Milliardär von Hongkong aufs Festland verbracht
2. Februar 2017Anfang der Woche erschienen in westlichen und in chinesischsprachigen Auslandsmedien Meldungen über das Verschwinden beziehungsweise die Entführung eines einflussreichen chinesischen Milliardärs aus Hongkong. Der 45-jährige Xiao Jianhua (im Foto mit Buch) wurde laut einem Bericht der "Financial Times" am Freitag um ein Uhr morgens in seiner Luxussuite im Hongkonger Four Seasons Hotel von "fünf oder sechs in Zivil gekleideten Mitarbeitern der chinesischen Staatssicherheit angesprochen und mit zwei seiner Leibwächter aufs Festland gebracht". Laut der von der Zeitung zitierten anonymen Quelle ist Xiao offenbar ohne Gewaltanwendung aus dem Hotel geführt worden.
Von Seiten der Hongkonger Polizei wurde mitgeteilt, dass sich am Samstag ein Familienmitglied an die Polizei gewandt habe. Deshalb sei das Verschwinden Xiaos zunächst als ein Entführungsfall gehandhabt worden. Am Sonntag habe die betreffende Person allerdings ihr Hilfeersuchen zurückgezogen, Xiao sei in Sicherheit, wollte sie erfahren haben.
Die Auswertung der Überwachungskameras des Hotels habe nichts Ungewöhnliches ergeben, Xiao sei am Freitag regulär auf das Festland gereist, erklärte die Hongkonger Polizei gegenüber Reuters.
Patriotisches Bekenntnis per Zeitungsanzeige
In einer ganzseitigen Anzeige in der pro-chinesischen Hongkonger Zeitung "Ming Pao"", die am Mittwoch unter Xiaos Namen veröffentlicht wurde, betonte dieser, er sei keineswegs entführt worden, sondern befinde sich zur Behandlung im Ausland. Des weiteren halte er die chinesische für eine zivilisierte Regierung, welche die Gesetze achte. Mit irgendwelchen oppositionellen Bewegungen in Hongkong habe er nie etwas zu tun gehabt. Im Übrigen habe er einen kanadischen Pass und auch eine dauernde Aufenthaltsgenehmigung für Hongkong. Ob Xiao die Anzeige selber geschaltet hat, ist unklar. Auch die von Xiao gegründete Firmen-Holding Tomorrow Group wies in zwei Postings in ihrem WeChat-Account Meldungen über eine Entführung als falsch zurück; die Einträge wurden aber später wieder gelöscht.
Die "South China Morning Post" aus Hongkong meldete am Donnerstag, dass Xiao auf dem Festland bei Ermittlungen im Zusammenhang mit den starken Turbulenzen an den Börsen in Shanghai und Shenzhen im Jahr 2015 "behilflich" sei. Damals hatten panikartige Verkäufe den überhitzten chinesischen Aktienmarkt abstürzen lassen und viele Sparer um ihr Vermögen gebracht - für die KP-Führung ein schmerzlicher Gesichtsverlust, hatte sie doch selbst die Bevölkerung zum Aktienkauf ermuntert.
Erst Ende Januar hatte ein Gericht in Qingdao den prominenten Hedge-Fund-Händler Xu Xiang wegen Börsenmanipulationen und Insidergeschäften zwischen 2010 und 2015 zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis und elf Milliarden Yuan Geldstrafe verurteilt, der bisher höchsten für ein individuelles Wirtschaftsverbrechen in China, wie das "Wall Street Journal" meldete.
Märchenhafter Aufstieg eines begabten Studenten
Xiao Jianhua hat sein Vermögen - soweit bekannt - nicht mit spekulativen Börsengeschäften gemacht, sondern mit der Einfädelung lukrativer Deals bei der Gründung oder Übernahme von Investmentgesellschaften, oft mit Beteiligung staatlicher Behörden. Die Benutzung von Scheinfirmen gehört auch dazu. Solche Konstruktionen eignen sich nach Meinung von Experten gut dazu, Beteiligungen von Funktionären zu verbergen.
Zuvor war Xiao im Jahr 1989 als erst 17-jähriger Vorsitzender der Studentenvertretung an der Pekinger Volksuniversität in den Strudel der Demokratiebewegung geraten, die am 4. Juni blutig niedergeschlagen wurde. Xiao hatte sich um einen Ausgleich mit der Partei bemüht und war der Konfrontation aus dem Weg gegangen, was ihm in der Folgezeit nicht geschadet hat.
