Netzrepublik Deutschland?
8. März 2013Die bayrische Landeshauptstadt München ist fest in der Hand eines kleinen Pinguins. Das Maskottchen des nicht-gebührenpflichtigen Betriebssystems Linux prangt schon jetzt auf der Mehrzahl der über 15.000 PC-Arbeitsplätze der öffentlichen Verwaltung. Konsequent setzt die Münchner Stadtverwaltung seit 2003 auf freie Software wie Linux und Open Office statt auf lizenzpflichtige Microsoft-Produkte. Erklärtes Ziel ist es, bis zu zwanzig Prozent der laufenden IT-Kosten durch wegfallende Lizenzgebühren einzusparen. München ist mit dieser IT-Strategie, die auf offene Standards (Open-Source) setzt, deutschlandweiter Vorreiter, will größtmögliche Unabhängigkeit von einem Hersteller erreichen, der vormals Kosten diktieren und Standards vorschreiben konnte.
Digitaler Vorreiter mit kurzem Atem
Nur handverlesen ist bislang allerdings die Zahl jener Städte und Behörden, die es München gleichtaten. Neben Leipzig, Mannheim oder Freiburg setzen auch einige Bundes- und Landesbehörden auf freie Software. Von einem flächendeckenden Umstieg öffentlicher Verwaltungen, wie er in Strategiepapieren deutscher Bundesregierungen noch bis weit in die 2000er Jahren hinein propagiert wurde, kann inzwischen aber keine Rede mehr sein.
Ganz im Gegenteil verabschieden sich selbst prestigeträchtige Verwaltungen wie das Auswärtige Amt wieder von den vormals hoch gelobten Open-Source-Anwendungen, setzen statt auf Linux wieder auf Microsoft Windows und auf Bezahlsoftware.
Für Netzaktivist Markus Beckedahl, Sachverständiger der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft", verabschiedet sich Deutschland damit auch symbolisch von seiner internationalen Vorreiterrolle beim Thema freie Software. Als Gründe sieht er hier vor allem die starke Microsoft-Unternehmenslobby in Deutschland an, aber eben auch Bequemlichkeiten: "Dass bei einem Microsoft Office Schreibprogramm der Drucken-Button ganz leicht anders angeordnet ist als bei der Open Office Alternative, überfordert schon sehr viele.“
Angst vor Veränderung: Bei der Nutzung des Internets und freier Anwendungen sei das für viele politische Entscheidungsträger wie Verbraucher noch immer ein Leitmotiv, sagt Beckedahl. Weil Medien allerorts nur von der Anarchie im Netz, von Sicherheitslücken bei Software und von Hackerangriffen berichteten, überlagere die Sicherheitsdebatte inzwischen alle Diskussionen rund ums Internet: "Da werden viele Ängste erzeugt, die dann manchmal Mehrheiten für eine Einschränkung von Grundrechten bringen, die niemand in der realen Welt akzeptieren würde."
Bestes Beispiel für den Blogger und Autor von "netzpolitik.org" ist die in Deutschland heftig umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Hier werden Telekommunikationsdaten aller Bürger von Mobilfunkbetreibern für mindestens sechs Monate gespeichert, um auf richterliche Anweisung in Strafprozessen später verwendet werden zu können. "Es würde eine Revolution geben, wenn sechs Monate gespeichert werden würde, wo unsere Eltern mit wem gerade beim Kaffeetrinken gesessen haben." Beckedahl befürchtet, dass von Angst getriebene Überregulierung zum Totengräber für ein freies, innovatives Internet werden könnte. "Irgendwann haben wir dann zwei Internets, ein freies und ein kontrolliertes Internet, das Kindernet".
Der Verbraucher - das unbekannte Wesen im Netz
Welches Internet aber wollen wir? Diese Frage stand auch im Zentrum der knapp dreijährigen Arbeit einer 34-köpfigen Kommission, die sich im Deutschen Bundestag über die Zukunft des Internets und der "digitalen Gesellschaft" Gedanken gemacht hat. 12 Projektgruppen trafen sich dabei über 180 Mal, um über Fragen der Sicherheit im Netz, freie Software oder Regieren in der digitalen Gesellschaft zu debattieren.
Im April wird der Endbericht dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Dabei zeigt sich sehr deutlich, dass vor allem eine Frage die politischen Lager Deutschlands spaltet: Wie gut muss der Bürger im Netz geschützt werden? Während die politische Linke (Sozialdemokraten, Die Linke und Grüne) hier den Staat viel mehr als bisher in der Pflicht sieht, plädieren vor allem die bürgerlichen Parteien (CDU/CSU und FDP) für Selbstregulierung und die Lenkungskraft des Markts – auch im Netz.
Der Verbraucher müsse bei der freien Wahl im Internet bestmöglich informiert werden, fordert Wolf Osthaus, Internet-Sachverständiger der konservativen CDU/CSU-Fraktion. "Wenn der Verbraucher dann aber sagt, mir ist die Bequemlichkeit wichtig oder mir ist ein guter Preis wichtig und dafür nehme ich in Kauf, mich auch in bestimmten Maße an jemand zu binden, dann soll ihm das möglich sein.“ Halina Wawzyniak, Enquete-Kommissionsmitglied der Partei Die Linke, will die Verbraucher dagegen vor der Macht dominierender Internet-Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon geschützt sehen: "Bessere Schutzmaßnahmen können nicht einfach durch bessere Verbraucherinformation ersetzt werden".
Von Gerätehoheit und Netzneutralität
Das Problem der Gerätehoheit steht für Netzaktivist Markus Beckedahl dabei im Zentrum dieser Debatte. Kauft ein Verbraucher einen Computer, einen Laptop oder ein Smartphone - kann er damit machen, was er will? Oder dürfen Hersteller wie Apple diese Freiheit beschneiden, indem sie in Zukunft dem Verbraucher nur noch ein Nutzungsrecht für firmeneigene Software einräumen?
Beckedahl: "Wir dürfen unser Handy zwar kaputtmachen, aber wir dürfen in die Software nicht wirklich eingreifen, weil tief versteckt in den Allgemeinen Geschäftsbestimmungen steht, dass die Bedingungen vom Hersteller vordiktiert werden." Lösungen konnte die Enquete-Kommission für dieses Problem noch nicht liefern. Markus Beckedahl sieht daher den Gesetzgeber in der Pflicht, Verbrauchern auch in Zukunft diese Unabhängigkeit zu garantieren.
Ähnliches gilt für Beckedahl, wenn es um das Netz selbst geht. Denn auch wenn alle politischen Lager in Deutschland sich dem Ziel verpflichtet fühlen, allen Nutzern einen gleichberechtigten und freien Zugang zum Internet zu garantieren: Der Weg zur Erreichung dieser Netzneutralität bleibt nach der Enquete-Kommission so umstritten wie zuvor.
Der Netzaktivist Beckedahl sieht die Gefahr, dass das offene Internet durch ein Verschleppen dieser Debatte unter die Räder kommen könnte. "Es gibt Bestrebungen vieler Infrastrukturbetreiber, in Echtzeit den Datenverkehr zu analysieren und zu schauen, dass man gewisse Dienste nicht mehr durchlässt." Das müsse verhindert werden, sagt Beckedahl, denn es sei ein Schritt in Richtung chinesischer Internet-Zensur.
Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" hat ihre Arbeit beendet. Nun bleibt vor allem eines festzuhalten: Zentrale Fragen des digitalen Lebens wurden in Deutschland jetzt zwar zum ersten Mal vom Gesetzgeber als Problem erkannt. Für deren Lösung könnte es allerdings weiterer Enquete-Kommissionen bedürfen.