Fazil Say - Prozess auf 15. April vertagt.
18. Februar 2013Über Twitter hatte der 43 Jahre alte Künstler Äußerungen verbreitet, die zwar nicht die islamische Religion selbst, doch die allzu scheinheilige Praxis manch ihrer Anhänger verspotteten. Drei türkische Bürger klagten ihn daraufhin an. Der Prozess wegen "Verunglimpfung des Islams" wurde vergangenen Herbst aufgenommen und bis Februar vertagt.
Kühl und akademisch ist der klassisch geschulte Musiker weder im Leben noch in seiner Kunstfertigkeit: Wenn Fazil Say ein Konzert gibt, ist sein ganzer Körper im Einsatz. Davon konnte sich das Publikum des Dortmunder Konzerthauses noch Ende Januar 2013 überzeugen. Die manchmal eigenwilligen, aber stets kraftvollen, durchdachten und rhythmisch betonten Interpretationen des türkischen Pianisten loten Grenzen aus und zeigen seine charakteristische Herangehensweise an die Musik.
Nicht nur Musik im Blick
Zwar gehört Says ganze Leidenschaft der Musik; allerdings interessiert er sich ebenso für die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen in der Türkei.
"Er ist ein hoch intellektueller Mensch, der genau wahrnimmt, was um ihn herum passiert", sagt sein Landsmann und Kollege, der in Berlin lebende Komponist Taner Akyol. "Obwohl Fazil rund um die Uhr für seine Musik lebt und ständig unterwegs zu Konzerten oder Festivals ist, liest er sehr viel und kennt viele wichtige türkische Persönlichkeiten."
Sevim Dagdelen, Politikerin und Abgeordnete des Deutschen Bundestags, schätzt zudem sein politisches Engagement: “Fazil Say ist ein sehr sensibler, aber auch sehr mutiger Mensch. Er lässt sich nicht von Drohungen einschüchtern; er ist jemand, der sich sehr stark einsetzt für die Trennung von Staat und Religion, für Grundrechte, Menschen- und Minderheitenrechte."
"Der Nestbeschmutzer"
Seine offene und kritische Position gegenüber der Gesellschaftspolitik in der Türkei hat Fazil Say, der in seiner Heimat als Star gefeiert wird, vor allem in der islamisch-konservativen Regierung unter Ministerpräsident Erdogan einige Gegner eingebracht.
Er sei der Regierungspartei AKP und der AKP-Justiz ein Dorn im Auge, weil er kein Blatt vor den Mund nehme, weil er ein Kritiker sei und die Nichtbeachtung der Trennung von Staat und Religion mehrmals öffentlich kritisiert habe", weiß Sevim Dagdelen. "Darüber hinaus hat Say gerade in seiner "Mesopotamien-Sinfonie" auf das ungelöste Problem der Kurden in der Türkei aufmerksam gemacht. Auch das nimmt die AKP ihm übel."
Gerade aus dem erzkonservativen Lager seiner Heimat kommen seit Jahren diffamierende und verletzende Attacken gegen den Musiker. Wegen seiner kritischen Äußerungen wird er oft als "Nestbeschmutzer" bezeichnet , der "endlich aus der Türkei abhauen" solle – harte Worte über einen Künstler, der sich wie kaum ein anderer so intensiv und erfolgreich mit den musikalischen Traditionen seines Landes auseinandersetzt.
Musizieren als Therapie
Für den 1970 in Ankara geborenen Fazil Say ist Musik das Wichtigste in seinem Leben: Ein Blasinstrument half ihm bereits als Kind, die Folgen einer Operation im Mundbereich zu überwinden.
Nachdem er das gegen ein Klavier getauscht hatte, kam der hochbegabte Teenager mit elf Jahren zum Studium an die Musikhochschule in Ankara und legte drei Jahre später seine ersten Kompositionen vor. Das Klavierspiel war ihm genauso wichtig wie das Komponieren; daher studierte Say ab 1987 beide Fächer sowohl an der Düsseldorfer Musikhochschule als auch später an der Hochschule der Künste in Berlin.
Während Fazil Say als Komponist erst in den letzten Jahren zunehmend internationale Anerkennung erfährt, sorgte er als Pianist schon seit 1994 für Furore in den Konzertsälen der Welt. Und die Liste der prominenten Dirigenten und Orchester, mit denen Say zusammen gearbeitet hat, liest sich wie ein "Who's Who" der klassischen Musikszene.
"Ohne Klavier sterbe ich"
In vielen seiner Kompositionen verwendet Fazil Say klassische türkische Melodien, Motive oder Stilelemente sowie traditionelle Instrumente und kombiniert sie mit westlichen Harmonien, Satztechniken oder auch dem Jazz; diesen liebt er übrigens genauso wie die Klassik. Nicht nur musikalisch, sondern auch intellektuell gilt der Künstler international geradezu als Aushängeschild einer modernen und aufgeschlossenen Türkei.
Umso unverständlicher sind die gegen ihn erhobenen Gotteslästerungsvorwürfe, in denen Sevim Dagdelen eine gezielte Aktion der türkischen Regierung sieht: "Das ist das Ende für einen Künstler, und das weiß die AKP", sagt sie. "Jemand, der so sensibel ist wie Fazil Say, würde niemals die 18 Monate Haft überleben können." Say, der derzeit seinen Konzertverpflichtungen nachkommt, aber keinerlei Interviews gibt, dürfte die Wiederaufnahme des Prozesses gegen ihn mit durchaus gemischten Gefühlen verfolgen. Seinem Kollegen Taner Akyol vertraute er vor einigen Jahren an: "Wenn man mich einmal drei Monate ohne Klavier in den Knast steckt, dann sterbe ich."