Faktencheck: Weicht Biden Sanktionen gegen Iran auf?
28. April 2024Seit der Revolution 1979 wird der Iran, das Land mit den weltweit größten Rohöl- und Gasreserven, immer wieder mit Sanktionen belegt. Angesichts der Drohnenangriffe auf Israel haben sowohl die USA als auch die EU ihre Sanktionen gegenüber Teheran erneut verschärft. Wie wurden die zahlreichen Sanktionen umgesetzt?
UN-Waffenembargo und die USA
Behauptung: "Biden hat dem Auslaufen der UN-Sanktionen gegen iranische Drohnen und ballistische Raketen zugestimmt", schreibt die US-amerikanische Fernsehkommentatorin Morgan Ortagus auf Twitter. Ortagus war von 2019 bis 2021 Sprecherin des US-Außenministeriums unter US-Präsident Trump.
DW Faktencheck: Falsch.
Das UN-Waffenembargo gegen den Iran ist bereits am 18. Oktober 2020 ausgelaufen. Dies war vor dem Beginn der Amtszeit von Präsident Joe Biden am 20. Januar 2021.
Das Embargo endete genau fünf Jahre nach dem Tag der Annahme des internationalen Abkommens über das iranische Atomprogramm, genannt Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA).
Im Rahmen des Abkommens beschloss der UN-Sicherheitsrat am 20. Juli 2015 (Resolution 2231), das bis dahin geltende strikte UN-Waffenembargo gegen den Iran zu lockern.
Die Lockerungen sollten allerdings erst gewährt werden, wenn die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) gegenüber dem UN-Sicherheitsrat bestätigt, dass der Iran die im JCPOA festgelegten Maßnahmen im Zusammenhang mit seinem Atomprogramm ergriffen hat.
Unter Trump zogen sich die USA am 8. Mai 2018 aus dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran zurück. Am 6. August 2018 verhängten die USA erneut Sanktionen.
Der damalige US-Außenminister Michael Pompeo erklärteim September 2020, dass auch die UN-Lockerungen rückgängig gemacht und die in der Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrates verfügten Sanktionen gegen den Iran wieder eingesetzt würden.
Dies war jedoch nicht der Fall. Der UN-Sicherheitsrat hatte bereits am 26. August 2020 eine entsprechende Initiative der USA mit der Begründung blockiert, dass die USA einseitig aus dem JCPOA ausgestiegen und deshalb nicht befugt seien, Änderungen vorzuschlagen.
Seitdem haben die USA mehrfach ihre eigenen Sanktionen gegenüber dem Iran verschärft. Eine komplette Liste aller seit 2001 verhängten US-Sanktionen gegen den Iran hat das United States Institute for Peace zusammengestellt.
Israel-Angriff und Urananreicherung dank Sanktionspausen?
Behauptung: "Seit seinem Amtsantritt hat Biden Direktzahlungen an Teheran und Sanktionserleichterungen vorgenommen. Dieses Geld hat der Iran genutzt, um Israel anzugreifen," empört sich eine Twitter Userin . Der republikanische US-Kongressabgeordnete Bryan Steil pflichtet ihr bei und schreibt: "Präsident Biden hat eine Ausnahmeregelung für Sanktionen verlängert, die dem Iran Zugang zu zehn Milliarden Dollar gewährt. In der Zwischenzeit reichert der Iran Uran fast auf nuklearen Niveau an und seine Stellvertreter schießen Raketen auf unsere Soldaten ab, drei wurden getötet".
DW-Faktencheck: Unbelegt.
Richtig ist, dass US-Präsident Joe Biden während seiner Amtszeit mehrfach Sanktionsaussetzungen angeordnet hat. Es folgen einige Beispiele.
So versuchte Biden im Februar 2022 mit "sanction waivers" für russische, chinesische und europäische Unternehmen eine Wiederbelebung der indirekten amerikanisch-iranischen Gespräche über das Atomabkommen von 2015 zu ermöglichen.
Im Juli 2023 gab US-Außenminister Antony Blinken nach einem Treffen mit seinem irakischen Amtskollegen Fuad Hussein in Riad die Freigabe von iranischen Guthaben im Irak bekannt. Damit konnte der Irak einen Teil seiner Erdgasschulden in Milliardenhöhe gegenüber dem Iran begleichen. Dieser hatte seine Lieferungen für den Irak eingestellt.
Im August 2023 gewährte Präsident Biden Teheran Zugang zu rund sechs Milliarden US-Dollar an Erdöldevisen. Das Geld befand sich auf einem gesperrten Bankkonto in Südkorea. Im Gegenzug wurden fünf amerikanische Geiseln aus dem Iran freigelassen.
Im März dieses Jahres erlaubte die US-Regierung dem Iran erneut Zugang zu zehn Milliarden US-Dollar. Auf einer Pressekonferenz am 15. April verteidigte Sprecher John Kirby die Maßnahme: "Von diesen Geldern - die übrigens von der Regierung Trump auf einem Konto eingerichtet wurden - geht nichts direkt an den Obersten Führer der Revolutionsbrigaden IRGC. Sie können nur für humanitäre Zwecke verwendet werden."
Claude Rakisits vom Centre for Security, Diplomacy and Strategy (CSDS) in Brüssel widerspricht. Er ist davon überzeugt, dass "die Sanktionsaussetzungen es Teheran leichter gemacht haben, Waffen zu produzieren und zu kaufen".
Belegbar ist diese Behauptung nicht. Im Gegensatz zu Kritiker Rakisits verteidigt US-Präsident Biden in einem Statement vom 18. April seine Sanktionspolitik.
"Während meiner Regierung haben die USA über 600 Individuen und Organisationen mit Sanktionen belegt, darunter den Iran und seine Verbündeten Hamas, Hizbollah, und Huthis. Dies werden wir fortsetzen und weitere Sanktionen verhängen, die Irans Rüstungsindustrie schwächen."
Waffenexporte und Wachstum trotz Sanktionen
Behauptung: "Die Sanktionen gegen den Iran sind nicht sinnvoll, wenn sie nicht auch China mit einbeziehen", schreibt die deutsch-iranische Fernsehjournalistin Natalie Amiri auf Twitter. Andere User bezeichnen die Sanktionen sogar als "komplett sinnlos", da ihre Einhaltung nicht durchgesetzt werde.
DW-Faktencheck: Richtig.
Die Sanktionen schwächen Wirtschaft und Entwicklung, reduzieren Investitionen und führen zu wachsender Arbeitslosigkeit und Armut. Die Entwicklung des iranischen Bruttoinlandsproduktes pro Kopf seit 1979 (siehe Grafik) verdeutlicht die Rückschläge, die der Iran durch die Strafmaßnahmen hinnehmen musste, etwa den rapiden BIP-Rückgang nach dem Ölembargo 2012.
Dennoch liegt die Wirtschaft des Landes trotz der internationalen Strafmaßnahmen nicht am Boden.
"Das Wirtschaftswachstum hat sich in den vergangenen vier Jahren trotz der anhaltenden Sanktionen und erhöhter geopolitischer Unsicherheit als resilient erwiesen", heißt es in der Analyse der Weltbank.
Andere Sanktionsexperten bestätigen diese Einschätzung: "Westliche Sanktionen gegen Drohnen und Waffen aus dem Iran haben nicht funktioniert, weil Teheran die Waffen oder Komponenten dafür woanders herbekommt", erklärt Sanktionsexperte Claude Rakisits auf Anfrage der DW. Die Lieferungen kämen hauptsächlich aus China, Nordkorea und Russland. Rakisits: "Es besteht eine effektive Allianz zwischen diesen vier Diktaturen."