stand: 01.02.2022).

Behauptung: Pharmakonzerne weigern sich, Patente freizugeben.

Unter dem Hashtag #VaccineApartheid wird in den Sozialen Medien immer wieder der ungleiche Zugang zu COVID-19-Impfstoffen thematisiert. Die britische Nichtregierungsorganisation "Global Justice Now" rechnet vor, der Umsatz mit dem Pfizer-Impfstoff Comirnaty 2021 sei mehr als sieben Mal so hoch gewesen wie der Wert, den alle Regierungen in Ländern mit geringem Einkommen insgesamt für den Gesundheitssektor aufbrächten. Gemeinsam mit der WHO fordern viele Hilfsorganisationen deshalb die Freigabe der Patente für Corona-Impfstoffe.

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DW-Faktencheck: ungenau

Bisher ist diese Forderung nur von wenigen Unternehmen umgesetzt worden. Pfizer und BioNTech gehören nicht dazu. Sie beschränken sich darauf, Impfdosen zu spenden.

Die schwedisch-britische Firma AstraZeneca hingegen vertreibt ihren Impfstoff Vaxzevria zum Selbstkostenpreis und hat zusätzlich mit vielen Entwicklungsländern eine freiwillige Lizenzvergabe und kostenfreien Technologietransfer vereinbart.

Der US-Konzern Moderna hat das Patent für seinen Impfstoff Spikevax zwar nicht freigegeben,  verzichtet aber darauf, während der Pandemie die Gebühren dafür einzutreiben. Die Sequenz seines mRNA-Vakzins ist zum Beispiel Grundlage des Impfstoffkandidaten aus dem südafrikanischen Forschungs- und Fertigungszentrum Afrigen Biologics in Kapstadt.

Bei den neuen COVID-Medikamenten Molnupiravir und Paxlovid hingegen verzichten die Hersteller Merck und Pfizer in einigen Ländern auf ihre Lizenzgebühren. Dazu gibt es eine entsprechende Vereinbarung mit dem Medicine Patent Pool der Vereinten Nationen, der Lizenzvereinbarungen mit Pharmakonzernen aushandelt.