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Politik

Fall Yücel: Stille Diplomatie?

Carsten Grün
28. Februar 2017

Der Journalist Deniz Yücel sitzt seit Montag in Untersuchungshaft. Die Frage ist nun, was kann die Bundesrepublik Deutschland tun, um ihren Staatsbürger zu schützen?

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Deutschland Solidaritätsaktion für in Türkei inhaftierten Journalisten
Bild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

"Sie können den Botschafter einbestellen, diplomatische Noten zustellen, aber rechtlich sind der Bundesrepublik Deutschland die Hände gebunden. Die Politik ist nun am Zug", sagt Ulrich Battis, Professor für Staatsrecht an der Humboldt Universität Berlin. "Es muss darauf hinauslaufen, dass es diplomatisch zu einer gütlichen Einigung kommt und zwar so, dass beide Seiten ihr Gesicht wahren können", ergänzt Battis.

Ähnlich schätzt auch der Saarbrücker Europa- und Völkerrechtler Thomas Giegerich die Lage ein. "Aus völkerrechtlichen Gründen wird es schwierig sein, Druck auf die Türkei auszuüben. Es wird eher auf die stille Diplomatie hinauslaufen." Jedoch weist Giegerich auch darauf hin, dass die Bundesregierung die Möglichkeit hat, die Türkei aufzufordern, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten. "Ich denke, das wird auf jeden Fall passieren", so Giegerich. Die Pressefreiheit in der Türkei sieht der Jurist bedrohter denn je: "Die Einforderung der Pressefreiheit durch Journalisten wird immer mehr zu einem Himmelfahrtskommando."

Thomas Giegerich, Professor für Europarecht an der Universität Saarbrücken
Thomas Giegerich, Professor für Europarecht an der Universität SaarbrückenBild: Universität des Saarlandes

"Einreisestopp für Erdogan?"

Zum Vorschlag aus der Politik, einen möglichen Auftritt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland zu stoppen, meint der Staatsrechtler Ulrich Battis: "Rechtlich ist dies möglich, ihm die Einreise zu verweigern." Selbst wenn Erdogan nur als Privatmann käme. Der Jurist fragt nämlich: "Welcher Privatmann führt bei seiner Reise schon Wahlkampf"?

Staatsrechtler Ulrich Battis setzt auf die Diplomati
Staatsrechtler Ulrich Battis setzt auf die DiplomatieBild: picture-alliance/dpa

Pressefreiheit: Situation verschlimmert sich

Die Türkei liegt auf Platz 151 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit. Daran wird sich in nächster Zeit mit Sicherheit auch nichts ändern. Während Yücel für Deutschland ein besonderer Fall ist, ist es in der Türkei normal, dass ein Journalist, der den Behörden nicht passt, verhaftet wird. Aktuell sind nach Informationen der Organisation "Reporter ohne Grenzen" in der Türkei rund 150 Journalisten im Gefängnis. Mindestens 49 säßen im Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätigkeit in Haft.

Dementsprechend nimmt "Reporter ohne Grenzen" die Bundesregierung im Fall Yücel in die Pflicht. Die Regierung dürfe nichts unversucht lassen, um Yücel freizubekommen, sagte Geschäftsführer Christian Mihr dem Radiosender SWR Aktuell. Er fügte hinzu: "Bundeskanzlerin Angela Merkel muss inne halten, und die Beziehungen überdenken, die man zur Türkei hat."

Die Entscheidung, Yücel in Untersuchungshaft zu nehmen, wertete "Reporter ohne Grenzen" als Zeichen dafür, dass auch Auslandskorrespondenten in der Türkei eingeschüchtert werden sollten. Es solle deutlich gemacht werden, "dass die türkische Regierung jetzt offenbar vor gar nichts mehr zurückschreckt".

Yücel hatte sich am 14. Februar freiwillig der Polizei in Istanbul zur Befragung gestellt und war daraufhin in Gewahrsam genommen worden. Nach Angaben der "Welt" wird ihm Aufwiegelung der Bevölkerung und Terrorpropaganda vorgeworfen. Laut türkischem Recht kann die Untersuchungshaft bis zu fünf Jahre dauern. Yücel verwendete Material der linken Hackergruppe Redhack. Ende September hatte sie angebliche E-Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak veröffentlicht - ein Schwiegersohn von Staatspräsident Erdogan. Nur wenige türkische Medien wagten es damals, über die brisanten E-Mails zu berichten. Yücel gehörte zu den wenigen Journalisten, die sich trauten.

Deniz Yücel droht eine ungewisse Zukunf
Deniz Yücel droht eine ungewisse ZukunftBild: picture-alliance/Eventpress

Aber auch innerhalb der Regierungspartei AKP wird die angeordnete Haft für Yücel kritisch gesehen. So sagte der deutsch-türkische AKP-Politiker, Mustafa Yeneroglu, der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul. "Ohne Einzelheiten zu kennen und soweit ich den Berichten entnehmen kann, denke ich, dass der Propagandabegriff zu weit ausgelegt worden ist."

Es wird auch gemunkelt, dass Yücel für eine Art Tauschhandel mit einem hochrangigen Gülen-Mitglied in Deutschland dienen könne, dessen Auslieferung die Türkei erzwingen wolle. "Das nächste Mal, wenn Ankara etwas von Berlin braucht, wird man über Yücel diskutieren und ihn dann eventuell freilassen, wenn man das bekommt, was man", sagte der Grünenpolitiker Özcan Mutlu mit Bezug auf Verhandlungen mit der Bundesregierung im DW-Interview.

Zudem gibt es Spekulationen, wirtschaftlich Druck auf Ankara auszuüben. So meldete der "Spiegel" kürzlich, Ankara setze auf Deutschland, um den wirtschaftlichen Niedergang der Türkei zu bremsen. Vize-Ministerpräsident Mehmet Simsek sei dafür bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vorstellig geworden. Hintergrund ist eine anstehende Pleite der Türkei.

So sagen zum Beispiel Experten der Berenberg Bank die Staatspleite des Landes voraus. In einer Analyse schreibt das Geldinstitut: "Die Türkei befindet sich in einer zerbrechlichen, um nicht zu sagen kritischen Lage – politisch genauso wie wirtschaftlich. Wir erwarten, dass die türkische Wirtschaft in den nächsten Jahren erheblich verfallen wird." Ob das allerdings die Situation von Deniz Yücel kurzfristig wirklich verbessern wird, ist fraglich.

Lob von Tucholsky-Gesellschaft

Zuspruch erhält der inhaftierte Journalist auch von der Tucholsky-Gesellschaft, deren Preisträger Yücel 2011 war. "Der Kurt-Tucholsky-Preis wird vergeben für Arbeiten, die sich kritisch mit zeitgeschichtlichen Entwicklungen und Vorgängen auseinandersetzen und Realitäten hinter vorgeschobenen Fassaden erhellen. Genau dies ist Kern der Arbeit von Deniz Yücel. Es ist dies die vornehmste Aufgabe und Pflicht eines Journalisten – und kein Verbrechen", heißt es auf den Seiten der Gesellschaft.