Er baute zunächst einen Handel mit Computer-Hardware auf, was ihm laut NYT seinen ersten "Goldtopf" einbrachte. Durch seine guten Verbindungen zu hohen und höchsten Funktionären und sein geschäftliches Geschick gelang ihm der Aufstieg zu einem der reichsten Chinesen. Seine Beziehungen reichen bis in die Spitze des Parteiapparats. 2013 kaufte eine der Firmen seines weitverzweigten Imperiums ein Aktienpaket von Xi Jinpings Schwester und Schwager zurück, kurz nachdem Bloomberg News Details über den Reichtum der chinesischen Führung publik gemacht hatte.
In die Fänge der Anti-Korruptionskampagne Xis geraten?
Allerdings lief nicht immer alles glatt, Details über nicht ganz korrekte Geschäfte wurden publik und ließen den Senkrechtstarter des chinesischen Booms der 1990er-Jahre in die Defensive geraten. So wurde er kritisiert, weil er Staatsunternehmen unter Marktpreis privatisiert hätte. Xiao legte sich darauf hin sicherheitshalber einen Wohnsitz in Kanada zu und verlegte seinen Arbeitsplatz nach Hongkong.
Das hat ihn vor dem Zugriff der chinesischen Sicherheitsbehörden offenbar nicht geschützt. Er soll angeblich nicht nur zur Aufklärung von Börsenmanipulationen helfen, sondern auch im Fall des gefeuerten und aus der Partei ausgeschlossenen Ex-Chefs der chinesischen Gegenspionage, Ma Jian. Der frühere Vizeminister für Staatssicherheit soll demnächst wegen Korruption angeklagt werden.
Erinnerung an die Buchhändler-Affäre
Die zuständigen Hongkonger Behörden halten sich bedeckt und bestreiten jegliche Zusammenarbeit mit dem Festland bei der "Ausreise" des Milliardärs. Man bemühe sich, weitere Informationen von den zuständigen Behörden des Festlands zu bekommen. Das erinnert an ähnliche Reaktionen im Fall der fünf Buchhändlerbzw. Verlagsmitarbeiter, die zwischen Oktober und November 2015 teilweise von Hongkong aus, teilweise aus dem Ausland, aufs Festland verschleppt wurden. Ihr Verlag "Mighty House" spezialisiert sich auf kritische und pikante Veröffentlichungen über Chinas Führung, die auf dem Festland verboten sind. Drei der Verschleppten legten später im chinesischen Fernsehen "Geständnisse" ab, sie hätten unerlaubte Bücher verkauft. Vier leben inzwischen wieder in Hongkong.
Damals waren es wirtschaftlich unbedeutende Persönlichkeiten, die in die Fänge der chinesischen Staatssicherheit gerieten, jetzt ist es ein Milliardär vom Festland. Trotz des äußerlichen Unterschieds sehen die Demokratie-Aktivisten Hongkongs in beiden Fällen den Beweis für die zunehmende Einmischung Pekings in die Angelegenheiten Hongkongs, unter stilschweigender Billigung der Hongkonger Stadtregierung: "Ganz offensichtlich hat die Regierung Hongkongs vollständig dabei versagt, Hongkong gemäß dem Prinzip 'Ein Land, zwei Systeme' zu schützen", zitiert die FT die oppositionelle Abgeordnete Claudia Mo im Hongkonger Parlament.
Dem stimmt Willy Lam zu, China-Experte an der Chinesischen Universität von Hongkong: "(Geschäftsleute wie Xiao Jianhua) haben sich in eben aus dem Grund in Hongkong niedergelassen, weil sie hier Rechtssicherheit suchen und um vor dem Zugriff der chinesischen Staatssicherheit geschützt zu sein. Der Fall Xiao ist ein krasse Verletzung des Hongkonger Grundgesetzes (Basic Law) und lässt Schlimmes für die Zukunft des Modells 'Ein Land zwei Systeme' und für unsere Zukunft als Finanzzentrum erwarten."
Die chinesischsprachige Webseite Initium aus Hongkong meldet unterdessen, dass sich die Ehefrau von Xiao Jianhua nach Japan abgesetzt habe. Schon 2016 habe das Ehepaar aus Sorge um seine Sicherheit zeitweise in Japan gewohnt und auch seine Geschäftsaktivitäten teilweise dorthin verlegt.