Falsche Rezepte gegen das afghanische Opium
23. Juni 2005Vom ostafghanischen Dorf Kandi Bagh, wo Bismillah Bizgin lebt, bis nach Tora Bora sind es nur fünfzehn Kilometer. Auf diesem Berg an der Grenze zu Pakistan kämpfen US-Truppen nach wie vor gegen El-Kaida und die Taliban. Die Bauern in Kandi Bagh sehnen sich nur nach Wasser, und für sie bedeutet Tora Bora Wasser. Denn das Wasser ihres Dorfes entspringt in jenem Berg.
Doch seit acht Jahren ist auf Tora Bora kein Regen mehr gefallen. Die Erde ist zu Staub zerfallen. Im Flussbett nur Sand. Bäume, Felder, auf denen früher Baumwolle und Weizen wuchsen, und Gemüsegärten sind vertrocknet. Ein großer Hund bewacht die einzige Wasserpumpe im Dorf - das Wertvollste, was die Bauern hier besitzen. Der Grundwasserspiegel ist wegen der Dürre schon auf 90 Meter gesunken. Mittlerweile können die Bauern von Kandi Bagh nur noch das Feld von Bismillah Bizgin bebauen. Das Wasser dazu müssen sie kostspielig in die Höhe pumpen, sagt der Dorfarzt. "Wasser ist teuer. Produkte wie Baumwolle, Weizen oder Mais decken die Wasserkosten nicht. Deshalb können wir das nicht anbauen." Stattdessen bauen sie Schlafmohn an.
Opium ist lukrativ
Nur vom Opium könnten sie überleben, sagen die Bauern und rechnen vor: Für das Saatgut eines einzigen Feldes bezahlen sie 20.000 Afghani, für die Bewässerung 30.000. Die Ernte lässt sich für 60.000 Afghani verkaufen. Ihnen bleiben also 10.000 übrig. Das sind umgerechnet 200 Euro, um ihre Großfamilien bis zur nächsten Ernte durchzubringen.
Die westlichen Entwicklungshelfer in der Region erzählen, dass die Gewinner des Opium-Geschäfts nicht die Bauern seien, sondern die Zwischenhändler: Warlords, Gouverneure, sogar Minister. Nicht einmal die Vernichtung der Ernte störe deren Geschäft, im Gegenteil. Wird Angebot knapper, steigen die Preise. Obwohl Experten davor warnen, wird in der westlichen Welt zunehmend auf die Vernichtung der Opiumfelder in Afghanistan gedrängt, während die Vorschläge der Entwicklungshelfer, alternative Anbauprodukte zu fördern, ignoriert werden.
Mohnpflanzen niedergewalzt
Bismillah Bizgin zeigt eines seiner Felder. Er zeigt auf ein winziges Pflänzchen mit kleinen grünen Blättern. Das ist alles, was von seiner Ernte übrig blieb. Den Rest hätten vor einigen Tagen Uniformierte mit Traktoren zerstört, erzählt er wütend. Auch vier westliche Ausländer in Zivil seien dabei gewesen, berichten die Bauern. Wer die Männer waren und wer sie geschickt hat, kann keiner sagen.
Das Zerstörungskommando ging dabei keineswegs zimperlich um mit ihnen. Sie seien geschlagen und bedroht worden, berichten die Dorfbewohner. Bevor die Unbekannten wieder gingen, hätten sie die Bauern gewarnt: Wenn sie sie nächstes Mal nicht zu weiteren, versteckten Opiumfeldern führen, würden sie ihnen die Beine brechen.
In der Hauptstadt Kabul übernimmt niemand die Verantwortung für solche Aktionen - weder die Regierung unter Präsident Hamid Karzai, noch die US-Truppen. Karzai hat sich stets energisch gegen eine planlose Vernichtung der Opiumfelder in seinem Land geäußert. Zerstörungsaktionen wie die in Kandi Bagh gefährden seine
Glaubwürdigkeit, auch bei den ihm wohlgesonnen Afghanen, wie Bismillah Bizgin.
Taliban hoffen wieder auf Macht
Unweit von Kandhi Bagh, in den unzugänglichen Bergregionen um Tora Bora, sitzen die Taliban und warten auf eine zweite Chance. Die ist vielleicht nicht so weit entfernt, wie manche glauben wollen. Schon schwärmen viele paschtunische Bauern davon, wie gut und sicher es unter den Gotteskriegern gewesen sei. Ihre konservativen paschtunischen Traditionen wussten sie unter den Taliban gut bewahrt. Die Bauern sind kriegsmüde - aber auch zornig. Wer ihnen ihre Lebensgrundlage entzieht, treibt sie zurück in die Reihen der Fundamentalisten.